Republikanismus ist ein Forschungskonzept mit deutsch-jüdischen Wurzeln, einem ersten Quellenkorpus in der italienischen Renaissance und einer nachhaltigen Erfolgsgeschichte vor allem im anglo-amerikanischen Kulturraum, der in einer teleologischen Tunnelgeschichte als Erbe des civic humanism erscheinen konnte. Heutzutage publizieren auch die italienischen Autoren, die den Großteil dieses Sammelbands bestreiten, auf Englisch über ihre ebenfalls italienischen Quellen. Das ist eine bemerkenswerte Entwicklung, welche die beiden Herausgeber mit ihrer Anbindung in Kent repräsentieren und in ihren grundlegenden Beiträgen reflektieren.

Marcello Fantoni will die italienischen Höfe als Geburtsstätten der Renaissance aufwerten, die allzu exklusiv auf das republikanische Florenz zurückgeführt werde. Er zeigt überzeugend, dass der angeblich schroffe, aber tatsächlich sehr fließende Gegensatz zwischen territorialstaatlichen Signorien und republikanischen Kommunen nicht nur für die kulturelle Produktion keine wesentliche Rolle spielte, sondern auch für die politische Praxis. Relevant sei er, so Fantoni, nur im ideologischen Bereich von politischer Theorie und Propaganda. Doch auch »Ideologie« oder »politische Systeme« sind Anachronismen für die Renaissance und für jede vormoderne Gesellschaft, in der die vom göttlichen Einzelherrscher verfügte Moral und ihre Gewährleistung als Gerechtigkeit, Friede und Eintracht das Kriterium politischen Handelns war. Das ist heute anders: Für uns ist die demokratische Legitimation unverzichtbar. Die Vormoderne trennte zwischen guter und schlechter Herrschaft, was letztlich von der moralischen Qualität der Herrschenden abhing, nicht von der Verfassung oder gar der Verwirklichung politischer Gleichheit.

Das zeigt sich in Coluccio Salutatis berühmter Stellungnahme in »De Tyranno«(1400): Dante habe die Caesar-Mörder Brutus und Cassius zu Recht im tiefsten Kreis der Hölle braten lassen. Seit Hans Baron haben moderne Interpreten dies als Inkonsequenz des Florentiner Kanzlers gedeutet, der doch sonst wortstark die Freiheit pries. Stefano U. Baldassarris Aufsatz zeigt indessen, dass Salutati nicht fragte, ob wegen Caesar eine – per se »gute« – Republik zu einer – per se »schlechten« – Einzelherrschaft degenerierte. Vielmehr ging es darum, ob Caesar ein Tyrann war, also ein persönlich verkommener Herrscher (wie sie in jeder, auch einer republikanischen Verfassung vorkommen konnte). Salutati verneinte diese Frage, denn Caesar sei nicht nur persönlich milde gewesen, sondern das Werkzeug Gottes, der eine Universalmonarchie errichten wollte. Wie Tyrannei die übelste, so war Monarchie für Salutati die beste Verfassung: Es gebe keine größere Freiheit als einem tugendhaften Fürsten zu gehorchen, wenn er das Gerechte befehle (»De Tyranno« 4,16).

Ähnlich wirkungsreich war ein Streit unter Humanisten über das politische Vorbild: Scipio Africanus (so Poggio) oder Caesar (so Guarino Guarini)? Im Gefolge Ernst Walsers stilisierte Baron die gelehrte Debatte zu einem Konflikt von »kraftvollen Geistesströmungen«, nämlich zwischen monarchischem und republikanischem »Staatsgedanken«. Gabriele Pedullà zeigt jedoch, dass es beiden beim Streit – wie oft bei Humanisten – darum ging, sich für Stellen am Hof zu empfehlen. Poggio pries Scipio nicht als Republikaner, sondern als Anführer, der bereit ist, sein Leben für das Gemeinwohl zu opfern. Umgekehrt tadelte Poggio in Caesar nicht den Monarchen, sondern den Tyrannen, womit er das Urteil seines Lehrers Salutati revidierte. Pedullà zitiert Pietro del Monte, der 1440 für Poggio in die Debatte eingriff und Guarino fragte, ob er denn nicht zwischen Königsherrschaft (über Zustimmende) und Tyrannei (über Widerwillige) unterscheiden könne. Auch in der modernen Republikanismusforschung muss man gelegentlich darin erinnern, dass Monarchie nicht Despotie bedeutete und schon gar nicht Tyrannei, obwohl solche impliziten Gleichsetzungen auch in diesem Buch auftauchen (S. 186, 205, 276).

Ebenso wenig ist Republikanismus dasselbe wie Demokratie oder deren Vorstufe. Das hält Marcello Fantoni für die italienischen Kommunen fest, doch ausgerechnet sein Mitherausgeber Fabrizio Ricciardelli folgt bereits in der Einleitung (S. 9–18) der teleologischen Interpretation von Republikanismus und bezeichnet die Kommunen als »initial form of democracy« (S. 111) oder »ante litteram form of democracy« (S. 126). Das begründet er mit dem zeitweise tatsächlich hohen Prozentsatz von Bürgern, die beratend oder über schnell rotierende Ämter an der Herrschaft partizipieren konnten. Ob es mehr waren als in vormodernen nordalpinen Reichsstädten, müsste man allerdings genauer vergleichen.

Weshalb aber vermieden die Zeitgenossen dabei das Wort »democratia«, das ihnen aus der antiken Überlieferung wohl vertraut war, und sprachen stattdessen vor allem von »civitas«? Die fundamentale Gleichheit selbst in einem kleinen Demos war der hierarchisch durchstrukturierten ständischen Gesellschaft fremd. Dass Reiche und Arme, Sittsame und Unsittliche, Dumme und Kluge, gar Männer und Frauen gleich sein könnten – nur weil sie Menschen sind; und dass eine politische Ordnung, die in erster Linie auf dieser Gleichheit beruht, auf Dauer funktionieren könnte, ohne im Trubel der Egoismen zu versinken: Diese Grundannahmen moderner Demokratie fehlten.

Die Verteilung der sehr knappen Ressourcen in Subsistenzgesellschaften konnte nach herrschender Überzeugung nicht durch Mehrheitsentscheidungen erfolgen, sondern nur durch die selbstlose und gerechte Entscheidung von Männern, die ihre Eigeninteressen hintanstellten, weil sie moralisch darüber erhaben und materiell abgesichert waren. Daher waren die Kommunen im 14. Jahrhundert, als nicht zuletzt wegen der demografischen Einbußen der Pest relativ breite Partizipation möglich war, keine »authentic radical alternative to the monarchist, seignorial and aristocratic governments« (S. 122). Vielmehr waren sie eine lokale Variante von Herrschaft über kleine Gebilde, welche die gottgewollte monarchische Grundprägung der Gesellschaft nicht in Frage stellte.

Die politische Theorie sah nicht die Demokratie, sondern das klassische Ideal der Mischverfassung als beste Voraussetzung, um die Egoismen der verschiedenen sozialen Gruppen auszugleichen und die moralischen Ziele Gerechtigkeit und Gemeinwohl zu verwirklichen. Selbst für den radikalsten Vertreter republikanischer Überzeugungen, Leonardo Bruni, war die Mischverfassung aus (überwiegend) Aristokratie und Demokratie erstrebenswert. Bei ihm allein gab es die Neigung, Monarchie mit Tyrannis zu identifizieren, wie David Marsh (S. 273) richtig festhält, aber zu Unrecht auch für Machiavelli geltend macht: Schon die Behandlung der gesetzestreuen Könige von Frankreich in »Discorsi« 1,16 beweist das Gegenteil.

Auch deshalb darf man sich fragen, ob Luca Baccellis Charakterisierung von Machiavelli als »filopopular, democratic republican« (S. 43) nicht ebenfalls anachronistisch ist, obwohl Baccelli explizit eine verstärkte Rückbindung der politikwissenschaftlichen Theoriebildung an die frühneuzeitliche historische Erfahrung befürwortet. Problematisch ist damit auch die Suche nach Parallelen zum heutigen Populismus, auf die er und Debora Spini sich bei der Erörterung von Freiheit von willkürlicher Beherrschung (»non-domination« nach Quentin Skinner und Philip Pettit) einlassen.

Guido Cappelli stellt den Venezianer Humanisten Lauro Quirini vor. Er aktualisierte um 1450 die »Politik« des Aristoteles in einer deutenden Übersetzung. Er drückte eine klare Präferenz für die Wahl von Herrschern aus, auch in Königreichen. Das entsprach dem Dogen als monarchischem Element der venezianischen Mischverfassung, die Quirini mit Anleihen auch bei Plato, Cicero und John of Salisbury idealisierte. Raphael Ebgi führt in das Florenz der Medici, wo Marsilio Ficino Plato ähnlich und damit politischer deutete, als das die geläufigen Interpretationen mit ihrem Fokus auf der Metaphysik tun. Ficino sah den Einzelherrscher als Philosophenkönig, der als vir civilis seine Mitbürger in Gremien wie dem Senat möglichst harmonisch mitwirken ließ, um das Gemeinwohl im ganzen politischen Körper zu verwirklichen. Etwas quer zur Thematik des Bandes liegt ein Beitrag von Giuseppe Francesco Mazzotta über Freiheit und Gnade bei Augustin und Dante.

Mario Ascheri präsentiert in Siena einen Republikanismus ohne theoretische, aber mit künstlerischer Ausgestaltung. Dessen Kern unterscheidet sich allerdings wenig vom Anspruch, an dem sich auch spätmittelalterliche Monarchen maßen: Gerechtigkeit, Freiheit, Einheit in einem Buon governo, das allen das zumaß, was ihnen zukam. Ob das als Gleichheit (S. 136: »equality«) bezeichnet werden sollte, kann man diskutieren.

Die modernen Assoziationen des Begriffs dürften in die Irre führen, was auch bei Samuel Cohns Überlegungen über lokale Revolten vor allem im 16. Jahrhundert möglich ist. Sein Ansatz ist sinnvoll, von der theoriegetriebenen Sprache der Eliten zu den Vorstellungen der breiten Bevölkerung vorzustoßen. Die Suppliken, die in den 1540er Jahren aus italienischen Gemeinden an Kaiser Karl V. gelangten, erweisen sich dabei als ertragreiche Quelle. Ob allerdings die Forderung von Gleichheit oder der Protest gegen Ungleichheit insbesondere bei Steuererhebungen (S. 167: »inegualissimo extimo«) tatsächlich in einem modernen Sinn als egalitär zu verstehen sind, müsste weiter erforscht sein. Näher liegt die Deutung als »(un-)gerecht«, nämlich hinsichtlich der Verteilung von Lasten. Das würde dem Wortgebrauch in hochkulturellen Texten bis ins 18. Jahrhundert entsprechen, als die Kategorie (Un-)Gleichheit erst anfing, politische und soziale Sprengkraft zu entwickeln (S. 164f.). Unabhängig davon müsste untersucht werden, ob für die Haltung hinter solchen Suppliken Cohns Etikette »Radical Republicanism« wirklich passt. An Anregungen für die Erörterung des längst etwas beliebigen Konzepts Republikanismus mangelt es jedenfalls nicht, und einige wichtige finden sich in diesem Sammelband vereint.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Thomas Maissen, Rezension von/compte rendu de: Fabrizio Ricciardelli, Marcello Fantoni (ed.), Republicanism. A Theoretical and Historical Perspective, Roma (Viella) 2020, 328 p. (Kent State University European Studies, 6), ISBN 978-8-8331-3555-7 (PDF), EUR 20,99., in: Francia-Recensio 2020/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2020.4.77621