Von den Regna, die im 9. und 10. Jahrhundert aus dem fränkischen Großreich entstanden, hat das Königreich Burgund als ein gewissermaßen verwaistes Reich, dessen Erbe kein moderner Nationalstaat reklamiert, in der historischen Forschung lange nur vergleichsweise geringes Interesse gefunden. Dies hat sich in den vergangenen Jahren nicht zuletzt durch die Arbeit der Herausgeberinnen und Herausgeber dieses Bandes geändert, doch noch immer gibt es Forschungslücken für Burgund und seine Regionen; das »burgundische Dickicht« (S. 27) bleibt unübersichtlich.

Ein Desiderat war sicherlich die politische Geschichte der Metropole Besançon und der sie umgebenden Grafschaft Burgund, der sich die Herausgeber mit diesem Band angenommen haben. Er beruht auf den Vorträgen einer Freiburger Tagung des deutsch-französischen Netzwerks »Junge Mediävistik« im Jahr 2015, die durch weitere Beiträge ergänzt wurden. Die neun Aufsätze umspannen die Zeit vom 9. bis zum 13. Jahrhundert, wobei ein klarer Schwerpunkt auf der Zeit Friedrich Barbarossas liegt, mit der sich vier Beiträge befassen. Auffällig ist, dass das unabhängige Königreich Burgund ausschließlich von Franzosen, die Zeit ab 1032 nur von Deutschen behandelt wird – in der Themenwahl wirken die nationalen Forschungstraditionen also fort.

In der Einleitung skizzieren die Herausgeberin und die Herausgeber ausgehend von der besonderen politisch-geografischen Lage Besançons im Grenzgebiet der postkarolingischen regna die historische Entwicklung der Region und führen in das Thema des Bandes ein. Die Reihe der Beiträge eröffnet François Demotz, der in seinem detailreichen Überblick über die Grafschaft Burgund im 9. und 10. Jahrhundert die herrschaftspolitische Integration des Raums in das werdende Königreich Burgund untersucht. Dabei diagnostiziert er eine Wende in der Politik zwischen Rudolf I., der sich in der Region hauptsächlich auf den Erzbischof von Besançon stützte, und Rudolf II., der alle pagi der Erzdiözese einem Grafen anvertraute.

Laurent Ripart legt anschließend seine Neubewertung der umstrittenen Besetzung des Erzbistums 1016 auf Deutsch vor; er deutet den nur durch die Akten der Synode von Mainz 1049 und Thietmar von Merseburg bekannten Konflikt konsequent vom Entstehungszeitpunkt und Horizont dieser Quellen und legt dar, wie der Vorgang zur Entstehung bzw. Festigung eines negativen Bilds des letzten burgundischen Königs Rudolfs III. beitrug. Dieses wiederum war ein wichtiges Argument für die Rechtfertigung der Integration Burgunds ins Reich.

Matthias Weber und Justus Wingenfeld befassen sich in ihrem Beitrag mit der Bischofseinsetzung vor allem in Burgund, beziehen jedoch auch die Bistümer Worms, Speyer und Straßburg ein, denn ihre Untersuchung folgt der Route, die Heinrich IV. 1076/1077 auf dem Weg nach Canossa zurücklegte. Dabei ermitteln sie ein differenziertes Bild des (nachweisbaren) kaiserlichen und päpstlichen Einflusses auf die Bischofserhebungen im Zeitalter des Investiturstreits – wobei sicherlich noch weitere, regionale und lokale Einflüsse auf die Bischofswahlen beachtet werden müssten. Dennoch regt der Beitrag zum Nachdenken darüber an, ob sich bei analogen Untersuchungen zum deutschen und italienischen Reichsteil überhaupt wesentliche Unterschiede erkennen lassen.

Prominent vertreten ist in diesem Band – wie im Großteil der deutschen Burgundforschung – die Zeit Friedrich Barbarossas. Die Überschneidungen der vier Beiträge bleiben allerdings gering: Gerhard Lubich untersucht die Vorgeschichte des Hoftags von Besançon 1157 und damit den Weg des Stauferherrschers zu einer aktiveren Burgundpolitik. Mit der Hochzeit Friedrichs mit Beatrix von Burgund setzt der Beitrag von Alheydis Plassmann ein, die zu unterscheiden versucht, ob und wie Friedrich Barbarossa in den Regionen Burgunds als Kaiser oder als Herr der erheirateten Freigrafschaft Burgund handelte.

Sie gelangt im Vergleich mit ähnlichen Fällen – etwa Heinrich II. von England in Aquitanien – zu dem Schluss, dass Friedrich in Burgund vornehmlich als Kaiser agierte. Verena Türck stellt auf der Basis Ihrer Studie über diesen Kaiser und Burgund die Frage, ob Besançon als ein königstreues Zentrum einzuschätzen ist – gemeint sind damit die Erzbischöfe der Stadt, die sie als wichtige Partner Friedrichs im Norden des Königreichs identifiziert.

Markus Keller und Lisa Klocke ordnen dann den Umgang Friedrichs mit Konflikten zwischen Bürgerschaft und Erzbischof von Besançon in seine »Städtepolitik« ein, einen Begriff, den sie mit Verweis auf die politikwissenschaftliche Unterscheidung zwischen polity, policy und politics präziser zu fassen versuchen. Sie unterscheiden zwei Phasen im Umgang Friedrichs mit den Städten: Unterstützte Friedrich vor 1178 vor allem die (erz-)bischöflichen Stadtherren, ging es ihm seit diesem Zeitpunkt zumeist darum, einen tragfähigen Ausgleich zwischen Bürgern und Bischöfen zu finden.

Die Zeit nach Friedrich Barbarossa behandelt lediglich ein Beitrag, der sich mit dem letzten andechs-meranischen Pfalzgrafen von Burgund, Otto III. († 1248), befasst. In ihm untersucht Clemens Regenbogen die Frage, wie es dazu kam, dass Otto seine burgundischen Rechte dem kapetingischen Herzog von Burgund Hugo IV. anvertraute, um sich auf seine bayerisch-tirolischen Besitzungen konzentrieren zu können.

Einen besonderen Hinweis verdient die Einbandillustration des Bands, eine von Thomas Bauer entworfene Karte der pagi der Diözese Besançon und ihrer Erwähnungen. Die Erläuterungen zur Karte bilden den letzten Beitrag; ein Register fehlt leider. Insgesamt bietet der schmale, aber gelungene Band wertvolle Aufsätze zu einer zu wenig bekannten Region und ihrer wechselhaften Geschichte auf dem Stand der Forschung.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Thomas Kohl, Rezension von/compte rendu de: Jessika Nowak, Jens Schneider, Anne Wagner (Hg.), Ein Raum im Umbruch? Herrschaftsstrategien in Besançon im Hochmittelalter, Wien (Böhlau) 2020, 202 S., 9 Abb., ISBN 978-3-412-51164-7, EUR 40,00., in: Francia-Recensio 2021/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.79680