Das Buch von Damien Carraz gehört zu den wenigen Doktorarbeiten, die eine zweite Auflage erleben durften. Die ursprüngliche Dissertation, die unter der Anleitung von Jacques Chiffoleau entstand und 2005 unter demselben Titel erschien, wurde aktualisiert und inhaltlich nachgeschärft, insbesondere in Bezug auf die Verortung der Quellen. Bei den Quellen handelt es sich fast ausschließlich um Urkunden, die zwar über die in der Bibliothèque nationale de France aufbewahrte Collection d’Albon weitgehend zugänglich sind. Doch betont Carraz, dass diese Sammlung nicht uneingeschränkt zuverlässig ist. Eine Sichtung des originalen Archivmaterials sei unumgänglich. Ausweislich des Quellenregisters im Anhang hat der Autor fast 1000 Urkunden aus den Archiven der Provence und darüber hinaus über 200 päpstliche Bullen ausgewertet.
Das Ergebnis ist eine Studie zu den Templern in der Provence, die zugleich eine Charakteristik der Region bietet, in deren Mittelpunkt zwar die Ritterorden stehen, die aber die Provence des Hochmittelalters in einen religiösen, von der Kreuzzugsideologie geprägten Kontext einordnet. Die große Politik zwischen Papsttum und Königtum, zwischen Staufern und Angevinen wird ebenso beleuchtet wie die lokalen und überregionalen ökonomischen Verflechtungen oder die örtlichen Herrschaftsstrukturen. Als Teil von alledem stehen bei diesen Betrachtungen die Templer im Mittelpunkt, wobei auch die Johanniter immer wieder, nicht nur vergleichend, einbezogen werden.
Dies entspricht dem selbst gesetzten Ziel des Autors: Carraz wollte keine Spezialabhandlung über die Templer in der Provence schreiben, sondern den Ritterorden in den weltlichen und kirchlichen Netzwerken verorten und als Teil der Geschichte darstellen. Die Rolle der Zivilisation des Hochmittelalters, der Wandel der Gesellschaft, das theokratische Konstrukt der Kirche und das Entstehen der Staatlichkeit bilden dabei den Rahmen. Zurecht beklagt Carraz, dass die Ritterordensforschung zu oft isoliert auf die Ritterorden bezogen ist, ohne eine Einbettung in die allgemeine Geschichte vorzunehmen.
Zunächst wird die Provence und ihre Bedeutung für die Kreuzzüge und die Kreuzzugsideologie dargestellt, bzw. umgekehrt die Bedeutung der Kreuzzüge für die Provence. Hervorgehoben wird die Vorgeschichte der Region als bevorzugtes Ziel muslimischer Piraten und als Ort der muslimischen Enklave von Fraxinetum. Doch in späterer Zeit, im 13. Jahrhundert, hatte die Provence ihre Bedeutung nicht verloren und fungierte als wichtiges Element in den Kreuzzugsplänen Innozenz‘ III., in welche die Ritterorden eingebunden waren. Später, seit der Zeit Gregors X., haben die Päpste zunehmend die Johanniter gegenüber den Templern bevorzugt, was Carraz darauf zurückführt, dass die Provence für die allgemeine Politik der Templer eher ein Randgebiet darstellte, während die Johanniter hier ihre ersten abendländischen Besitzungen hatten und Avignon sowie Saint-Gilles zentrale Orte für ihre Politik blieben.
In der Region war der Orden in vielfältiger Weise mit dem lokalen Adel und Klerus verbunden. Dies betrifft die Förderung durch Schenkungen ebenso wie Konkurrenzsituationen weniger mit den Bischöfen als vielmehr mit den Äbten. Carraz untersucht die besitzrechtliche Verankerung der Templer und stellt unterschiedliche Vertragsgestaltungen fest. Besonderen Wert legt er auf eine Differenzierung zwischen den Templern auf dem Land und in der Stadt. Die bisherige Forschung habe in den Ritterorden zu Unrecht eine eher ländliche Erscheinung gesehen. Doch in der Provence waren die Templer – eine meridionale Besonderheit, so der Autor – auch Teil des städtischen Milieus.
Die Templerkommenden selbst waren nur mit wenigen Ordensmitgliedern besetzt, doch gleichwohl Teil eines Geflechts aus Templerbrüdern, confratres und Getreuen. Hinzu traten Notare und Prokuratoren aus der Laienschicht, die für den Orden tätig waren. Der Orden übte Herrschaft über Land und Leute aus, nicht selten teilten sich die Templer Besitzrechte mit ihren adligen Nachbarn, zu denen der Orden insgesamt ein gutes Verhältnis unterhielt. Gegen Ende des 13. Jahrhunderts stellt Carraz zunehmende Feindseligkeiten gegen die Ritterorden fest, die sich in der Provence meist im ökonomischen Bereich abspielten oder sich im Ungehorsam gegenüber ihrer Grundherrschaft manifestierten. Carraz sieht auch darin einen Wandel der Einstellung gegenüber den Ritterorden, die mehr und mehr als anachronistisch empfunden wurden, weil es ihnen nicht gelang, »die Trennung von Religiösem und Politischem zu leben und zu denken«.
In der großen Politik hatten die Templer vermittelnde oder zurückhaltende Positionen eingenommen, wie im Konflikt der Päpste mit den Staufern. Später stellten sie sich auf die Seite der Angevinen, die sie trotz Zehntbefreiung bei ihren Unternehmungen in Süditalien finanziell unterstützten. In den Albigenserkriegen standen sie hinter den Montforts, doch waren sie nicht aktiv in die Kämpfe eingebunden.
Das Werk wird beschlossen von einem umfangreichen Anhang, bestehend aus genealogischen Tafeln der wichtigsten Adelsfamilien im Umfeld des Ordens, einem Katalog der benutzten Urkunden sowie einem Register (Namen, Orte, Sachverzeichnis).
Damien Carraz hat eine umfassende Gesamtdarstellung der Templer in der Provence vorgelegt, die weit über eine Regionalstudie zu diesem Ritterorden hinausgeht. Seinem eigenen Anspruch, die Templer als Teil der allgemeinen Geschichte darzustellen, ist der Autor durchaus gerecht geworden.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Christian Vogel, Rezension von/compte rendu de: Damien Carraz, L’ordre du Temple dans la basse vallée du Rhône (1124–1312). Ordres militaires, croisades et sociétés méridionales. Préface de Philippe Josserand, Lyon (Presses universitaires de Lyon) 2020, 602 p., 29 cartes, pl., ill., 13 tabl. (Collection d’histoire et d’archéologie médiévales, 17), ISBN 978-2-7297-1212-9, EUR 35,00., in: Francia-Recensio 2021/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.79546