Schon der Titel deutet es an: es sind kleine Arbeiten, fast schon Feuilletons, die zumeist bereits anderweitig in den letzten 20 Jahren veröffentlicht wurden. Der Verfasser selbst erläutert den von Felix Valloton, einem schweizer-französischen Künstler, geborgten Haupttitel und Untertitel in charmanter Offenheit: »Je dois confesser que c’est le maniement des échelles ›micro‹ qui m’apportait mes plus grandes satisfactions d’historien« (p. 8). Stéphane Audoin-Rouzeau ist ein überaus produktiver Historiker und öffentlicher Mensch, der mit anderen das trilaterale Weltkriegsmuseum in Péronne, das Historial de la Grande Guerre, seit einer Generation aufgebaut hat, jetzt dort Direktor ist und darüber hinaus als Directeur d’études an der EHESS den Lehrstuhl für Anthropologie des Kampfes und der Kriegsgewalt im 20. Jahrhundert innehat. Mindestens vierzehn Monographien und Serienwerke hat er dazu in einem breiten Themenspektrum auf die Bühne der Öffentlichkeit gebracht – da sind diese »kleinen Themen« eine neugierig machende Ergänzung.

Gegliedert sind die Beiträge in drei große Teile, diese wiederum mit je sechs oder (zweimal) zehn Unterkapitel unterteilt, gelegentlich mit verbindenden Worten versehen. Ganz im Mittelpunkt steht zeitlich wie zu erwarten der Erste Weltkrieg. Inhaltlich sind es zwei Themenbereiche: zunächst die Erlebnisse, Welt, Umgebung der einzelnen Menschen, nicht nur der Soldaten, dann der Umgang mit Krieg, Tod und Trauer. Bei aller anschaulichen Nähe der Schilderung einzelner Begebenheiten kommt Audoin-Rouzeau doch immer wieder auf das Außerordentliche und Existenzielle dieser Themen zurück.

Alle Beiträge können nicht vorgestellt werden. Aber mir sind vor allem drei größere, eher wissenschaftliche Arbeiten aufgefallen, die über die genannten Bereiche hinausgehen.

Zum Pariser Mai-Juni 1968 setzt er ein Fragezeichen hinter den Titel eines »mimetischen« Bürgerkrieges, wenn er im Kern zeigt, dass ein Mann wie der Polizeipräfekt Maurice Grimaud mit dem Blick u. a. auf die Commune von 1871 von einem echten Krieg ausging; oder anders gesagt hier geht der Verfasser anregend mit der Frage nach den nationalen Traditionen um, die für die Bewegung selbst sicher zu differenzieren wäre. Ein weiterer Aufsatz ist Norbert Elias’ »Über den Prozess der Zivilisation« gewidmet, indem dessen Erlebnisse des Ersten Weltkriegs als Folie herangezogen werden. Ein dritter Aufsatz behandelt den japanischen Yasukuni-Schrein, an dessen Beispiel Audoin-Rouzeau seinen Ansatz der Trauer mit anderen Objekten aus Frankreich und Europa vergleicht – von der Französischen Revolution bis zur Neuen Wache in Berlin. Heldentum und Pazifismus werden dabei zu nicht ganz kommensurablen Polen der Debatte.

Mehrere Beiträge sind – über Elias hinaus – der Perspektive einzelner Personen gewidmet, so die Texte zum Historiker Ernest Lavisse und dem Krieg von 1870/71 (er wurde zum wichtigen Propagandisten im Ersten Weltkrieg), zum Maler Fernand Léger und zum sonst kaum bekannten britisch-französischen Maler Harold Hume Piffard, der um 1915 »La Défense de la famille« anfertigte, ein Propagandabild, in dem sich eine Mutter mit Tochter und gezogener Pistole einmarschierenden Deutschen entgegenstellt. Dann geht es verständnisvoll-erklärend um den Filmemacher Bertrand Tavernier und seine Filme zum Ersten Weltkrieg.

Weitere Beiträge kreisen um Péronne und die Kämpfe in der Region während des Ersten Weltkriegs; einer davon, eine Art Überblick zum Bestand des Museums, scheint mir dabei relativ unergiebig. Wie schon aus dem Gesagten hervorgeht, holt Audoin-Rouzeau weit ins 19. Jahrhundert aus und geht bis in die unmittelbare Gegenwart. Einer der eindrucksvollsten Beiträge ist denn auch dem 13. November gewidmet ist – die Jahreszahl 2015 wird stillschweigend vorausgesetzt –, dem Tag des islamistischen Großattentats in Paris (Bataclan, Stade de France u. a.). Auch hier fragt er (wie für 1968) nach der Wahrnehmung von Krieg und Union sacrée in Frankreich mit Bezug auf den Großen Krieg.

Diese Andeutungen mögen genügen. Man liest sich gern durch diesen Band, wenn Stéphane Audoin-Rouzeau einen an die Hand nimmt und Ereignisse oder Strukturen anschaulich macht, dann mit leichter Hand, mit dem Instrumentarium des Historikers, geschult an Anthropologie, Psychologie und Soziologie, beschlagen auch in Kunst und Kultur vorführt und so die Vergangenheit von Krieg und Gewalt in die eigene französische, europäische, gelegentlich auch universale Gegenwart hineinholt und reflektiert.

FUSSNOTEN EINFÜGEN

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Jost Dülffer, Rezension von/compte rendu de: Stéphane Audoin-Rouzeau, C’est la guerre. Petits sujets sur la violence du fait guerrier (XIXe‒XXIe siècle), Paris (éditions du félin) 2020, 272 p. (Collection histoire et sociétés), ISBN 978-2-86645-897-3, EUR 22,00. , in: Francia-Recensio 2021/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.79973