Die aus der Schule von Harald Siems stammende Dissertation nimmt im Wesentlichen die beiden Erlasse Karls des Großen zur Angleichung der Rechtsverhältnisse des bayerischen Dukats unter die Lupe, was an sich ein Desiderat der Forschung seit Langem ist. Bezeichnend für beide ist, dass sie im historischen Kontext einer politischen Wende für Bayern stehen, die zugleich Stationen der expansiven und imperialen Herrschaft Karls des Großen markieren: In der Zeit des Herrscherwechsels der Jahre 787/788 war das in Bayern bestehende System durch das »Capitulare Baiwaricum« an die fränkische Schicht, die lange schon im Land war, anzupassen, insbesondere im Bereich des Kirchensystems, der Gefolgschaft und des Grenzschutzes.

Dies wird in der Arbeit breit diskutiert anhand der allgemein bekannten Sekundärliteratur, wobei auch die Frage gestellt wird, ob der Text nicht erst in kaiserlicher Zeit Karls entstanden sei, etwa zwischen 803 und 810 (S. 174). Es wird auf die bayerischen Verhältnisse nach Stephan Freund, Joachim Jahn und anderen breit eingegangen, Dinggenossenschaft und Versammlungen werden nach der allseits bekannten Literatur diskutiert – was eine gute Zusammenschau vor allem für die jüngere Forschergeneration bietet –, und die rechtshistorische Spezialliteratur ist eingearbeitet. Inwieweit sich gesellschaftliche Veränderungen abzeichnen, bleibt offen, da etwa die vielen urkundlich überlieferten synodalen Treffen der Geistlichkeit nicht thematisiert sind. Gerade hier zeigt sich aber, dass schrittweise an einer Veränderung der politischen Verhältnisse mittels eines sich verfeinernden Kirchensystems gearbeitet wurde.

Die »Capitula ad legem Baiwariorum addita« werden im Kontext der Rechtsreform des Kaisers von 802/803 diskutiert, was Sinn macht. Der imperiale Rombezug des Frankenreichs gab nun den Anlass für Reformen. Im Zentrum stehen die octo banni, worin der Verfasser ein Indiz zur »Schaffung von neuem Recht« sieht; klassisch hingegen sind der Schutz von Kirchen, Witwen und Waisen, das Vorgehen gegen Frauenraub, Brandstiftung und Zusammenrottung von Gruppen, also auch gegen Widerstand im Reich, und das jetzt auftretende Delikt des Fernbleibens bei anbefohlenem Heereszug. Letzteres mutet umso merkwürdiger an, als Karl der Große seine letzten Lebensjahre sehr friedlich verbrachte und etwa gegen die Dänen lieber seine exquisiten Magnaten ziehen und mit ihnen verhandeln ließ.

Im dritten Teil wagt der Verfasser die Vermutung, dass das bayerische Stammesrecht vielleicht generell dem fränkischen angeglichen werden sollte, was aber mit Blick auf die sozialen und rechtlichen Verhältnisse im bereits 774 eroberten Langobardenreich eher abzulehnen wäre. Gerade hier, im oberitalienischen Schmelztiegel der gentilen Vermischung durch Umsiedlung von Alemannen und Bayern in den Süden, hätte eine Vereinheitlichung des Rechtes doch eher zu Unruhen geführt, und die zahlreich erhaltenen Urkunden haben überliefert, dass sehr genau nach den Stammesrechten personenbezogen unterschieden wurde.

Der Wert der Arbeit liegt also in der rechtshistorischen Interpretation der kurzen Rechtstexte in den beiden Dokumenten, weniger im historischen Bereich. Ob man für das Jahr 550, mit welchem Felix Grollmann gewagt seine Studie beginnt und dies auch im Resümee wiederholt, schon von einem »bayerischen Herzogsamt« sprechen kann und möchte, mögen die Leserinnen und Leser selbst entscheiden. Der Amtscharakter des Herzogtums wird in der Literatur seit Jahren diskutiert, freilich zutreffend für ganz andere Zeiten.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Adelheid Krah, Rezension von/compte rendu de: Felix Grollmann, Vom bayerischen Stammesrecht zur karolingischen Rechtsreform. Zur Integration Bayerns in das Frankenreich, Berlin (Erich Schmidt Verlag) 2017, XII–469 S. (Abhandlungen zur rechtswissenschaftlichen Grundlagenforschung. Münchener Universitätsschriften. Juristische Fakultät, 98), ISBN 978-3-503-17635-9, EUR 99,95., in: Francia-Recensio 2021/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.79553