Eine umfassende Synthese zum britischen Umgang mit der Französischen Revolution, erschienen im Jahr 2019, erweckt Neugier. Länderstudien im Sinne von »Die Revolution und …« oder gar Ausstrahlungsgeschichten vom Typus »Die Revolution in …« bildeten in den letzten Jahren keinen Schwerpunkt der Revolutionshistoriografie, die nach dem Bicentenaire 1989 in das Spannungsfeld von zunehmend ausdifferenzierten kulturgeschichtlichen Ansätzen und globalgeschichtlichen Zugängen geraten ist. Für die hier vollzogene Rückkehr zu vermeintlich übersichtlicheren bilateralen Konstellationen zeichnen mit Harry T. Dickinson ein Veteran der britischen Revolutions-, Whig- und Radikalismusforschung im späten 18. Jahrhundert sowie mit Pascal Dupuy ein eminenter Kenner der britischen Bildpublizistik zur Französischen Revolution verantwortlich.

Herausgekommen ist ein thematisch breit gefächertes, anschauliches und zugänglich geschriebenes Buch für ein breites Publikum. Es verknüpft eine politische Geschichte der franko-britischen Beziehungen mit einer Darstellung der politisch-sozialen Spannungen innerhalb der britischen Gesellschaft sowie an den schottischen und irischen Peripherien des 1801 entstehenden Vereinigten Königreichs. Thematisch decken die 14 Kapitel Leseerwartungen von britischen konservativen und radikalen Reaktionen sowie den antijakobinisch-»kannibalischen« Feindbildern über den Krieg gegen Frankreich und die Radikalisierungsprozesse in Schottland und Irland bis zur kolonialen Rivalität zu Frankreich ab. Ergänzt wird dieses Panorama um drei stärker kulturgeschichtlich angelegte Kapitel zu Presse, Publizistik und Propaganda.

Die Darstellung schöpft aus der profunden Quellen- und Literaturkenntnis der Autoren, vermag in den Ergebnissen jedoch kaum zu überraschen. Die vorherrschende Blickrichtung bleibt meist die von Großbritannien aufs Festland, die Transferrichtung diejenige von Frankreich über den Kanal. Im Fazit konstatieren Dickinson und Dupuy eher vage die unterschiedlichen Reaktionen und Beeinflussungen einer im Umbruch befindlichen britischen Gesellschaft durch die Entwicklungen im Nachbarland. Vor allem aber habe die Französische Revolution »es den kultivierten Briten erlaubt, einige wichtige Herausforderungen zu begreifen, die die Menschheit in ihrer Gesamtheit betrafen« (S. 397). Dieses Erbes der Revolution scheint sich aber in Brexit-Zeiten den Autoren zufolge nur noch »ein gebildetes und kultiviertes Publikum« bewusst zu sein, welches die »große Bedeutung dieses außerordentlichen wie dramatischen Ereignisses für die Geschichte der Menschheit« (S. 396) anzuerkennen wisse.

Solche Revolutionsemphase bringt das Unbehagen der Autoren mit der »revisionistischen« Schule der Revolutionsgeschichtsschreibung zum Ausdruck, die den sozialen Umbruchcharakter und die Zäsurwirkung der Revolution relativiert und kontextualisiert hat. Diesem Debattenstand der 1980er Jahre bleiben Dickinson und Dupuy auch durch ein stellenweise marxistisch anmutendes Vokabular verhaftet, das »britische Jakobiner«, die »herrschende Klasse«, oder »reale Macht« umfasst. Gerade für das konservative politische Spektrum der 1790er Jahre erscheinen politische Einordnungen, etwa von französischen Monarchieanhängern, reichlich schematisch. Text und Endnoten referieren großenteils ältere Literatur. Zu bedauern ist angesichts von Pascal Dupuys Expertise zudem, dass der in die Buchmitte eingeheftete Illustrationsteil mit – eher bekannten – britischen Revolutionskarikaturen über kurze Erläuterungen hinaus nicht expliziter im zugehörigen Kapitel zur antifranzösischen Propaganda aufgriffen wird.

Schwerer wiegt jedoch die quasi völlige Abwesenheit zweier zentraler historiografischer Innovationen seit dem mittlerweile definitiv beendeten »Bicentenaire der langen Dauer« (Werner Greiling): der Migrations- und der Globalgeschichte. Dass Großbritannien in den 1790er Jahren zum europäischen Zentrum der Revolutionsemigranten wurde, zehntausende Französinnen und Franzosen unterschiedlicher sozialer und politischer Couleur Zuflucht auf den britischen Inseln, einschließlich der Kanalinseln, suchten und von dort aus enge Verbindungen nach Nordamerika und in die Karibik unterhielten, kommt im Buch ebenso wenig vor wie die britischen Kooperationen mit französischen Royalisten. Die substanzielle Literatur zu den vielfältigen politischen, sozialen, wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Implikationen der massiven französischen Emigrantenpräsenz in Großbritannien ignorieren die Autoren zur Gänze1.

Nicht auf der Höhe des Forschungsstandes sind zudem jene Abschnitte, die sich mit den Revolutionskriegen, der Haitianischen Revolution und dem Britischen Empire beschäftigen. Im Jahr 2019 Jamaika unkritisch als »Juwel« (S. 266) des britischen Kolonialreichs zu bezeichnen ist symptomatisch für eine Darstellung, die Bruttoregistertonnagen des britischen Überseehandels aufführt und die Reformagenden der britischen Abolitionisten und französischen Amis des Noirs betrachtet, Sklavenhandel und Sklaverei jedoch nur streift. Die Komplexität und Relevanz der kolonialen Konflikte für die Metropole bleiben weitgehend beiseite, und die Haitianische Revolution erscheint zur »révolte de Saint-Domingue« herabgesetzt. Auch ein vermeintlich regionales Thema wie der Aufstand der United Irishmen 1798 kann, wie zuletzt Matthew Lockwood gezeigt hat, von einer globalen Verflechtungsgeschichte nur profitieren2.

Gegenüber den grundlegenden Horizonterweiterungen der »Atlantic History« wirkt das hier im engen Sinne entfaltete franko-britische Panorama eurozentrisch. Wenn die Autoren hingegen die zunehmende Segmentierung der Revolutionsgeschichtsschreibung beklagen, so zielen sie damit bezeichnenderweise nicht auf die globalen Area Studies, sondern auf Regionalgeschichte.

Angesichts des Anspruchs des Buches, eine »möglichst vollständige« (S. 16) Synthese vor allem der anglofonen Literatur zu den franko-britischen Beziehungen während der Französischen Revolution zu bieten, fallen diese Defizite schwer ins Gewicht. Innerhalb seiner thematischen und historiografischen Grenzen bietet »Le Temps des cannibales« zwar einen übersichtlichen Überblick zum Thema. In seiner Gesamtheit spiegelt das Buch aber weder den Forschungsstand 30 Jahre nach dem Bicentenaire wider, noch kommt es letztlich den Erwartungen eines revolutionsinteressierten Lesepublikums der 2020er Jahre entgegen. So wie das Thema »Französische Revolution« immer mehr zum integralen, aber zu Recht nicht ausschließlichen Bestandteil einer Geschichte des »Age of Revolutions« geworden ist, so schließt der im Untertitel angekündigte Blick »von den Britischen Inseln« nur noch bedingt an aktuelle Debatten an. Der Verweis auf den Brexit auf der letzten Seite wirkt eher pflichtschuldig. Als franko-britische Synthese dieser Art wirkt »Le Temps des cannibales« daher etwas aus der Zeit gefallen.

1 Siehe nur Kirsty Carpentier, Refugees of the French Revolution. Émigrés in London, 1789–1802, Basingstoke 1999; Simon Burrows, French Exile Journalism and European Politics 1792–1814, Woodbridge 2000; Juliette Reboul, French Emigration to Great Britain in Response to the French Revolution, Basingstoke 2017.
2 Matthew H. Lockwood, To Begin the World Over Again. How the American Revolution Devastated the Globe, New Haven 2019.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Friedemann Pestel, Rezension von/compte rendu de: Harry T. Dickinson, Pascal Dupuy, Le Temps des cannibales. La Révolution française vue des îles Britanniques, Paris (Vendémiaire) 2019, 459 p. (Chroniques), ISBN 978-2-36358-337-6, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2020/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.4.77616