In einem Interview auf dem virtuellen International Medieval Congress 2020 sprach der Autor Steven Vanderputten davon, dass er nicht erwartet hatte, für dieses Buch so viele Einzelfallstudien zu lesen. 3 000 seien es gewesen, von denen es letztlich nur ca. 700 in die ausführliche Bibliografie geschafft hätten1. Das allein sagt viel über den weiten Bogen aus, den Vanderputten in diesem Band spannt. Der Autor möchte die Leserinnen und Leser in den aktuellen Stand der Forschung zu mittelalterlichem Klosterwesen und Mönchtum einführen und darüber hinaus aufzeigen, welche Methoden, Diskurse und Phänomene die Forschung der letzten ca. 25 Jahre geprägt haben. Alle bis zum Ende des 20. Jahrhunderts erschienenen Handbücher hätten sich an einem »Master narrative« orientiert, einer linearen Erzählung des Mönchtums, ausgehend von den Wüsteneremiten. Aufgrund steigender Popularität hätten sich dann erste koinobitische Lebensformen entwickelt.

Mit der Benediktsregel sei es dann zum Triumph der Benediktiner gekommen, der durch die karolingischen Reformen weiter konsolidiert worden sei. Es folgte eine Reihe von Reformwellen, die die Autorität der Regel sukzessive infrage stellten, was in der Gründung neuer monastischer Bewegungen durch »charismatic founders« resultierte. Aus diesen heraus entstanden konventsübergreifende Strukturen und damit die ersten Orden. Aber auch diese Bewegungen mussten sich Kritik ob ihres Reichtums und ihrer Privilegierung gefallen lassen, was zur Gründung der mendikantischen Orden führte.

Im 14. und 15. Jahrhundert habe eine Zeit des Niedergangs begonnen, und mit der Reformation und der Auflösung vieler Klöster schien das »closing stage of a glorious epoch« erreicht. Soweit das traditionelle Narrativ, dem der Autor ein anderes, die differenzierende Sicht der neueren Historiografie einbeziehendes Bild gegenüberzustellen versucht. Die Forschung habe sich – wie auch in anderen Bereichen der mittelalterlichen Geschichte – der interdisziplinären Arbeit und damit soziologischen und anthropologischen Ansätzen geöffnet, und Vanderputten möchte eine Geschichte des Mönchtums erzählen, die von diesen Forschungen inspiriert ist.

Sein Fokus liegt dabei vor allem auf zwei Aspekten: Zum einen geht es ihm darum, herauszuarbeiten, in welchen Kontexten bisherige Erzählungen in den letzten eineinhalb Jahrtausenden entstanden sind und wie diese unser Bild des mittelalterlichen Klosterwesens verzerrt haben. Zum anderen will er die Diversität monastischer Erfahrungen ins Zentrum rücken, deren Parallelität ebenso wie die konstanten Transformationen und die Einbindung in jeweilige physische und sozio-ökonomische Kontexte. Dabei wird die Diversität bereits im Titel des Buches in der Verwendung des Plurals »Monasticisms« deutlich gemacht.

Erschienen ist das Handbuch in der Reihe »Oldenbourg Grundriss Geschichte,« die schon seit einiger Zeit über die klassische europäische Herrschaftsgeschichte hinausgeht und nun auch gelegentlich Bücher in englischer Sprache veröffentlicht. Der Aufbau des Bandes folgt demnach auch jenem der anderen Bände der Reihe. Im ersten und umfangreichsten Teil (»Historical Survey«) wird ein historischer Überblick von den Anfängen in der Spätantike bis ins 15. und teilweise auch ins 16. Jahrhundert gegeben.

Der zweite Teil ist der Forschung gewidmet und beleuchtet Forschungstrends und Entwicklungen, wobei die Untergliederung jener des ersten Teils folgt. Dies gilt auch für den dritten und letzten Teil, der eine umfangreiche thematisch sortierte Bibliografie zur weiteren Lektüre bietet. Erstaunlicherweise orientiert der Autor sich im Aufbau am von ihm eigentlich abgelehnten »Master narrative«. Allerdings ergibt die Entscheidung Sinn, erlaubt sie ihm doch, in allen »Kapiteln« dieses Narrativs zu zeigen, wie das jeweilige Feld sich differenziert hat und dass es eben nicht zwangsläufig, sondern auch kontextgebunden ist, wenn das benediktinische Mönchtum des Hochmittelalters als Höhepunkt gesehen wird. So ist die Anordnung der Kapitel zwar äußerst traditionell, der Inhalt aber ganz und gar nicht.

Was das im Einzelnen bedeutet, soll kurz am Beispiel der Bettelorden gezeigt werden. So beginnt Vanderputten die Entstehung der Bettelorden im historischen Überblick eben nicht mit den charismatischen Gründerfiguren, sondern mit einem neuen Bedürfnis von Spiritualität weiter Teile der Bevölkerung, das sich bereits im 11./12. Jahrhundert zeigte und eng mit gesellschaftlichen Entwicklungen wie Demografie, Urbanisierung oder dem Aufstieg der Kommunen verknüpft war. In dieser Zeit haben sich bereits Gruppen von Laien zusammengeschlossen, um gemeinsam ein Leben in Keuschheit, Gebet und geprägt von manueller Arbeit zu führen.

Von der Kirche seien diese Bewegungen zunächst unterschätzt worden, und auch die alten Orden hätten es nicht geschafft, diese neuen Bedürfnisse zu befriedigen. Vanderputten erklärt also die Strukturen und Entwicklungen, die dazu geführt haben, dass Figuren wie Franziskus oder Dominikus erfolgreich seien konnten. Er stellt allerdings auch die Gleichzeitigkeit ganz unterschiedlicher Erfahrungen heraus. Während Dominikaner und Franziskaner rasant wuchsen, blieben andere Bewegungen oder Orden relativ unbedeutend bzw. wurden bald wieder verboten.

Auch geht er auf die vielfachen Aushandlungsprozesse ein, die die Definition der franziskanischen Identität hervorbrachte. Wer gehört dazu, wer nicht und welche Rolle spielte die »Franciscan Nebula«, also Gruppen, die den Franziskanern nahestanden, aber dem Orden nicht angehörten? Bereits der »Historical Survey« greift also die aktuellen Forschungen auf und versucht, dem alten Narrativ eine neue differenzierte Erzählung entgegenzusetzen.

Der zweite Teil (»State of the Art«) ist noch stärker forschungsgetrieben. In Bezug auf die Mendikanten hebt der Verfasser vor allem drei Schwerpunkte hervor. Zunächst ist dies die Erforschung der Narrative um die Identität der Orden, vor allem der Franziskaner, der Streit um das »richtige Leben« im Sinne des Franziskus und die Bedeutung der radikal neuen Governance‑Strukturen als Identitätsmarker der Dominikaner.

Der zweite große Bereich ist die gesellschaftliche Einbindung der Bettelordensbewegungen, wo der Autor noch einen großen Forschungsbedarf sieht und die von Frömmigkeit über Predigt bis zu Bildung und transkulturellem Kontakt reicht. Der dritte Bereich ist die Erforschung weiblicher Formen mendikantischer Erfahrungen. Hierbei finde diese nicht mehr nur in Abgrenzung zu männlichen Zweigen und der Hervorhebung sogenannter Handlungsspielräume statt, sondern stelle vermehrt die eigenständige gesellschaftliche Einbindung heraus.

Im dritten Teil (»Bibliography«) findet man in Bezug für die Mendikanten 40 sorgfältig ausgewählte Titel, die Synthesen, ebenso wie regionale Fallstudien zum Inhalt haben und als Ausgangspunkt oder Vergleichsbeispiel dienen können.

Diese Ausführungen sollen exemplarisch ausreichen und verdeutlichen, was der Band zu leisten imstande ist und was nicht. Die Stärke liegt in der Synthese, der Extraktion übergreifender Forschungsdiskurse aus einer schier unendlichen Anzahl einzelner Fallstudien. Eine systematische Einführung in die Geschichte und Entwicklung einzelner Orden kann und will der Band hingegen nicht sein. Dafür sollte man die in der Bibliografie angeführten Werke heranziehen. Es bleibt festzuhalten, dass Vanderputten ein eindrucksvolles Handbuch für die Erforschung mittelalterlichen Klosterwesens gelungen ist, das allen, die sich in Studium, Lehre und auch Forschung damit beschäftigen, wärmstens ans Herz gelegt sei.

1 Youtube-Kanal De Gruyter Talks: Telling the Story of Monasticism in the 21st Century. Medieval Monasticisms: Interview with Steven Vanderputten (16.07.2020), https://youtu.be/4RLha7Aw2XI (16.12.20).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Robert Friedrich, Rezension von/compte rendu de: Steven Vanderputten, Medieval Monasticisms. Forms and Experiences of the Monastic Life in the Latin West, Berlin (De Gruyter) 2020, 315 p. (Oldenburg Grundriss der Geschichte, 47), ISBN 978-3-11-054377-3, EUR 29,95., in: Francia-Recensio 2021/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.79769