Eingeleitet von einer beeindruckenden »Préface« Alfred Grossers (S. 9–11) präzisiert ein kurzer »Avant-Propos« (S. 13–15) des Autors das Anliegen dieses Bandes: »reconstituer avec le plus de nuances et d’objectivité possibles« (S. 15) die Entwicklung des Verhältnisses der französischen Germanisten zu Deutschland innerhalb des Vierteljahrhunderts von 1925 bis 1949. Dabei steht innerhalb dieser zeitlichen Grenzen die deutsche Besatzung im Zentrum; ihr ist das umfangreichste Kapitel gewidmet. Methodisch unternimmt Roland Krebs dies an Hand eines »certain nombre d’études de cas, de parcours individuels, de prises de position et surtout de discours sur l’Allemagne et les Allemands« (S. 15). Die Studie wechselt also zwischen fachgeschichtlichen Einzeluntersuchungen und diskursgeschichtlichen Analysen von Deutschlandbildern und ‑konzeptionen, die vielleicht häufiger aufeinander bezogen und in einer Synthese hätten zusammengeführt werden können, die leider auch der »Épilogue« (S. 303–306) kaum versucht.

Die Arbeit ist in drei Teile mit jeweils zwei Kapiteln untergliedert: 1925–1939: Kap. I, »De l’espoir à l’inquiétude (1925–1932)«, Kap. II: »Face au péril (1933–1939)«; 1940–1945: Kap. III: »L’offensive culturelle allemande« (S. 109–181), Kap. IV: »Le temps des épreuves, l’heure des choix« (S. 183–216); 1945–1949: Kap. V: »Les germanistes face au nouveau problème allemand« (S. 221‑251), Kap. VI: »Au chevet de l’Allemagne« (S. 253–302). Auch diese Gliederung lässt die Zentralität der Occupation deutlich erkennen.

Im akteurszentrierten ersten Kapitel tauchen neben Thomas Mann, Émile Mayrisch, Otto Grauthoff oder Eduard Wechssler als französische Germanisten nur Henri Lichtenberger, Victor Basch und Jacques Decour auf, wobei insbesondere Decour mit seiner Wahrnehmung und Berücksichtigung der Situation und der ideologischen und kulturellen Dispositionen des Anderen eine Ausnahme bildet; allerdings ist es 1932, als »Philisterbourg« bei Gallimard erscheint, für eine Veränderung der französischen Deutschlandpolitik eigentlich schon zu spät. Da die »discours sur l’Allemagne et les Allemands« im Zentrum stehen sollen, hätten in diesem Zusammenhang vergleichend die Frankreichbücher von Ernst Robert Curtius (»Die französische Kultur,« 1931) und Eduard Wechssler (»Esprit und Geist«, 1927) oder die Teilnahme Curtius’ an den Dekaden von Pontigny (nicht »Pontivy«, S. 21) als romanistische Beiträge zu einem »rapprochement franco-allemand« (S. 24–28) erwähnt werden können.

Im zweiten Kapitel illustriert Roland Krebs detail- und kenntnisreich zunächst die Frankreichpolitik des NS-Regimes mit der Person von Otto Abetz und seiner Anpassungswilligkeit, um dann an Hand der Reiseerfahrungen von jungen (Pierre Grappin, Gilbert Badia oder Maurice Gravier) und etablierten Germanisten (Jean-Édouard Spenlé, Joseph-François Angelloz oder Maurice Colleville) zu erläutern, zu welch unterschiedlichen Wertungen die Reisenden gelangen. Dabei unterscheidet Krebs zwischen einer »germanistique de la méfiance« (S. 72), für die Edmond Vermeil steht, etwa mit seinem 1939 veröffentlichten »Allemagne. Essai d’explication« und der Kritik am deutschen »Sonderweg«, oder Henri Lichtenberger mit seinen (zu) verständnisvollen Einschätzungen in »L’Allemagne nouvelle« von 1936.

Vom Umfang und von der Bedeutung her bildet das dritte Kapitel, »L’offensive culturelle allemande« den Mittelpunkt der Studie. Diese »Kulturoffensive« wird von der deutschen Botschaft in Paris, also Abetz, und dem Deutschem Institut unter der Leitung Karl Eptings gesteuert; dazu hätte die Studie von Frank-Rutger Hausmann: »Auch im Krieg schweigen die Musen nicht. Die deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg«1, mit Gewinn konsultiert werden können. Diese »Offensive« stellt die Germanisten vor immer neue Entscheidungen. Eine Reaktion der Germanistik als Disziplin gibt es nicht, allenfalls jene des Institut d’études germaniques mit seinem Leiter Maurice Boucher, der versucht, sich mit den Erwartungen der Besatzer zu arrangieren und zugleich eine gewisse Autonomie zu wahren.

Die deutschen Prestige-Projekte, wie Übersetzungsaktionen, bilinguale Ausgaben, eine Anthologie der deutschen Dichtung oder der 100. Todestag Hölderlins, sind mit einem mehr oder weniger großen Druck auf Germanisten verbunden und führen zu einer Facette von Antworten. Dies zeigt unter den Mitarbeitern am Übersetzungsprojekt etwa der 1942 auf dem Mont Valérien als Résistant erschossene Germanist Jacques Decour, dessen Übersetzungen von Hans Carossa 1940 und Wilhelm Worringer 1941 erscheinen.

Die stets ausgezeichnet dokumentierten Einzelschicksale und -aktionen lassen das Bild eines je individuellen Engagements entstehen, bei dem die germanistische Kompetenz eine wichtige Rolle spielt. Damit verbindet sich nicht immer ein Diskurs über Deutschland, und germanistische Grundüberzeugungen, wie jene der »zwei Deutschland« bei Decour (S. 162), werden nur selten deutlich sichtbar.

Das Kap. IV (»Le temps des épreuves, l’heure des choix«) widmet sich den Résistants, den clandestins, die sich im Untergrund vor der Verflolgung versteckt hielten, und denjenigen, die sich später gegen Kollaborationsvorwürfe rechtfertigen mussten. Beeindruckend sind die Namen und die Bedeutung der Widerstandskämpfer (neben den ermordeten Jacques Decour und Victor Basch etwa Vermeil, Grappin, Pierre Bertaux und Robert d’Harcourt) und die der meist jüngeren von Deportation und Vernichtung bedrohten clandestins (u. a. Alfred Grosser, Rita Thalmann, Richard Thieberger, Claude David), die in kurzen biografischen Skizzen präsentiert werden. Bei den in den Säuberungsaktionen nach 1944 (épuration) sanktionierten Germanisten handelt es sich um hohe Wissenschaftsbeamte (Jean-Joseph Bertrand und Maurice Roy), vor allem aber um Gymnasiallehrer (etwa Jean-Philippe Larrose, Pierre Velut, André Meyer).

Zu Recht ausführlicher wird der Fall des Direktors des Institut d’études germaniques der Sorbonne analysiert. Maurice Boucher wird von den zuständigen Instanzen wegen unvermeidbarer Beziehungen zu den Besatzern »freigesprochen«. Im Sinne der zu Beginn geforderten »größtmöglichen« Objektivität, nimmt Krebs dazu nicht Stellung, sondern referiert die Reaktion von Bouchers Kollegen an der Sorbonne, etwa Vermeils vehementen Einspruch gegen den Freispruch. Eigentlich hat Alfred Grosser in seinem Vorwort die Konstellation schon vorweggenommen, wobei er gleichwohl bemerkt, dass »les étudiants en 1946 et ensuite aimaient beaucoup [Boucher]« (S. 11). Es wäre interessant gewesen zu zeigen, in welchem Maße auch unterschiedliche Deutschlandbilder für die Entscheidungen der Germanisten relevant waren.

Die beiden letzten Kapitel sind den fünf Nachkriegsjahren gewidmet. Zunächst wird das »nouveau problème allemand« (Kap. V), d. h. die Frage untersucht, »Que faire de l’Allemagne?« (S. 222‑225), die Pierre Grappin im April 1945 stellt, und auf die auch Vermeil mit der Neuauflage seines »L’Allemagne. Essai d’explication« (Gallimard 1945) eine Antwort im Sinne der »zwei Deutschland« zu geben versucht. Doch es sind Vermeils »disciples critiques« (S. 227), wie Alfred Grosser und Joseph Rovan, die neue Antworten geben, wobei der Erfahrungen von Reisen in das Nachkriegsdeutschland eine entscheidende Rolle spielen; Grosser lehnt die These einer Kollektivschuld (S. 227) explizit ab. Am Beispiel des Straßburger Goetheforschers Albert Fuchs wird jedoch gezeigt, wie auch persönlich schmerzvolle Erfahrungen zu einer »germanistique de la défiance« führen (S. 249–251).

Das letzte Kapitel (»Au chevet de l’Allemagne«) behandelt die (Kultur-) Politik in der Besatzungszone, an der Germanisten (etwa Jacques Lacant oder René Cheval, vor allem aber Raymond Schmittlein) maßgeblich beteiligt waren. Die Präsentation von Schmittleins Denkschrift vom Januar 1948, »La rééducation du peuple allemand« (S. 264–273), bestätigt die scharfe Kritik Michel Tourniers an der Besatzungspolitik (S. 255). Ein in die Zukunft weisendes Kulturprojekt bildet die deutschsprachige Zeitschrift »Lancelot, der Bote aus Frankreich« (1946–1951), die in Form eines (fast vollständigen) Wiederabdrucks eines Aufsatzes von Roland Krebs (2017)2 präsentiert wird und die den Weg »Vers le rapprochement franco-allemand« weist (S. 295–302, auch 24–28).

Die Studie von Roland Krebs besticht durch ihre große Fülle stets gut dokumentierter biographischer Details, deren Relevanz für die »Deutschlandbilder und -konzeptionen« jedoch nicht immer deutlich wird. Dieses Hin und Her zwischen Personen- und Fachgeschichte einerseits und jener der Deutschland-Konzeptionen andererseits deutet schon das eingangs zitierte Vorwort an: »Ce travail […] propose un certain nombre d’études de cas, de parcours individuels, de prises de position et surtout de discours sur l’Allemagne et les Allemands« (S. 15). Zum Ende der Studie zeigt sich, dass dies vor allem zu Lasten der Deutschland-Konzeptionen der französischen Germanisten geht.

1 Frank-Rutger Hausmann, Auch im Krieg schweigen die Musen nicht. Die deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg, Göttingen ²2002 (Veröffentlichungen des MPI für Geschichte, 169).
2 Roland Krebs, Une revue française pour les Allemands: Lancelot, der Bote aus Frankreich (Lancelot, le Messager de France) 1946–1951, in: Revue d’Allemagne et des pays de langue allemande 49/1 (2017), S. 193-208, online: DOI: 10.4000/allemagne.537.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Wolfgang Asholt, Rezension von/compte rendu de: Roland Krebs, Les germanistes français et l’Allemagne (1925‒1949), Préface d’Alfred Grosser, Paris (Sorbonne Université Presses) 2020, 350 p. (Monde germanique), ISBN 979-10-231-0655-8, EUR 24,00., in: Francia-Recensio 2021/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.80024