Keine andere Person im Frankenreich aus der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts wird von der Überlieferung so gut beleuchtet wie der angelsächsische Missionar und Kirchenreformer Bonifatius. Einen eigenen Band in der Reihe »Brill’s Companions to the Christian Tradition« hat sich Bonifatius mehr als verdient. Das von Michel Aaij und Shannon Godlove herausgegebene Handbuch vereint insgesamt 18 Aufsätze von namhaften Forscherinnen und Forschern, die sich größtenteils zuvor schon in monografischen Arbeiten oder zahlreichen Aufsätzen mit Bonifatius beschäftigt haben.

Der erste von vier Teilen möchte das Wirken des Bonifatius aus unterschiedlichen Blickwinkeln kontextualisieren. Zunächst zeichnet Rudolf Schieffer in einem souveränen und ausgewogenen Überblick die wichtigsten Stationen, Ereignisse, Erfolge und Misserfolge im Leben des Bonifatius nach und bietet damit sozusagen ein Companion im Companion.

Barbara Yorke nimmt den westsächsischen Hintergrund des Bonifatius in den Blick, der ihn als Teil einer ethnischen Minderheit in einem von einem Nebeneinander von Christentum und Heidentum gekennzeichneten Umfeld stark geprägt habe. Dort erlernte Strategien wie der hohe Stellenwert von Familie und Landsleuten ließen sich bei ihm auch auf dem Kontinent beobachten. Mission benötigte Ressourcen in Form von Personen, Büchern, Vermögen und moralischer Unterstützung, die Bonifatius über sein Netzwerk zu beschaffen versucht habe, wie James Palmer in seinem Beitrag betont. Zur Aufrechterhaltung und Pflege seines Netzwerks habe Bonifatius verschiedene Strategien, etwa den Austausch von Geschenken und die Betonung von Familie, Freundschaft oder Ethnizität und vor allem der gemeinsamen Verantwortung für die Glaubensbrüder angewendet. Der Aufsatz von Felice Lifshitz beschäftigt sich mit den Frauen im Umfeld des Bonifatius, wobei die Autorin einen Schwerpunkt auf die weiblichen Netzwerke der Textüberlieferung legt. Den Frauen im Bonifatiuszirkel schreibt sie ein feministisches Bewusstsein zu, das als Widerstand gegen patriarchale Ideen zu verstehen sei.

Der zweite Teil widmet sich den schriftlichen Quellen von und über Bonifatius. Emily Thornbury betont in ihrem Beitrag über Bonifatius als Dichter und Lehrer, wie stark Bonifatius’ Latinität von Aldhelm von Malmesbury geprägt sei. Michel Aaij untersucht die Briefkorrespondenz des Bonifatius. Nach einleitenden Bemerkungen zu Entstehung und Überlieferung der Sammlung beleuchtet er verschiedene thematische Aspekte in den Briefen wie Mission, Gebet oder Freundschaft. Eine Gesamtübersetzung der Sammlung sieht er als dringendes Desiderat der Forschung.

Shannon Godlove widmet den Bonifatiusviten zwei Aufsätze. Im ersten Aufsatz untersucht sie die Vita Willibalds und arbeitet die Parallelen zur Bibel, insbesondere zu den Paulusbriefen, und zu altenglischen Texten wie dem Beowulf heraus. Willibalds Werk habe die Vorleistungen anderer Missionare unterschlagen und sei vermutlich zum Vorlesen gedacht gewesen. Die weiteren bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts entstandenen Viten behandelt sie weniger ausführlich in einem zweiten Aufsatz. Besonders nützlich ist die tabellarische Übersicht über alle Viten am Ende des Beitrags.

Rob Meens untersucht Predigten und Bußbücher, die sich zwar nicht Bonifatius selbst zuordnen ließen, aber einen Eindruck von Predigt und Bußpraxis in der Zeit und Region erlaubten, in der Bonifatius gewirkt habe. Er arbeitet insbesondere enge Bezüge zwischen dem »Excarpsus Cummeani« und den in der Briefkorrespondenz hervortretenden Anliegen des Bonifatius heraus. Michael Glatthaar schließt den zweiten Teil des Handbuchs mit einem Beitrag über Bonifatius und die Reformkonzilien ab. Er bespricht im chronologischen Durchgang nicht nur die drei erhaltenen fränkischen Konzilstexte (Concilium Germanicum, Estinnes, Soissons), sondern nimmt auch die erschlossenen Konzilien und weitere von ihm Bonifatius zugeschriebene kirchenrechtliche Texte wie die »Sententiae Bonifatianae Wirceburgenses« oder den sogenannten »Indiculus superstitionum et paganiarum« in den Blick.

Im dritten Teil rücken die Aktivitäten des Bonifatius auf dem Kontinent nach Regionen geordnet in das Blickfeld. Der Beitrag von Michael Moore zu Bonifatius in der Francia weist dabei naturgemäß zahlreiche Überschneidungen zu den bereits genannten Beiträgen Schieffers und Glatthaars auf. Auch wenn die genaue Funktion des Bonifatius bei der Krönung 751 umstritten sei, sieht Moore Bonifatius und seine Kirchenreform als Wegbereiter des Dynastiewechsels.

Unter Einbeziehung archäologischer Quellen beleuchtet John-Henry Clay die christlichen Anfänge und Bonifatius’ Aktivitäten in Hessen und Thüringen. Auch wenn Bonifatius hier besonders viele Rückschritte zu erleiden gehabt habe, betont Clay die Bedeutung der unter Bonifatius geschaffenen Strukturen für die weitere Christianisierung. Schwierig zu beurteilen sei auch der Einfluss des Bonifatius in Bayern, wie Leanne Good in ihrem Beitrag herausstellt. Seine Erfolge in dieser Region seien wohl geringer anzusetzen, als dies in der Vita Willibalds geschehe. Als Entgegnung auf das in der Vita verbreitete, einseitige Bild von einer fehlenden Kirchenstruktur in Bayern vor Bonifatius seien in mehreren bayerischen Bistümern hagiografische Texte entstanden, um die ältere Vergangenheit der bayerischen Kirche zu rühmen.

Mit einem starken Fokus auf den Quellen schildert Marco Mostert die drei Aufenthalte des Bonifatius in Friesland, die er in die allgemeine Geschichte der Region in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts einbettet. Dem zweiten Aufenthalt (719–721) misst Mostert den größten Einfluss auf Bonifatius zu, da der noch unerfahrene Missionar hier das »Utrechter Modell« der Mission von Willibrord habe erlernen können.

Der vierte und letzte Teil ist dem Nachleben des Bonifatius gewidmet. Petra Kehl geht der frühen Verehrung an den Wirkungsstätten des Bonifatius (Fulda, Mainz, Dokkum und Utrecht, England) nach und verfolgt die Ausbreitung des Bonifatiuskultes im Mittelalter. Die komplexe Bonifatiuserinnerung in Fulda greift Janneke Raaijmakers in einem eigenen Beitrag auf. Sie arbeitet heraus, wie in Fulda die Erinnerung des Bonifatius immer wieder an die Ziele der eigenen Zeit angepasst worden sei. Zwei Aufsätze über Bonifatius als politischen Heiligen im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts von Siegfried Weichlein und über die Verehrung und das Bonifatiusbild in der Moderne mit Schwerpunkt auf Deutschland und den Niederlanden von Michel Aaij runden das Handbuch ab.

Die einzelnen Beiträge ergänzen sich gut und beleuchten Bonifatius’ Leben, Wirken und Nachwirken in all seinen Facetten. Positiv hervorzuheben ist, dass unterschiedliche Positionen der Autoren wie beispielsweise bei der Einordnung des sogenannten »Indiculus superstitionum« ausdrücklich transparent gemacht werden. Mehrere Karten erleichtern die Orientierung. Ein detailliertes Personen-, Orts- und Sachregister ermöglicht einen leichten Zugriff. Kleinere Unstimmigkeiten wie »Neuberg« statt Neuburg (S. 310), »Francis Theuws« statt Frans Theuws (S. 528) oder der Bezug auf den von Heinrich Wagner postulierten Schutzbrief Karlmanns (S. 48) ohne Rezeption der im gleichen Band des »Deutschen Archivs« erschienenen Replik Ingrid Heidrichs (67 [2011], S. 625–633) vermögen es nicht, den Wert dieses gelungenen Handbuchs zu schmälern.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Patrick Breternitz, Rezension von/compte rendu de: Michel Aaij, Shannon Godlove (ed.), A Companion to Boniface, Leiden, Boston (Brill Academic Publishers) 2020, XVIII–562 p. (Brill’s Companions to the Christian Tradition, 92), ISBN 978-90-04-33851-7, EUR 239,00., in: Francia-Recensio 2021/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.79486