In seiner Monografie zu den Pariser Klangwelten des 17. Jahrhunderts widmet sich der Spezialist für frühneuzeitliche französische Literatur, Nicholas Hammond, einem interdisziplinären Forschungsfeld, das bisher vornehmlich zwischen Musik- und Kulturgeschichte bearbeitet wurde. Ausgehend von dem zugleich historisch und musikpraktisch angelegten Forschungsprojekt »Seventeenth-Century Parisian Soundscapes« (www.parisiansoundscapes.org) konzentriert sich Hammond dabei weniger auf eine vermeintlich vorherrschende Kongruenz von Visuellem und Auditivem, wie es für den französischen Hof des 17. Jahrhunderts typisch zu sein scheint, sondern setzt stattdessen bei der Oralität überlieferter Texte des frühneuzeitlichen Paris sowie bei der Erschließung alltäglicher Klangwelten durch Reenactments an.

In sechs Kapiteln, von denen einige als abgeschlossene Miniaturen auch separat gelesen werden können, spürt Hammond auf der einen Seite dem Alltagsklang auf dem Pariser Pont-Neuf, den auditiven Dimensionen bei höfischen Festen, Predigten, brieflichen Konversationen, gerichtlichen Verurteilungen und Hinrichtungen nach, und auf der anderen Seite dem Schicksal einzelner Sänger, Zuhörerinnen und Zuhörer sowie Akteure, die in den untersuchten Liedern erwähnt werden.

Im Mittelpunkt steht ein zur bekannten Melodie »Reveillez-vous belle endormie« gesungenes Lied mit dem Text »Grands Dieux! quelle est vôtre justice?/Chausson va périr par le feu;/Et Guitaut par le même vice/A mérité le Cordon bleu« (S. 2) über den wegen Sodomie angeklagten und hingerichteten Jacques Chausson, einen Sänger, der u. a. wegen seiner blasphemischen Lieder bekannt war (S. 95–124). Anhand der schichtenübergreifenden Anlage dieses und weiterer Lieder über Sodomie und Homosexualität, in denen auch der Adel oder Hofmitglieder wie Jean-Baptiste Lully angeprangert wurden, und auch ihrer schichtenübergreifenden Rezeption, die u. a. bei Madame de Sévigné dokumentiert ist (S. 48–57), kann Hammond die weitreichende Funktionalität dieser dichterisch-musikalischen Ausdrucksform aufzeigen.

Diese betrifft zunächst die Möglichkeiten der Eigendarstellung durch Oralität und Klang, wie sie z. B. beim blinden Sänger Philippot Le Savoyard zu erkennen ist (S. 35–47), aber auch die eindrucksvollen Wirkungen von Geräusch und Lärm, die bei Jean Loret und La Fontaine samt eines daraus resultierenden Unfalls mit durchgehenden Pferden beim Fest von Nicolas Fouquet in Vaux-le-Vicomte bereits das Karriereende des surintendant des finances anzukündigen schienen (S. 68–73).

Durch Hammonds Lesart der zu Fouquets Prozess überlieferten Akten als Dokumente, die über die Oralität und die auditiven Dimensionen kultureller Handlungen Auskunft geben, erreicht der Autor nicht nur eine nuancierte Interpretation der Vorgehensweise des Fouquet-freundlichen rapporteurs Olivier Lefèvre d’Ormesson, sondern auch von Fouquets Möglichkeiten, sich mit seiner eigenen Stimme im Prozess zu verteidigen und auf diese Weise im Pariser Stadtleben Anerkennung zu erfahren, was sich nicht zuletzt in zahlreichen neu gedichteten Chansons auf ihn äußerte (S. 73–92). Fouquets Fall wird im nächsten Kapitel mit dem Prozess gegen Jacques Chausson verglichen, der sich beim Transport zum Ort seiner Hinrichtung, der Place de Grève, mit lautstarker Stimme gegen die Anschuldigungen des greffier wandte, bevor ihm zu Beginn des Hinrichtungsaktes die Zunge herausgeschnitten wurde (S. 112–113).

Im Gegensatz dazu – so wird es auch schon im oben genannten Lied angeprangert – wurde Guillaume de Pechpeyrou-Comminges, comte de Guitaut, Geliebter des zukünftigen prince de Condé, duc d’Enghien von Ludwig XIV. in die Ritterschaft des Orden vom Heiligen Geist (ordre du Saint-Esprit) aufgenommen. Wie Hammond durch einen Vergleich mit der Korrespondenz zwischen Madame de Sévigné und Guitaut zeigen kann, entspricht die Verdeckung von Homosexualität in der Korrespondenz von Condé und Guitaut galanten und adeligen Formen der Konversation, innerhalb auch derer Briefe auf ihren mündlich (bzw. auch heimlich) überlieferten Gehalt gegengelesen wurden (S. 125–143).

Anstatt jetzt jedoch die Behandlungen von Homosexualität in unterschiedlichen Schichten als Gegenwelten zu verstehen, legt Hammond eine Analyse der Frage nach dem Autor der Chansons vor, in der er mit Claude Le Petit, Roger de Rabutin, comte de Bussy und Jacques Chausson selbst drei verschiedene Autorenschaften durchspielt. Über ein zweigliedriges Netzwerk an Beziehungen der Dichter zum Lied über Chausson und über die Kontakte der drei Chanson-Dichter zur Familie Condé, zu Madame de Sévigné und zu Guitaut kann Hammond weitere Bezüge zwischen niederen Ständen und Adel aufdecken, wie z. B. die Koinzidenz, dass Guitauts Mantel bei der Ernennung zum Ritter mit Feuerzungen geschmückt war, während Chausson die Zunge wegen seiner homosexuellen Ausrichtung herausgeschnitten wurde (S. 154) oder dass Chausson sich über die Gefängnismauern durch das Lied Gehör verschafft habe, und zwar in einer Weise, die Ludwig XIV. durch Spione auf dem Pont-Neuf einzudämmen versuchte (S. 160).

Hammonds Arbeit überzeugt durch seine konsequente Fokussierung auditiver Dimensionen und hier vor allem durch seine Reinterpretation von Prozessakten, Festbeschreibungen und Predigten zwischen Alltagsleben und ästhetischen Verarbeitungen in Liedern als nur semi-textuelle Dokumente, d. h. immer auch Quellen mit einer eigenen auditiven Qualität für die Zeitgenossen des Paris im 17. Jahrhundert.

Dennoch bleibt es nicht aus, dass Hammond wie bei der These einer Weitergabe eines neuen Chansons durch den im Gefängnis einsitzenden Chausson mit Spekulationen arbeitet. Diese machen die frühneuzeitlichen Pariser Klangwelten einerseits sehr plastisch, sind andererseits jedoch nicht über die Ansätze eines im Forschungsprojekt verankerten Reenactments herzuleiten. Ebenfalls hätte man sich eine weitergehende Kontextualisierung mit der Praxis der Kontrafaktur und der Parodie gewünscht, bei der auch die bekannten Melodien, zu denen die von Hammond analysierten Liedtexte gesungen wurden, mehr berücksichtigt hätten werden können.

Sehr überzeugend wiederum und auch als Vorgehensweise für weitere Studien zu frühneuzeitlichen Soundscapes wegweisend erscheint mir der Abgleich von ständeübergreifenden Fällen und das Nebeneinanderstellen unterschiedlicher Stränge städtischer Netzwerke zu sein, durch das sich ein ebenso dichtes Netz an Sichtweisen auf Texte, Lieder, Klänge und Sounds einer schichtenübergreifenden und wohl auch schnelllebigen Pariser Alltagswelt des 17. Jahrhunderts ergibt.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gesa zur Nieden, Rezension von/compte rendu de: Nicholas Hammond, The Powers of Sound and Song in Early Modern Paris, Pennsylvania, PA (Pennsylvania State University Press) 2019, X–203 p., 10 b/w ill. (Perspectives on Sensory History, 1), ISBN 978-0-271-08471-8, USD 89,95., in: Francia-Recensio 2020/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.4.77620