»Ausländerehen« in der Epoche vom Kaiserreich bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs sind das Thema des Werks von Christian Lorke. »Liebe verwalten», so der Titel dieser Münsteraner Habilitationsschrift, wurde mit dem Entstehen des Nationalstaates zu einer administrativen Notwendigkeit angesichts des Anspruchs auf umfassende Regelung und Kontrolle der nationalen Zugehörigkeit. Dass die Ehen, die zustande kommen und die verhindert werden, ein genauer Spiegel dessen sind, was in einer Gesellschaft als geboten oder als unpassend empfunden wird, ist keine neue Erkenntnis. Die Geschichtswissenschaft hat sie sich mit bedeutenden Ausnahmen wie der wegweisenden Studie von Étienne François über das schwierige Zusammenleben von Protestanten und Katholiken in Augsburg von 1648 bis 1806, eher selten zu nutzen gemacht.
Christoph Lorke hat Mut bewiesen, dass er sich diesem Thema mit samt seiner methodischen Tücken und theoretischen Herausforderungen gestellt hat. Es handelt sich hier um einen wichtigen Vorstoß, das Thema der »gemischten Paare» auf Grundlage intensiver Quellenarbeit für die Zeitgeschichte fruchtbar zu machen. Es berührt vom Nationalismus über Genderfragen bis hin zu sozialhistorischen Aspekten eine Fülle von ebenso fruchtbaren wie schwierigen Feldern. Lorke geht es um »die historische Vermessung von »›Nationalismus in der Praxis‹, und zwar auf dem Feld des Personenstandrechts« (S. 45).
Eines der Probleme für die Analyse und Darstellung liegt darin, dass kaum zu ermitteln ist, wie stark solche Paare wortwörtlich auf die Anschauungen ihrer Umwelt wirkten. Neuere amerikanische Forschungen legen den Schluss nahe, dass die »gemischten Paare« die soziale Wahrnehmung von Fremdheit unmittelbar kaum beeinflussen. Als Symbolfiguren können sie allerdings immer wieder Möglichkeitsräume wenigstens in der Imagination offenhalten. Ihre größte soziale Kraft entwickeln sie als Herausforderung für staatliche Instanzen, deren Normen eine Gleichförmigkeit fordern, die sie nicht generell herstellen können. Lorke zeigt systematisch, wie intensiv der Nationalstaat sich der administrativen Behandlung dieser Paare angenommen hat, wie sehr allgemeine Auffassungen von Ehe, Geschlecht, Gesundheit und Nationalkonkurrenz die behördliche Akzeptanz bestimmten. Mit anderen Worten: Der Staat musste sich vor den Brautleuten erklären. Er hatte Ablehnung und Zustimmung zu begründen und damit seine ideologischen Grundannahmen offenzulegen.
Damit gewinnt die politische und behördliche Behandlung der »Ausländerehen« eine starke Indikatorfunktion, wie Lorke überzeugend darlegt. Gesellschaftlich akzeptierte Grundannahmen wurden in den Anweisungen der Behörden geradezu durchbuchstabiert und in der Praxis des Standesamts dann ausprobiert. So ist man nicht überrascht, dass man in den behördlichen Anweisungen des Untersuchungszeitraums allenthalben jenes Vokabular findet, das die nationale Selbstbehauptung nach und nach biologistisch begründete – und damit am Ende obsolet machte.
Methodisch geht Lorke so vor, dass er das Standesamt, das Ende der Siebzigerjahre des 19. Jahrhunderts im Deutschen Reich flächendeckend eingeführt wurde, seine Vorschriften, Möglichkeiten sowie das Selbstverständnis der Standesbeamten als eines besonderen Berufszweigs in den Mittelpunkt seiner extensiven Recherchen in der zeitgenössischen Publizistik sowie in den Archiven stellt. Dabei taucht vieles aus der verschütteten Globalgeschichte Deutschlands vom Ende des 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts auf und gerät ins Blickfeld. So etwa die komplizierte Einstellung gegenüber asiatischen Männern, Chinesen insbesondere, oder auch die übliche Praxis, dass Frauen mit der Heirat eines Ausländers ihre Nationalität verloren und die des Mannes anzunehmen hatten. Es konnte aber auch umgekehrt kommen: So weigerte sich im Jahr 1884 der dänische Staat, der frisch getrauten deutschen Ehefrau eines Dänen die dänische Staatsbürgerschaft zu verleihen – man könne schließlich nicht wissen, welche Versorgungsansprüche auf das Land da in Zukunft zukommen würden.
Allenthalben ist die Ungleichbehandlung von Mann und Frau festzustellen: Das »Ausheiraten deutscher Frauen wurde von den Behörden wesentlich strenger als das der Männer beurteilt: Wusste die Frau, worauf sie sich einließ, kannte sie ihre Lage in ihrer neuen Heimat, auch für den Fall einer Trennung von ihrem Mann? Hier kam der Standesbeamte bevormundend-aufklärend ins Spiel, als Experte des internationalen Privatrechts – und nicht zuletzt als Hüter der »nationalen Weiblichkeit«.
Nach dem Ersten Weltkrieg geriet das feste Gefüge der standesamtlichen Bestimmungen ins Rutschen: Grenz- und Bevölkerungsverschiebungen sowie die Anwesenheit der alliierten Besatzungssoldaten stellten die deutschen Standesbeamten ebenso wie die Militärverwaltungen vor neue Herausforderung. Vor allem aber stellte es binationale Paare vor nicht geringe Schwierigkeiten. Der Nicht-Deutsche galt nicht nur in der Rechtsprechung als »lästiger Ausländer«, Abschiebung war ein probates Drohmittel. Allerdings war hier die soziale Zugehörigkeit ein entscheidender Faktor.
Im Fall eines russischen Schumachers in Lüdenscheid, seiner deutschen Frau und ihrer vier Kinder plädierte der Arnsberger Regierungspräsident für ein Hinausschieben der Ausweisung, weil die Familie anderenfalls der Allgemeinheit zur Last fallen würde. Die preußischen Bestimmungen zur Einbürgerung sahen denn auch vor, dass eine Einbürgerung nur für sozial, kulturell und wirtschaftlich »wertvolle« Personen vorgenommen werden sollte, so dass man bevölkerungspolitisch einen »Gewinn« erziele.
»Schädlinge» hingegen sollten ausdrücklich abgewehrt werden. Dabei stand »deutsche Eigenart« als maßgebliches Kriterium im Mittelpunkt, das etwa ein ehemaliger algerischer Kriegsgefangener schlechterdings nicht erfüllen konnte. Er war nicht nur Angehöriger des früheren Feindes und gegenwärtigen Besatzers, sondern zudem durch seine ethnische Abstammung diskreditiert. Es lässt sich an den entsprechenden Bestimmungen ablesen, in welchem Maß die Sprache und Maßnahmen bereits vorgeprägt waren, derer sich später die Nationalsozialisten bedienten. In dieser Zeit kommt auch die Rede von »Scheinehen« auf, die heute wieder gebräuchlich ist.
Das »Hausbuch für die deutsche Familie« von 1939 ermahnte die deutschen Ehepartner: »Wer sein Blut mit Fremdstämmigen außereuropäischer Herkunft mischt, arbeitet der Aufartung des deutschen Volkes entgegen.« Die Standesbeamten waren zwar nicht durchweg begeistert, langatmige Schulungen zu besuchen. Gleichwohl: »Ebenbürtigkeit« – ein Prinzip, das zuerst im »Sachenspiegel« des Eike von Repgow Anfang des 13. Jahrhunderts für den hohen Adel formuliert wurde –, erhielt nun nicht nur eine soziale, sondern auch eine ethnisch-rassistische Stoßrichtung.
Christoph Lorke lässt die Betroffenen zu Wort kommen und führt die Abstrusität und Unmenschlichkeit vor Augen, die diese Kategorisierungen für die Paare nach sich zogen. Es war verräterisch, dass die Standesbeamten nach Kriegsende großen Wert auf das »Private« der Heirat legten. Jedes binationale Paar weiß, dass auch im heutigen Europa davon keine Rede sein kann: Ein europäisches Eherecht ist nicht in Sicht – und heiratswillige Menschen mit außereuropäischer Herkunft haben viele bürokratische Hürden zu überwinden, wenn sie einen Europäer heiraten wollen. Von gesellschaftlicher Akzeptanz ganz zu schweigen.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Michael Jeismann, Rezension von/compte rendu de: Christoph Lorke, Liebe verwalten. »Ausländerehen« in Deutschland 1870–1945, Paderborn, München, Wien, Zürich (Ferdinand Schöningh) 2020, 689 S., 4 s/w Tab. (Studien zur Historischen Migrationsforschung, 37), ISBN 978-3-506-70294-4, EUR 109,00., in: Francia-Recensio 2021/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.80030