Im Jahr 2000 konnte die Abegg-Stiftung auf dem Riggisberg ein besonderes Objekt erwerben, von dem man bis dahin nur aus schriftlichen Quellen wusste – eine hochmittelalterliche Nonnenkrone. Sie besteht aus weißen, kreuzförmig über den Kopf gelegten Seidenbändern mit Goldborten, die an den Kreuzpunkten fünf Medaillons aufweisen: auf dem Scheitel einen roten Vierzack mit fünf goldenen Punkten, auf der Stirn ein agnus Dei, an den Seiten einen Cherub und einen Engel mit Lilienzepter sowie am Hinterkopf einen König in Adorantenhaltung. Das fragile Stoffgewebe ist die bislang einzig bekannte Nonnenkrone aus dem Mittelalter, die sich erhalten hat.

Die fragilen Seidenbänder wurden zur Stabilisierung Ende des 14. Jahrhunderts auf eine blaue Seidenkappe aufgenäht. Die Abbegg-Stiftung konnte das kostbare Stück im Jahr 2000 aus französischem Privatbesitz erwerben, als das als »calotte papale ou épiscopale« also als Papst- oder Bischofskappe bezeichnete Objekt in Neuilly bei Paris unter den Hammer kam. Die Nonnenkrone wurde in der Abegg-Stiftung restauriert und 2006 in einer Sonderausstellung »Gewebtes Gold: Metallfäden in der Textilkunst« zum ersten Mal präsentiert. 2007 machte Tilo Altenburg auf den engen Zusammenhang zwischen dem ikonografischen Bildprogramm der Medaillons und der Vision Hildegards von Bingen in ihrem Vissionswerk »Scivias« aufmerksam1.

Evelin Wetter und Philippe Cordez gehen nun noch einen Schritt weiter und versuchen in der vorliegenden Monografie den Nachweis zu führen, dass es sich bei den exquisiten Stück um die Nonnenkrone der Hildegard von Bingen handelt. Die Studie behandelt drei Themenfelder, die Autoren tragen die schriftlichen Quellen zusammen, die über Nonnenkronen im Hildegardkloster Rupertsberg berichten, legen eine detaillierte Textiluntersuchung und -beschreibung vor und erforschen die Überlieferungsgeschichte, indem sie nach Indizien für den weiteren Verbleib der Nonnenkrone Hildegards von Bingen in Trier suchen. Ansprechend illustriert richtet sich die Publikation an ein breiteres Publikum, hat aber erkennbar wissenschaftlichen Anspruch.

Im ersten Kapitel wird zunächst der berühmte Briefwechsel Hildegards mit der Äbtissin des Reformklosters Springiersbach Tengswich von Andernach († 1152/1153) vorgestellt, bei denen Tengswich das Tragen von golddurchwirkten Kränzen beim Psalmengesang als eine Neuerung Hildegards kritisiert. Die Nonnenkronen, so Tengswich, verziert mit einem Lamm auf der Stirn und Kreuzen an den Seiten, trügen die Rupertsberger virgines über offenem Haar und langen weißen Seidenschleiern. Hildegard weist alle Vorwürfe Tengswichs einzeln zurück, auch den irdischen Schmuck der Jungfrauen, die sich zu Recht für den himmlischen Bräutigam Christus schmückten. Sie korrigiert aber nicht die von Tengswich beschriebene Ikonografie der Kronen, das Lamm und die Kreuze, die somit offenbar zu diesem Zeitpunkt zutreffend beschrieben waren.

Ein Problem der Argumentation des vorliegenden Bandes besteht in der Verkürzung des Phänomens der Nonnenkrone auf Hildegard und ihren Konvent. Die Rupertsberger Nonnenkrone, so heißt es hier, sei historisch die früheste bekannte Erwähnung einer Nonnenkrone außerhalb des Rituals der Jungfrauenweihe (S. 33), Hildegard sei die erste gewesen, die jeder einzelnen Nonne gestattete, eine Nonnenkrone zu tragen (S. 16), sie habe die Nonnenkronen als eine Neuerung etabliert, als Signum des Standes der Jungfrauen und als eine weibliche Entsprechung zu den männlichen Insignien des geistlichen Standes (S. 21), da auch alle anderen kirchlichen Stände und insbesondere die Kleriker ein sichtbares Zeichen trügen (S. 73).

Insgesamt kommen Wetter und Cordez zu dem Schluss: »Sowohl konzeptionell als auch materiell kann die Krone als Summe des intellektuellen und pragmatischen Wirkens Hildegards im Sinne der Kirchenreform des 12. Jahrhunderts beschrieben werden« (S. 75). Gemeint ist offensichtlich, dass die bedeutungsaufgeladene Ausgestaltung der Nonnenkrone als Signum des jungfräulichen Standes auf Hildegard zurückzuführen ist. Aber stimmt das? Bereits Abaelard erwähnt Nonnenkronen in seiner um 1135 für Heloise und ihre Gemeinschaft im Paraclet verfassten Regel, bei der fünf rote Kreuze die Wundmale Christi symbolisierten2 – eine Ikonografie, die mit den Nonnenkronen verbunden blieb.

Die Jungfrauenweihe (oder Nonnenkrönung) war seit der Mitte des 10. Jahrhunderts im Mainzer Pontificale mit der Verleihung der Nonnenkrone und des Ringes verbunden. Möglicherweise wurde sie erst nach und nach in den Klöstern eingeführt, auf jeden Fall war sie aber der letzte Akt einer schrittweisen Bindung der Nonnen an das Klosterleben, die vita contemplativa. Die Einbindung der Nonnenkrönung in den rituellen und rechtlichen Ablauf des Klostereintritts (Kapitel: »Eine prägende Erfahrung. Die Krönung bei der Jungfrauenweihe«, S. 21–25) erscheint hier im Wesentlichen unverstanden.

Die seit der Spätantike bekannte Jungfrauenweihe bedeutete die offizielle Bestätigung des Status der Jungfräulichkeit durch die Kirche und durfte deshalb nur vom Bischof vollzogen werden. Diese besondere Auszeichnung der Jungfrauen hebt Petrus Damiani als praktizierten Brauch der Kirche gegenüber der Mönchsprofess bereits 1051 hervor; deshalb sollte die Weihe der Jungfrauen nur an hohen Festtagen im Rahmen einer Messfeier erfolgen und als Mindestalter waren 25 Jahre vorgeschrieben3. Hat Hildegard von Bingen eine Nonnenkrone getragen? Hat sie eine Jungfrauenweihe durch einen Bischof erhalten? Die relativ reiche zeitgenössische Überlieferung und auch die verschiedenen Fassungen der um 1181–1187 entstandenen »Vita sanctae Hildegardis« wissen davon nichts, obwohl Hildegard selbst großes Gewicht auf die herausgehobene Stellung der Nonnen als virgines legte.

Die Jungfrauenweihe wird von Wetter und Cordez mit der Oblation vermengt, die am Anfang einer Klosterkarriere stand als ein Eintrittsweg nur für Minderjährige, bei der die Eltern die Tochter oder den Sohn kirchenrechtlich verbindlich an einen Altar schenkten. Sie war neben der Profess die Voraussetzung für die Jungfrauenweihe, die als »krönender Abschluss« am Ende stand. Die Nonnenkrone hatte dabei einen verweisenden Charakter als gleichsam visualisiertes Versprechen der Krönung der Jungfrauen im Jenseits nach dem Vorbild Mariens. Gegen eine »Erfindung« der Nonnenkrone durch Hildegard von Bingen spricht auch, dass die Nonnenkronen in Norddeutschland sehr viel verbreiteter waren als in Süddeutschland.

Etwa zeitgleich mit dem Brief der Tengswich hat Hildegard von Bingen das Visionswerk »Scivias« verfasst, in dem sie einige der Nonnen als mit einem goldenen Reif geschmückt »sieht«, auf der Stirn mit einem Lamm, rechts mit einem Cherubim, links mit einer Engelsgestalt, auf dem Scheitel mit dem Gleichnis (similitudo) der himmlischen Dreifaltigkeit und einem Mensch geschmückt. Diese Beschreibung kommt der Ikonografie der Riggisberger Nonnenkrone, wie Tilo Altenberg herausgearbeitet hat, sehr nahe.

Hildegards Vorstellung von der Endzeit wird von Wetter und Cordez ausführlich diskutiert, wobei beide zu dem Schluss kommen: »Was Hildegard – in der Folge der Offenbarung des Johannes – sehen konnte, reichte ihr, um den Kopfschmuck ihrer Nonnen so gestalten zu lassen, dass auch diese sich auf das Ende der Zeiten einstimmen konnten« (S. 32). Wenn die Nonnenkronen allerdings vor allem in Frankreich bereits bekannt und verbreitet waren, könnte Hildegard vielmehr ein wichtiger werdendes Phänomen in ihrem Visionswerk meditativ ausgedeutet haben, wie wir es auch von Gertrud von Helfta kennen.

Das würde vielleicht auch die für den Rupertsberg auffällig abweichende ikonografische Ausgestaltung erklären. In einer späteren Bearbeitung der Briefsammlung Hildegards, die unter ihrer Aufsicht stattfand, findet sich Tengswichs Beschreibung der Rupertsberger Nonnenkronen in der Weise abgewandelt, dass nun darauf neben dem Lamm engelhafte Bilder zu sehen waren (S. 71). Hätten Hildegard oder ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter das nicht präziser gefasst, wenn sie ihre theologische Vision hier wegweisend umgesetzt sehen wollte?

Die Studie argumentiert weiter, dass Hildegards Nonnenkrone als innovativer visioneller Entwurf eng mit ihrer Person verbunden blieb, wodurch sich die Überlieferungschancen der fragilen Textilie erhöht hätten. In der Tat kann man davon ausgehen, dass der Status einer Reliquie und die Zuordnung der wertvollen Stoffstreifen als Krone Hildegards von Bingen sie als kostbare Erinnerung über die Zeiten geschützt hätte. Aber dann wiederum fragt man sich, warum die Klostergründerin Hildegard auf dem Antependium des Klosters Rupertsberg aus der Zeit zwischen 1220 und 1226, das sie in deutlicher Verehrung mit einem Heiligenschein und weißem Schleier mit ihrer Klostergründung und einem Buch zeigt, hier nicht mit einer Nonnenkrone abgebildet wird, ebenso wenig wie ihre Nonnen, die am unteren Rand »aufgeführt« werden (Abb. 22, S. 63).

Es ist sehr verführerisch, herausragende Kunstgegenstände mit berühmten Personen in Verbindung zu bringen und ihnen damit einen festen Platz in der Geschichte zuzuschreiben. Und so resümieren Wetter und Cordez: »Hildegard von Bingen hat als Teil ihrer visionären Reform das Konzept einer Krone entworfen, die zeichenhaft die starke Rolle der Frauen in der christlichen Gesellschaft ihrer Zeit demonstrieren sollte. Wohl als Krönung ihres langen Lebens wurde ein solches [sic] Insignie, kostbar und einmalig, für sie realisiert« (S. 103). Aber gerade in den entscheidenden Umbruchszeiten ist diese Zuordnung der Nonnenkrone Hildegards zu ihrem Wunderwirken nicht zu erkennen. Die Wunder nach ihrem Tode betreffen zunächst nur ihre Haare und später einen Kamm (Kapitel »Der Kult um Hildegards Kopfschmuck«, S. 76–87).

Eine Nonnenkrone Hildegards zusammen mit ihren Haaren und einem peplum magnum, also einem großen Schleier, taucht erst im 14. Jahrhundert in den Reliquienverzeichnissen in Trier auf. Das ist vielleicht kein Zufall, da sich die Nonnenkronen im 14. Jahrhundert zunehmender Beliebtheit erfreuten. Detailliert werden die Beziehungen der Äbte von St. Matthias in Trier zu Hildegard und ihren Rupertsberger Nonnen nachgezeichnet und die These vertreten, dass das Grab Hildegards mit den Gebeinen und dem Hauptteil des Haarzopfs auf dem Rupertsberg verblieben, während für das Kloster St. Matthias zur Erinnerung einige Haare, der Schleier und die Krone ausgewählt wurden (S. 92f.).

Wenn Hildegard und ihrer Gemeinschaft die von ihr selbst visionär gestaltete Nonnenkrone so wichtig waren, warum erlaubten die Nonnen auf dem Rupertsberg, dass gerade das von Hildegard geschaffene Signum ihrer Vorrangstellung nach Trier gegeben wurde? Die letzte Erwähnung der »Krone Hildegards« als Reliquie in Trier stammt aus dem Jahr 1793, bevor die Bischofsstadt von französischen Soldaten geplündert wurde. Die Krone, die im Jahr 2000 von der Abegg-Stiftung aufgekauft wurde, soll zuletzt im Besitz einer adeligen Familie in der Region Avignon gewesen sein.

Auch bei dieser letzten Etappe, die sich nun konkret auf die Riggisberger Krone bezieht, gibt es keinen Hinweis, dass man sie für kostbar ansah, weil sie einst Hildegard von Bingen gehörte, sondern man hat sie offenbar für eine Bischofs- oder Papstkappe gehalten. Handelt es sich bei der gleichermaßen kostbaren wie historisch bedeutsamen Riggisberger Nonnenkrone um die Krone der Hildegards von Bingen? Die ehrliche Antwort kann nur lauten: Wir wissen es nicht.

1 Tilo Altenburg, Soziale Ordnungsvorstellungen bei Hildegard von Bingen, Stuttgart 2007 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters, 54), S. 97–100.
2 Terence P. McLaughlin (ed.), Abelard’s Rule for Religious Women, in: Medieval Studies 18 (1956), S. 241–292, hier S. 282.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Eva Schlotheuber, Rezension von/compte rendu de: Philippe Cordez, Evelin Wetter, Die Krone der Hildegard von Bingen, Riggisberg (Abegg-Stiftung) 2019, 135 S., 34 farb. Abb. (Monographien der Abegg-Stiftung, 21), ISBN 978-3-905014-70-9, CHF 25,00., in: Francia-Recensio 2020/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.4.77421