Diese an der Universität Rennes verteidigte Dissertation thematisiert eine bislang in Mitteleuropa kaum beachtete Spielart weiblicher Laienreligiosität. Die beatas im Königreich Kastilien lebten wie die nordeuropäischen Beginen des 13.–15. Jahrhunderts als fromme Frauen in der Welt. Sie verpflichteten sich zu einem Leben in Keuschheit und Gebet, das auf verschiedene Weise ausgestaltet werden konnte. In den Beginen sieht der Autor die Vorbilder und vermutet auch in deren Namen die Wurzel der Bezeichnung beata, die ab ca. 1400 in den Quellen nachweisbar ist. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts wird die Überlieferung dichter, und das Königreich Kastilien weist nicht zuletzt wegen des Engagements seiner Herrscher zugunsten der frommen Frauen eine günstige Quellenlage auf.
Standen bislang in der fast ausschließlich spanischen Forschung die Viten heiligmäßiger beatas im Vordergrund, allenfalls ergänzt durch Chroniken, so werden in dieser Arbeit erstmals Archivalien umfassend ausgewertet, die sozialhistorische Untersuchungen ermöglichen und politische Hintergründe erhellen: Gründungs- und Schenkungsurkunden, Testamente und Notariatsakten, Rechnungen, Suppliken, herrscherliche und päpstliche Reskripte und Bullen sowie Inquisitionsakten. Durch die Konfrontation der juristischen und diplomatischen mit den erzählenden Quellen kann der Autor jenseits von hagiografischen Elogen oder inquisitorischen Verdikten soziale und ökonomische Entwicklungen mit Ursachenbündeln aufzeigen sowie institutionelle Rahmenbedingungen offenlegen. Dies geschieht auf der beeindruckenden Grundlage eines Corpus von 354 namentlich ermittelten beatas und 195 nachgewiesenen Konventen, den sogenannten beaterios.
Das Buch besteht aus vier Teilen. Der erste behandelt Quellen, Vorgeschichte, Überlegungen zum Namen beata und Definitionsprobleme, widmet sich ferner den Anfängen in Toledo und der geografischen Verbreitung der beaterios in den Städten Kastiliens und schließlich der sozialen Herkunft der Frauen. Teil zwei befasst sich mit den Regeln der Gemeinschaften und ihrer Umsetzung in kontemplativer und aktiver Lebensführung. Der dritte Teil widmet sich wirtschaftlichen Aspekten, und ein chronologischer Abriss bildet den letzten Teil der thèse, die durch eine Zusammenfassung, mehrere Anhänge (Quellenabschriften und Verzeichnisse zu den beaterios), Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein Namensregister abgerundet wird.
Die Darstellung selbst ist breit ausgeführt und detailreich, wobei zahlreiche Quellenzitate (in Übersetzung) zur Veranschaulichung beitragen. Freilich bauen die einzelnen Teile nicht aufeinander auf, was zu manchen Wiederholungen führt und bisweilen sprunghaft wirkt. Es ist empfehlenswert, nach der Lektüre des ersten Kapitels den chronologischen Teil zu lesen, um derart vorbereitet die Befunde zu den Einzelaspekten besser einordnen zu können.
Die im Vergleich mit Nordeuropa zeitversetzte Entwicklung der weiblichen Laienreligiosität resultiert aus dem reformerischen Elan und spirituellen Aufbruch des 15. Jahrhunderts in Spanien. Impulse der Devotio moderna, verbreitet auch durch den Buchdruck, wurden von zahlreichen Laien aufgegriffen. Die Katholischen Könige und ihre Granden sowie Episkopat, Weltklerus und Bettelorden förderten und schützten diese Initiativen während der Aufstiegs- und Konsolidierungsphase, die um 1450 einsetzte und um 1520 endete. Überregional bekannte beatas wie Juana de la Cruz († 1534) wurden von Mächtigen wie von kleinen Leuten als heiligmäßig verehrt; Viten verbreiteten ihren Ruhm. Auf lokaler Ebene öffneten sich beaterios auf vielfältige Weise ihrer Nachbarschaft und erlangten durch Unterricht, Kleindarlehen, Verleih von Gerät und Sorge für Bedürftige die Anerkennung ihrer Umwelt.
Diese »période dorée« (S. 303) endete durch die in Spanien als starke Bedrohung erlebte Reformation, die eine Ära des Misstrauens und der Verdächtigungen einleitete. Vorwürfe nur geheuchelter Frömmigkeit und laxer Moral, die schon vorher vereinzelt geäußert geworden waren, verdichteten sich zu Angriffen auf die Ehrbarkeit der Frauen, vereinzelt auch auf ihre Rechtgläubigkeit. Inquisitionsprozesse gegen beatas wegen vermuteter Nähe zu den Illuminaten waren zwar sehr selten, doch führte die Inquisition insgesamt zu wachsender Kontrolle (»encadrement progressif«, S. 351) der beaterios. Die Vorschriften des Trienter Konzils taten ein Übriges, um die meisten beaterios als Klöster der Zweit- oder Drittorden neu zu strukturieren. Nach 1600 fanden fromme Frauen spirituelle Angebote und karitative Betätigungsfelder bei neuen Orden wie Kapuzinerinnen, Salesianerinnen und Ursulinen.
Laurey Braguier legte seine umfassenden Untersuchungen quellennah und ergebnisoffen an. Daher besteht die große Stärke seiner thèse in der breiten Differenzierung der Ergebnisse. Der Autor unterscheidet zwischen beatas, die »für sich« (seorsum, wie es in den Quellen heißt) in eigenen Häusern lebten, Mitgliedern der beaterios und jenen beatas, die in Gemeinschaften mit Drittordensregeln enger mit den Bettelorden verbunden waren. Die soziale Bandbreite reichte vom Hochadel einschließlich des Königshauses (vor allem in der Frühzeit des Phänomens) über städtische Ober- und Handwerksschichten bis hin zu armen Witwen aus Stadt und Land.
Wenn sich diese Frauen Konventen anschlossen, so konnten ihre beaterios in unterschiedlicher Verbindlichkeit unter kirchlicher oder säkularer Aufsicht stehen (völlig unabhängig waren sie selten), befolgten individuelle Hausregeln und erhielten Zuwendungen hochmögender Gönner, Schenkungen aus Testamenten und Almosen kleiner Leute. Es gab sehr reiche beaterios von vornehmen Damen, wohl nicht unähnlich den Damenstiften Deutschlands, und auch sehr arme, die den wirtschaftlichen Schwierigkeiten des 16. Jahrhunderts nicht standhielten und eingingen. Im Zentrum der Lebensweise als beata stand die freiwillige Ehelosigkeit und das fürbittende Gebet für Lebende und Verstorbene, weniger die vita activa im Dienst am Nächsten. Wie der Autor treffend resümiert: »Entre crainte et admiration, elles intriguent leurs contemporains mais aussi les historiens, car elles défient la généralisation« (S. 69).
Die spanischen servantes de Dieu weisen zum einen frappierende Ähnlichkeiten mit den nordeuropäischen Beginen früherer Zeiten auf, und zwar sowohl hinsichtlich der Strukturen (einzeln lebende Frauen, unverbundene Konvente mit verschiedenen Lebensregeln, vorwiegend urbanes Phänomen) als auch deren Entwicklungen im Laufe der Zeit (Ausweitung der sozialen Rekrutierung, Verdächtigungen hinsichtlich der Ehrbarkeit usw.). Zum anderen entstanden im Zusammenhang mit der Devotio moderna zahlreiche Tertiarinnen-Gemeinschaften einer »zweiten religiösen Frauenbewegung« auch in den Niederlanden des 15. und 16. Jahrhunderts. Daher eröffnen sich mit dieser Arbeit neue Perspektiven vergleichender Studien auf europäischer Ebene.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Letha Böhringer, Rezension von/compte rendu de: Laurey Braguier, Servantes de Dieu. Les »beatas« de la couronne de Castille (1450–1600). Préface d’Isabelle Poutrin, Rennes (Presses universitaires de Rennes) 2019, 512 p., nombr. ill., graph., cartes, fac-sim. (Histoire), ISBN 978-2-7535-7685-8, EUR 30,00., in: Francia-Recensio 2021/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.79492