Wie wenige ernstzunehmende zeitgenössische Forschungsansätze prägen seit geraumer Zeit Memorialkultur, memory making und alle sich davon ableitenden Derivate, wie Mythenbildung, Traditionsrezeption und Erinnerungsorte (um nur deren wichtigste zu nennen) historisches Denken und Arbeiten. Genau in diesen, weitgehend, wenn auch nicht ausschließlich, auf den wertvollen Pionierarbeiten von Aleida Assmann1 und Christoph Cornelißen2 ausgehenden Strom von Erkenntnisgewinn und -erweiterung fügt sich der vorliegende umfangreiche Festschriftband zum 60. Geburtstag Andreas Sohns, herausgegeben von seiner Frau Michaela Sohn-Kronthaler und Jacques Verger ein3.

In Überblendung mediävistischer und (früh-)neuzeitlicher Ansätze, Perspektiven und Fokussierungen gelingt es einer Riege renommierter Fachkollegen und -kolleginnen, spezifische wie übergreifende Fragestellungen zu jenem eingangs evozierten, großen thematischen Komplex zu entwickeln und diese auf durchgehend hohem Niveau der Leserinnen- und Leserschaft darzubieten.

Es würde hier bei weitem den hier zur Verfügung stehenden Raum und Umfang sprengen, wollte man alle dreizehn in diesem Werk versammelten Beiträge einzeln würdigen und ausführlich kommentieren. Beschränken wir uns auf die Feststellung, dass sie allesamt Interessantes zu einem sich immer stärker spezifizierenden Forschungssujet beitragen, dies unter Berücksichtigung und Ausschöpfung klassischer, sowie sich neu ausprägender Untersuchungsansätze.

Der inhaltliche Bogen reicht dabei von der memoria in Dienste und Ausprägung spezifischer theologischer Umfelder und Räume (unter Betonung des süddeutsch-österreichischen) über Zeremoniell, Königsidee und Landesgeschichte bis hin zur politischen (Reform-)Theorie, Staatenlehre und Identitätsstiftung4 – dies alles unter Einbeziehung sowohl geografscher, wie auch biografischer Fokussierungen. Erwähnenswert ist hier, neben der angesprochenen Breite thematischer Bezüge, die angenehm überraschende sprachliche Vielfalt der Beiträge, die sich in Deutsch (überwiegend), Französisch, Italienisch und Englisch finden.

Gleiches gilt für den sehr breiten Einleitungs- und Gratulationsteil, welcher mit insgesamt sechzig Druckseiten nahezu ein Zehntel des Gesamtumfangs des Textteiles beansprucht. Werden die Beiträge hier noch allesamt übersetzt, so findet sich für die wissenschaftlichen Aufsätze ein zusammenfassendes mehrsprachliches Résumé am Ende des Bandes.

Sammelbände (und zu dieser Gattung gehören Festschriften nun einmal) sind gleichsam per definitionem keine abgeschlossenen Gesamtdarstellungen mit möglichst umfassender Erörterung aller relevanten Aspekte; dies gilt sowohl für die behandelten Themata an sich als auch für deren Aufarbeitung. Dem vorliegenden Werk muss allerdings zugutegehalten werden, über die – genrespezifisch oft nicht vermeidbare – Charakteristik einer steinbruchartigen Fundgrube hinaus Wesentliches in optisch wie verlegerisch anspruchsvoller und ansprechender Form aufgearbeitet darzubieten und somit, wenn auch nicht als thematisches Handbuch, so doch zumindest als repräsentatives Monument eines faszinierenden Forschungsfeldes gelten zu können. Auch ein dem Anlass seines Entstehens nicht verbundener Leserkreis wird dieses Buch, das als Anregung auch im akademischen Unterricht durchaus Verwendung finden könnte, gerne zur Hand nehmen. Einer weiteren Verbreitung steht, im publizistischen Umfeld heute nahezu schon eine Ausnahme, auch der durchaus vernünftig kalkulierte Ladenpreis keineswegs entgegen.

1 Vgl. Aleida Assmann, Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, München 1999; dies., Zeit und Tradition. Kulturelle Strategien der Dauer, Köln u a. 1999 (Beiträge zur Geschichtskultur, 15); dies., Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2006; dies., Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur. Eine Intervention, München 22013.
2 Christoph Cornelißen, Was heißt Erinnerungskultur? Begriff, Methoden, Perspektiven, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 54 (2003), S. 548–563; ders., Lutz Klinkhammer, Wolfgang Schwentker (Hg.), Erinnerungskulturen. Deutschland, Italien und Japan seit 1945, Frankfurt a. M. 2003.
3 Zu Memoria und Erinnerungskultur allgemein siehe bisher: Harald Schmid (Hg.), Geschichtspolitik und kollektives Gedächtnis. Erinnerungskulturen in Theorie und Praxis, Göttingen 2009 (Formen der Erinnerung, 41); ders. (Hg.), Erinnerungskultur und Regionalgeschichte, München 2009.
4 Das Inhaltsverzeichnis findet sich online, u. a. unter: https://d-nb.info/1189445743/04 (zuletzt aufgerufen am 10. Februar 2021).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Josef J. Schmid, Rezension von/compte rendu de: Michaela Sohn-Kronthaler, Jacques Verger (Hg.), Europa und Memoria/Europe et Mémoire. Festschrift für Andreas Sohn zum 60. Geburtstag/Mélanges offerts à Andreas Sohn à l’occasion de son 60ème anniversaire, St. Ottilien (EOS Verlag) 2019, 655 S., zahlr. Abb. ISBN 978-3-8306-7955-4, EUR 39,95. , in: Francia-Recensio 2021/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.79820