Vor dem Hintergrund der turbulenten deutschen Währungsgeschichte nimmt sich Simon Mee eines höchst spannenden Gegenstands an. Dabei verfolgt er in seiner Dissertation allerdings nicht das Ziel, eine währungs- oder geldpolitische Darstellung vorzulegen, vielmehr analysiert er einen ökonomischen Gegenstand – die deutsche Zentralbank – aus einer kulturhistorischen Perspektive und räumt hierbei historischen Narrativen viel Platz ein. Besonders die Inflationserfahrungen der Zwischenkriegszeit wurden demnach nach 1945 immer wieder aufgegriffen, um die Unabhängigkeit der Zentralbank und eine auf Preisstabilität ausgerichtete Geldpolitik durchzusetzen. Simon Mee verwendet in diesem Zusammenhang den Terminus einer »monetären Mythologie« (S. 7). Die Erfahrungen mit der Hyperinflation 1922/1923 und der Inflationsphase 1936 bis 1945 wurden in der Bundesrepublik in eine politische Waffe umgemünzt, um die Unabhängigkeit der Zentralbank zunächst institutionell durchzusetzen und später dauerhaft zu verteidigen. Dass die Reichsbank während der Hyperinflation weitgehend unabhängig war, wurde dabei regelmäßig übersehen.
Zweifellos bildete die Reichsbank eine wichtige Hintergrundfolie für den Aufbau des deutschen Zentralbankwesens nach 1945. Mee skizziert daher in seinem ersten Kapitel ihre Geschichte von ihrer Gründung bis zu den Nürnberger Prozessen. Hier wurden die Grundlinien der monetären Nachkriegsmythologie formuliert. In der Verteidigung des früheren Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht wurde vor allem auf das Memorandum von 1939 abgehoben, in dem sich das Reichsbankdirektorium gegen die expansive Ausgabenpolitik der Nationalsozialisten aussprach und damit seine Entlassung provozierte. Während jenes Dokument zu einem moralischen Beweismittel avancierte, das seine Unterzeichner nach 1945 gegenüber den NS-Verbrechen entlastete, wurde die Rolle der Reichsbank als Institution des nationalsozialistischen Unrechtsstaats vollends in den Hintergrund gedrängt.
Das zweite Kapitel umfasst die Gründung der Bank deutscher Länder bis zum Übergangsgesetz 1951, mit dem die Alliierten die westdeutsche Zentralbank aus ihrer Kontrolle entließen. Die Bank deutscher Länder war ein Produkt der US-amerikanischen und britischen Besatzungspolitik. Mit Wilhelm Vocke kam ein Mann an ihre Spitze, der das Memorandum von 1939 unterzeichnet hatte, aber auch die Geldpolitik der Reichsbank zur Zeit der Hyperinflation mitgetragen hatte. Und er war bei weitem nicht der einzige ehemalige Reichsbanker in der neuen Notenbank. Während auf institutioneller Ebene ein Bruch stattfand, zeigten sich hier klare personelle Kontinuitäten. Mee verweist in diesem Zusammenhang immer wieder auf die Bedeutung eines spezifischen Narratives über die Reichsbank vor 1945, bei der die Inflationsgefahren als Ergebnis einer weisungsgebundenen Zentralbank interpretiert wurden.
Wie wirkungsmächtig jene Erzählung war, zeigte sich nicht nur beim Übergangsgesetz 1951, als Bundesfinanzminister Fritz Schäffer mit seinem Versuch, die Bank deutscher Länder unter die Kontrolle der Bundesregierung zu stellen, kläglich scheiterte, sondern auch bei der Ausgestaltung des Bundesbankgesetzes. Dabei erwies es sich als entscheidend, dass es mit der 1948 gegründeten Bank deutscher Länder bereits eine Zentralbank gab, die bei der Ausgestaltung ihres zukünftigen Handlungsrahmens mitwirkte. Während Adenauer und Schäffer ihren dezentralen Aufbau und ihre Unabhängigkeit revidieren wollten, stellten sich die Notenbanker und die Bundesländer gegen einen tiefgreifenden organisatorischen Einschnitt.
Der Angriff Adenauers im Rahmen der Gürzenich-Affäre verfestigte das Bild einer von politischer Seite unter Druck stehenden Zentralbank nochmals und half letztlich dabei, ihre Unabhängigkeit unter Einbeziehung der Öffentlichkeit erfolgreich zu verteidigen. Auch das 1957 erlassene Bundesbankgesetz enthielt keinen Mechanismus zur stillen Aushandlung eines institutionellen Konflikts zwischen Bundesregierung und Bundesbank, so dass Meinungsverschiedenheiten oftmals in den öffentlichen Raum getragen wurden, in dem die Bundesbank die Inflationsnarrative der Zwischenkriegszeit geschickt für sich zu nutzen wusste.
Während die Bedeutung der Alliierten in der Literatur schon mehrfach betont wurde, liegt der Mehrwert von Mees Studie vor allem darin, den historischen Erzählungen größeres Gewicht beizumessen. Im Unterschied zu den 1950er-Jahren, als die Bank deutscher Länder auf diese Weise ihre Unabhängigkeit verteidigte, geriet die Bundesbank in den 1960er-Jahren infolge eines sich wandelnden gesellschaftlichen Klimas dennoch in die Defensive. Nun holten die dunklen Schatten der NS-Vergangenheit ihr Führungspersonal und allen voran Bundesbankpräsident Karl Blessing ein. Blessings Mentor Schacht betrat erneut die Bühne und verbreitete nicht nur die These einer dritten Inflation, vielmehr stellte er auch Blessings Rolle während der zweiten Inflation im Nationalsozialismus heraus. Zudem griff eine zunehmend kritische Medienöffentlichkeit Blessings Mitgliedschaft in Himmlers Freundeskreis Reichsführer-SS auf, woraufhin die Presseabteilung der Bundesbank mit einer eigenen Darstellung konterte und Journalisten gezielt mit entlastenden Dokumenten versorgte.
Nachdem die Belastung durch ehemalige NSDAP-Mitglieder in den Führungsgremien der Bundesbank in den 1960er-Jahren ihren Höhepunkt erreicht hatte, war die Zentralbank ab 1969 mit einer neuen, sozialdemokratisch geführten Regierung und neuen ökonomischen Herausforderungen konfrontiert. Unter Blessings Nachfolger Karl Klasen musste die Bundesbank den Übergang zu flexiblen Wechselkursen bewerkstelligen und sich an deutlich höhere Inflationswerte gewöhnen. Infolgedessen war eine Verständigung auf neue geldpolitische Ziele notwendig, die nicht immer mit den wirtschaftspolitischen Maßnahmen in Einklang standen. An dieser Stelle verweist Mee einmal mehr auf den Einfluss historischer Inflationsnarrative für aktuelle politische Debatten. Doch die Kritik des linken SPD-Flügels und der Gewerkschaften, die Bundesbank habe durch ihre Entscheidungen, die ökonomische Flaute 1966/1967 zumindest mitverursacht, weshalb ihre Unabhängigkeit zu überdenken sei, blieb folgenlos – nicht zuletzt, weil die SPD-Spitze vor einer öffentlichen Auseinandersetzung mit der Bundesbank zurückschreckte.
Insgesamt arbeitet Mee die Konstruktion der »monetären Mythologie« und die Bedeutung historischer Narrative und Sinnzuschreibungen für das Handeln der Notenbanker nach 1945 glaubhaft heraus. Empirisch erfährt man dabei mit Ausnahme der kommunikativen Selbstinszenierung der deutschen Zentralbank in weiten Passagen zwar wenig Neues. Allerdings gelingt es ihm überzeugend, gerade jene Selbstdarstellung als Garantin der Preisstabilität auszubreiten. Dass jene Fokussierung auf Währungsstabilität nicht für alle großen Industrieländer galt und die Bundesbank keiner parlamentarischen Kontrolle unterlag, wurde erfolgreich beiseite gedrängt. Damit verbindet Simon Mee nicht nur die Währungsgeschichte nach 1945 mit der historischen Erinnerung an die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus, sondern leistet auch einen wichtigen Beitrag für das Verständnis (wirtschafts-)politischer Institutionen in der frühen Bundesrepublik.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Christian Marx, Rezension von/compte rendu de: Simon Mee, Central Bank Independence and the Legacy of the German Past, Cambridge (Cambridge University Press) 2019, 368 p., 13 b/w ill., 3 tabl., ISBN 978-1-10875-960-1 (E-Book), GBP 75,00., in: Francia-Recensio 2020/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.4.77328