Mit ungefähr 40 000 involvierten Städten und Gemeinden bilden Städtepartnerschaften das größte europäische Netzwerk. Vor diesem Hintergrund ist es erstaunlich, dass sich insgesamt nur relativ wenige zeitgeschichtliche Arbeiten mit den Partnerschaftsnetzwerken befassen. Der auf einer im Oktober 2015 an der Universität Mainz veranstalteten Konferenz fußende Sammelband greift somit ein in der Forschung weitgehend vernachlässigtes Thema auf, welches in insgesamt 18 Beiträgen unter thematisch und methodisch unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird.

Den Stellenwert der lokalen Ebene für die fortschreitende Europäisierung nach dem Zweiten Weltkrieg schildern zwei der Herausgeberinnen, Corine Defrance und Tanja Herrmann, in ihrer instruktiven Einleitung, in welcher sie darüber hinaus auch einen konzisen Überblick über die Entwicklung der Städtepartnerschaften und den Stand der wissenschaftlichen Aufarbeitung dieses Prozesses bieten. Damit verdeutlichen sie zugleich das Potential eines zeitgeschichtlich fokussierten Zugangs, wobei der vorliegende Band diesbezüglich eine sowohl räumlich (auf ganz Europa) als auch zeitlich (auf die Zeit vor 1945) erweiterte Perspektive einnimmt und schon allein dadurch neue Erkenntnisse über das von dem Politologen Kai Pfundheller als »alternative Außenpolitik der Kommunen« beschriebene Phänomen verspricht.

Bei näherer Hinsicht blieben die unmittelbaren Wirkungen der kommunalen Partnerschaften auf die außenpolitischen Entwicklungen zu Zeiten des Kalten Krieges tatsächlich eher überschaubar, wie schon die ersten der in Teil I unter der Überschrift »Städtepartnerschaften zwischen Politik und Ideologie« zusammengefassten Aufsätze von Étienne Deschamps, Sebastian Dörfler, Claus W. Schäfer und Jean-Christophe Meyer verdeutlichen, und es lässt sich durchaus darüber streiten, inwieweit sie, wie Willy Brandt es 1967 ausdrückte, einen »soliden Unterbau« für die Integrationsbemühungen der »großen Politik« bildeten (S. 70). Mit ihren Auslandskontakten verfolgten die meisten Städte und Gemeinden nämlich primär kommunalpolitische Zwecke, was in einzelnen Fällen sogar dazu führte, dass politische Zerwürfnisse unbedingt vermieden werden sollten, womit die Partnerschaften mancherorts zu »ideologiefreien Zonen« wurden, »in denen die zwischenmenschlichen Kontakte ein Stück weit oberflächlich bleiben mussten« (S. 68).

Gleichwohl leisteten sie, wie Jean-Christophe Meyer in Bezug auf die deutsch-französischen Kontakte am Oberrhein festhält, einen Beitrag zur Völkerverständigung und zur europäischen Einigung, »indem sie diesen Prozessen menschliche, persönliche Züge verliehen«, auch wenn sich solche Aspekte nur schwer quantifizieren lassen (S. 96). Noch schwieriger zu beurteilen sind die Wirkungen der von Markus Pieper thematisierten, als »brüderliche Kampfgemeinschaften« inszenierten »Kommunalbeziehungen zwischen Polen und der DDR« und der von Franceska Malle in den Blick genommenen französisch-sowjetischen Partnerschaften, welche zwischen 1950 und 1990 von der Association France-URSS ins Leben gerufen wurden. Immerhin überlebten viele dieser Kooperationen die politischen Veränderungen und Transformationen der frühen 1990er-Jahre. Aus Sicht der DDR-Staatsführung dienten blockübergreifende Partnerschaften mit dem nichtsozialistischen Ausland, wie Ulrich Pfeil anhand der Aktivitäten des Städte- und Gemeindetags der DDR nachweist, allerdings nicht primär dem Austausch, der Begegnung und der Verständigung, sondern der »Anerkennung der DDR auf internationaler Bühne« im ideologischen Wettstreit mit dem Westen (S. 146).

Dazu passt, dass auch die Staatssicherheit in die Partnerschaftsarbeit involviert war, wie es das Beispiel der von Constanze Knitter untersuchten ostdeutsch-französischen Partnerschaften verdeutlicht. Auch bei Partnerschaften zwischen bundesdeutschen und polnischen Kommunen gab es vor 1989, wie von Dominik Pick beschrieben, eine strenge Kontrolle durch die kommunistischen Machthaber, auch wenn »die Kooperationen häufig eine eigene, teilweise unabhängige Dynamik« entwickelten (S. 198). Eine besonders starke Eigendynamik attestiert Malte Thießen den Partnerschaften zwischen britischen und osteuropäischen Städten: Diese erlebten beispielsweise während der Thatcher-Ära einen von Thiessen als »Gegenmaßnahme zur nationalen Außenpolitik« gedeuteten Boom (S. 180). Gleichwohl beschreibt er auch die Grenzen der kommunalen Kooperationen, die Zufälle, die zum Scheitern oder Gelingen entsprechender Verbindungen beitragen konnten und plädiert deswegen für eine differenzierte Betrachtung der vermeintlichen Erfolgsgeschichte kommunaler Partnerschaften.

Die acht Beiträge des zweiten Teils des Sammelbandes werden unter dem etwas pauschalisierenden Titel »Städtepartnerschaften zwischen Last der Geschichte und zukunftsorientierter Zusammenarbeit« zusammengefasst. Anhand der Kooperation zwischen den Städten Metz und Blida zeigt Lucas Hardt, dass die jumelages nicht zwangsläufig auf eine wechselseitige Annäherung angelegt sein mussten, sondern auch auf die Stabilisierung bestehender Herrschaftsverhältnisse zielen konnten: Die 1956 etablierte Patenschaft »entstand als Ausdruck des Bestrebens regionaler Politiker, einen aktiven Beitrag zum Erhalt der Algérie française zu leisten« (S. 216). Um die Konsolidierung der nationalen Einheit ging es auch bei den von Eva Kübler untersuchten innerfranzösischen Städte- und Gemeindepartnerschaften, wobei vor allem südwestfranzösische Kommunen Patenschaftsabkommen mit Städten und Gemeinden im Elsass und in Lothringen abschlossen.

Eine besondere Form der Patenschaft war diejenige, welche britische Städte nach dem Ersten Weltkrieg mit zerstörten Städten und Gemeinden in Frankreich aufnahmen. Damit befasst sich James E. Connolly und verdeutlicht, dass für den Erfolg der 1920 gegründeten British League of Help for the Devasted Areas of France vor allem die begleitenden Pressekampagnen verantwortlich waren. Das Gedenken an die »Waffenbrüderschaft« während des Ersten Weltkriegs spielte, wie Ruža Fotiadis beschreibt, auch für das Zustandekommen zahlreicher serbisch-griechischer Partnerschaften eine zentrale Rolle. Die verklärende Erinnerung überlebte das innerjugoslawische Einheitsnarrativ und wurde nach dem Zerfall Jugoslawiens sogar revitalisiert.

Dezentralisierende Tendenzen glaubt Lisa Montmayeur auch bei den von ihr betrachteten, seit dem Ende der 1980er-Jahre entstandenen griechisch-türkischen Städtepartnerschaften zu erkennen, da die »Diplomatie der Städte« im westlichen Teil der Türkei wesentlich ausgeprägter und »stärker auf die Annäherung zu Griechenland und der EU ausgerichtet« gewesen sei (S. 288). Dass sich zumindest innerhalb der Europäischen Gemeinschaft seit den 1980er-Jahren eine Art kommunale Europapolitik entwickelte, beschreibt Thomas Höpel in seinem Artikel über die »Ausdifferenzierung interkommunaler Zusammenarbeit [...] in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts«: Nachdem die Städtepartnerschaften in einer Phase nach 1945 vom Willen »zur Völkerverständigung und zur (west-)europäischen Integration« getragen waren, folgte in den 1980er-Jahren ein entscheidender Schritt, als einzelne Städte begannen, »ihre Außenkontakte strategisch mit Blick auf die weitere Stadtentwicklung« zu nutzen und sich dazu beispielsweise im Städtenetzwerk Eurocities zusammenschlossen (S. 308).

Unter soziologischem Blickwinkel betrachtet Andreas Langenohl die politisch-kulturellen »Praktiken transnationalen Austauschs in europäischen Städtepartnerschaften« und untersucht dabei unter anderem die Strategien und das Konfliktmanagement der in die Partnerschaftsarbeit involvierten Akteure, um die »Handlungslogik sozialer Praktiken im Kontext von Städtepartnerschaften zu ergründen« (S. 312). In die jüngste Vergangenheit führt schließlich der Artikel von Marijke Mulder, in welchem die Rolle der Städtepartnerschaften im EU-Programm »Europa der Bürgerinnen und Bürger« thematisiert wird: Da die finanzielle Unterstützung durch das Programm zunehmend mit der Auflage verknüpft wurde, vor Ort für die EU zu werben, wurden kleinere Städte und Gemeinden in der Praxis faktisch benachteiligt.

Auch wenn, wie meistens bei Sammelbänden, die Qualität der einzelnen Beiträge im Hinblick auf ihren inhaltlichen und methodischen Innovationsgehalt variiert, unterstreicht der vorliegende Band auf eindrucksvolle Weise, dass gerade eine zeitgeschichtliche Betrachtung der kommunalen Partnerschaften in Europa das Potenzial hat, deren Gesamtbild weitaus differenzierter auszuleuchten als es die gängigen »Meistererzählungen« über die völkerverständigende Wirkung der vermeintlich direkten gesellschaftlichen Begegnungen vermuten lassen. Angesichts der vielfältigen Aspekte, die dabei erhellt werden, erscheint die Gliederung in zwei eher plakativ überschriebene Kapitel etwas befremdlich, zumal in der Einleitung vier Teile angekündigt und begründet werden.

Allerdings überzeugt der Sammelband gerade durch den multiperspektivischen Ansatz und die vielfältigen Zugänge der einzelnen Beiträge, die sich deswegen quasi zwangsläufig nur schwer unter einen gemeinsamen Nenner bringen lassen. Insgesamt werden somit nicht nur die Brüche und Kontinuitäten, sondern auch die Eigendynamiken, der Facettenreichtum und letztlich auch das Potenzial von Städtepartnerschaften herausgearbeitet, was den Band zweifellos zu einer positiven Inspirationsquelle für weitere zeitgeschichtliche Studien und für eine tiefergehende Beschäftigung mit dem Thema macht. Dies ist in Zeiten eines kriselnden europäischen Einigungsprozesses mit Sicherheit höchst begrüßenswert. Dem anregenden Buch ist daher eine breite, über das historische Fachpublikum hinausgehende Leserinnen- und Leserschaft zu wünschen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Ansbert Baumann, Rezension von/compte rendu de: Corine Defrance, Tanja Herrmann, Pia Nordblom (Hg.), Städtepartnerschaften in Europa im 20. Jahrhundert, Göttingen (Wallstein) 2020, 359 S., 22 Abb., ISBN 978-3-8353-3211-9, EUR 24,90., in: Francia-Recensio 2021/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.80061