Die archäologische und numismatische Forschung hat in den vergangenen Jahren wieder verstärkt den Blick auf das Phänomen der massenweisen Hortung von Edelmetall in Form von Münzen, Barren und Schmuck in den skandinavischen und slawischen Regionen Nord- und Osteuropas im Frühmittelalter gerichtet. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage nach der Funktion und Entwicklung solcher Hortvorkommen für die jeweils dahinterstehenden Gesellschaften. Dariusz Adamczyk fokussiert nun in einer umfassenden Studie den ostmitteleuropäischen Raum zwischen 800 und 1200. Gleich auf dem Buchdeckel introduziert er eine Trias von Fachbegriffen – Monetarisierungsmomente, Kommerzialisierungszonen und Silberverteilungsnetzwerke –, deren präzise Definition für die Debatte um den Grad der Monetarisierung frühmittelalterlicher Gesellschaften im weiteren Forschungsdiskurs von entscheidender Bedeutung sein wird.
Bei der Formulierung seiner einleitenden Fragestellung (S. XI‑XIV) geht der Verfasser dabei von der Erkenntnis aus, »dass die Entwicklung der Märkte und die Nutzung von Edelmetallen keineswegs isoliert von gesellschaftlichen, politischen, fiskalischen und kulturellen Prozessen betrachtet werden können« (S. XIV). Hierbei weist er auf eine Dichotomie des Forschungsstandes hin, der sich im Wesentlichen auf den Gegensatz zwischen einer kulturwissenschaftlichen (Archäologie) und ökonomischen (Geldgeschichte / Numismatik) Sichtweise reduzieren lässt: Im ersten Fall dient die Anhäufung von (Münz-)Schätzen der Regulierung und Repräsentation von Macht und Prestige und im zweiten Fall der Akkumulation von Vermögen und der Monetarisierung von Marktbeziehungen (S. XVXVII).
Im Mittelpunkt stehen die »Gewichtung der einzelnen Motive der Silberhortung« (S. XVIII), die sich nicht gegenseitig ausschließen, und die Feststellung, dass es keine »lineare Entwicklung der Nutzung von Edelmetallen als Zahlungsmittel […] von primitiveren Formen […] zur vollständigen Monetarisierung« (S. XVIII) gibt. Zu Recht weist der Verfasser darauf hin, dass in der (polnischen, skandinavischen und deutschen) Forschung bislang der Schwerpunkt vor allem auf der letzten Phase der Silberverwendung in den jeweiligen Zielregionen lag. Die historischen Entwicklungsprozesse hinter dem skizzierten Schlussphänomen und die dahinterstehenden Verteilungsnetzwerke von Edelmetallen wurden dagegen noch nicht ausreichend untersucht, was Dariusz Adamczyk nun am Beispiel Ostmitteleuropas chronologisch geweitet und zugleich geografisch konzentriert unternehmen will.
Die eigentliche Studie zerfällt dabei in zwei Hauptuntersuchungen: Der umfangreichere erste Teil (S. 1–158) beschäftigt sich mit dem »äußeren Umlauf« von Edelmetallen, den »Netzwerke[n] der Silberdistribution, also Geflechte[n], die verschiedene Gesellschaften über kommerzielle, fiskalische, politische, kulturelle oder andere Interaktionsformen miteinander verknüpften« (S. XXII). Unter den näher analysierten Silberverteilungsnetzwerken versteht der Autor »Gruppen von Akteuren, die Systeme bzw. (Infra)Strukturen schufen, die dem Transfer und Umlauf von Silber dienten« (S. 6). Entlang der »Erwerbungstrias« des Silbers, bestehend aus Tributen und Abgaben, Raub- und Beutezügen sowie Handel und Gewerbe, betrachtet er dabei die Entstehung und Transformation verschiedener regionaler Handels-, Tribut- und Raubökonomien keinesfalls als räumlich und zeitlich getrennte, sondern direkt aufeinander bezogene und sich abwechselnde oder ergänzende Systeme.
Dies gelingt ihm durch die geschickte Kompilation von zahlreichen archäologischen (Be-)Funden (Siedlungsreste, Gräberfelder, Handelsobjekte etc.), Münzhorten und Schriftquellen quer durch Europa, die gekonnt aufeinander bezogen und miteinander zu einem äußerst komplexen Gesamtbild verwoben werden. Abgerundet wird die Betrachtung durch sprachgeschichtliche Exkurse als komplementäre Quelle für Handelsbeziehungen – wie beim altrussischen ščljag und dessen Beziehung zum altnordischen skillingr sowie zum altslawischen stljaz und lateinischen solidus.
Die Rekonstruktion von Handelswegen erfolgt zumeist durch die Lage von Burgsiedlungen als Zentralorten entlang der großen Flüsse als den Hauptverkehrsadern. Diese verschiedenen Burg(siedlung)en fungierten zugleich als Knotenpunkte für Abgaben, Handel und Beutegut, wobei der Verfasser die dahinterstehenden Ökonomien mit dem Begriff »Raubhandel« treffend umschreibt: Eine genaue Unterscheidung zwischen Krieger und Händler erscheint für den untersuchten Zeitraum in Osteuropa ebenso wenig zielführend wie dies in der Forschung bereits für Nordeuropa bemerkt worden ist. Zugleich lässt er erkennen, dass die von der Wirtschaftsgeschichte als transeuropäische Fernhandelsrouten verstandenen Verkehrswege sich in der zeitgenössischen Realität vielmehr als die Summe kleinteiliger Verteilungsnetzwerke darstellten.
Diese wiederum beruhten vor allem auf interpersonalen Beziehungsgeflechten und weniger auf ökonomischen Marktverflechtungen. Generell ist der wirtschaftliche Wandel für ihn mit der Imperienbildung verknüpft: Im Falle der Nordmänner (Wikinger) führte der Weg von einer auf Raub und Tribut beruhenden, in sich noch labilen Thalassokratie hin zu stabileren, auf das agrarische Hinterland orientierten Aristokratien mit einem effizienteren Handels- und Besteuerungssystem, in dem dann auch eine eigenständige Münzprägung ihren (herrschaftspolitischen und ökonomischen) Platz fand. Hierbei gilt es stets, konjunkturelle Rhythmen und strukturelle Brüche zu berücksichtigen, die sich auch in den Funktionen von Edelmetall in gemünzter und ungemünzter Form innerhalb der Netzwerke und Gesellschaften niedergeschlagen haben. Diese vom Verfasser definierten sechs Funktionen (S. 155) lassen verschiedene wirtschaftliche, soziale und politische Kontexte erkennen, die aber immer ganzheitlich betrachtet werden müssen, um einseitige Fehlinterpretationen der Objekte (Barren, Münzen oder Schmuck) vor dem jeweiligen Untersuchungshorizont auszuschließen.
Der deutlich kürzere zweite Teil (S. 164‑245) beschäftigt sich mit dem »inneren Umlauf« von Edelmetallen – also deren jeweiligem Verwendungszweck. Dabei stützt er sich im Gegensatz zum ersten Teil weitaus stärker auf die archäologischen Funde, obwohl die Schriftlichkeit doch gerade im 11./12. Jahrhundert für die osteuropäischen Grenzräume dichter wird. Hierbei versucht Dariusz Adamczyk zu ergründen, unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen jeweils ökonomisch-kommerzielle und politisch-fiskalische Gründe von zentraler Logik für den Edelmetallgebrauch waren, wobei symbolische Handlungen stets mitgedacht werden müssten. Vereinfacht ausgedrückt geht es ihm um das Gegensatzpaar Homo oeconomicus versus Homo politicus oder Markt und Macht (S. 161).
Wenig erstaunlich kommt er dabei zu dem Schluss, dass es kein Entweder-Oder, sondern vielmehr ein Nebeneinander von Gewichtsgeldökonomie und Münzwirtschaft gegeben hat. Hierbei spiegelt für ihn die Hacksilberökonomie und damit die Gewichtsgeldwirtschaft eher fiskalisch-politische Bedürfnisse wider: Es handelt sich um Redistributionsmechanismen zwischen Eliten und ihren lokalen Klienten, die aus dem Silbervorrat entlohnt wurden. Die Münzwirtschaft entspringt dagegen eher ökonomisch-kommerziellen Bedürfnissen, da sie die normierte Übertragung von Werten innerhalb von Handelsnetzwerken ermöglicht.
Es lassen sich also weder ein linearer Verlauf noch eine ökonomische Konstanz feststellen, sondern vielmehr die anhaltende Unbeständigkeit kommerzieller Logik – die der Verfasser mit dem Wort »Monetarisierungsmomente« umschreibt – und damit Phasen unterschiedlicher Dominanz von verschiedenen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen, die aufeinander bezogen sind. Hierdurch zeichnen sich die von ihm im Titel genannten verschiedenen Kommerzialisierungszonen ab. Der Beginn und die Normierung einer eigenen Münzprägung in den skandinavischen und slawischen Gesellschaften sind dabei eher als politische Veränderungsprozesse zu erklären: Die Entstehung einer Zentralmacht mit einem auf christlicher Symbolik beruhenden Herrschaftsanspruch fand ihren monetären Ausdruck in entsprechenden Münzbildern, die der Besteuerung und Abgabenerhebung dienten. Da fremde Münzen noch länger akzeptiert und teilweise nachgeahmt wurden, können für den Verfasser hierbei weniger ökonomische Gründe eine Rolle gespielt haben.
Auch stellen Gewichtsgeldökonomie und Münzgeldökonomie demnach keine aufeinanderfolgenden ökonomischen Entwicklungsschritte von rudimentären zu differenzierteren Strukturen dar, sondern sind Ausprägungsformen der sich dahinter verbergenden Gesellschaftssysteme. Inwieweit aber letztlich die tiefgreifenden sozialen Transformationsprozesse (Urbanisierung, Burgenbau oder Landesausbau) der »Geburt Europas aus dem Geist der Gewalt« (Robert Bartlett) zugleich eine zunehmende Monetarisierung Osteuropas seit dem 13. Jahrhundert abbilden, überlässt Dariusz Adamczyk zukünftigen Untersuchungen, womit die Studie denn auch etwas abrupt endet.
Bei alledem offenbart sich eine beeindruckende Materialkenntnis der für den Autor relevanten Schatzfunde und Schriftquellen. Wer sich allerdings in der Geografie und Geschichte Nord- und Osteuropas nicht gut auskennt, dürfte an der einen oder anderen Stelle auf entsprechende Lexika und Atlanten angewiesen sein, da diesbezügliches Wissen vom Verfasser weitestgehend vorausgesetzt wird. Etwas mehr Karten oder kurze historische Exkurse wären an der einen oder anderen Stelle hilfreich gewesen.
Insgesamt könnte die Studie auch zu einer Neubewertung der Münzprägung und Geldwirtschaft im ottonischen Reich des 10. Jahrhunderts führen, da der Fokus von den Silbervorkommen des Harzes stärker auf die Silberverteilungsnetzwerke in Osteuropa als Grund für den »Münzstättenboom« verlagert wird. Vieles von dem, was Dariusz Adamczyk bringt, ist in wirtschaftshistorischen und münzkundlichen Forscherkreisen nicht ganz neu, aber es beruhte selten auf einer derart breiten Schrift- und Sachquellenbasis und erklärt erstmals die sich abzeichnenden mittel- und nordeuropäischen monetären und pekuniären Transformationsprozesse aus dem Blickwinkel der sich wandelnden osteuropäischen Gesellschaften heraus. Dies (so bleibt zu hoffen) wird sicherlich zu weiteren Diskussionen anregen. Vor allem die von Dariusz Adamczyk resümierten und hinterfragten Indikatoren für die Monetarisierung Europas zwischen Früh- und Hochmittelalter (S. 162f.) sollten zu weiteren Einzelstudien anregen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Sebastian Steinbach, Rezension von/compte rendu de: Dariusz Adamczyk, Monetarisierungsmomente, Kommerzialisierungszonen oder fiskalische Währungslandschaften? Edelmetalle, Silberverteilungsnetzwerke und Gesellschaften in Ostmitteleuropa (800–1200), Wiesbaden (Harrassowitz Verlag) 2020, XXIV–306 S., 2 Diagr., 14 Kt., 26 Tab. (Deutsches Historisches Institut Warschau. Quellen und Studien, 38), ISBN 978-3-447-11464-6, EUR 64,00., in: Francia-Recensio 2021/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.79549