Periodisieren heißt einteilen. Historiker und Historikerinnen müssen periodisieren, denn ihr Stoff gliedert sich nicht von selbst. Erst ihr ordnender und interpretierender Zugriff hebt aus der endlosen Folge vergangenen Geschehens Geschichten heraus – Vorgänge, in denen sich ein sinnhafter Bogen von einem Anfang zu einem Ende spannen lässt und nach den Prinzipien von Kausalität und Finalität Zusammenhänge erkennbar werden, die dem Abschnitt ein kennzeichnendes Gepräge geben. Damit ist bereits gesagt, dass es sich bei allen diesen Einteilungen, egal, ob dabei »weltgeschichtlich« bedeutsame Epochen herauskommen oder nur ephemere Perioden, nicht um objektiv gegebene, gleichsam geschichtsimmanente Sachverhalte handelt, sondern um gedankliche Konstrukte, um Vorstellungen, die sich Zeitgenossen oder Historiker von einem bestimmten Teil der Vergangenheit geformt haben.

Doch das Einteilen, welches das endlose Laufband des Geschehens in der Zeit in handhabbare Portionen gliedert, ist nur ein erster Schritt – das Benennen der so gewonnenen Abschnitte der zweite in der Konzeptualisierung von Geschichte(n). Eine Epoche nach ihr innewohnenden Bewegungstendenzen zu definieren, bedeutet, ein hochkomplexes Phänomen gleichsam aus einem Punkt zu deuten und zur Synthese zu bringen. Diese Operation gehört traditionell zur Praxis des Historikers, denn die Dinge müssen ja, um diskursgängig zu sein, einen Namen haben. Man sollte sich dabei aber auch der Risiken dieses Verfahrens bewusst bleiben: Indem man einen als »besonders« identifizierten Zeitabschnitt mit qualifizierenden und charakterisierenden Namenszusätzen versieht, wird dessen Wahrnehmung bereits in ganz bestimmter Weise gelenkt und präfiguriert.

Mit der Benennung entsteht eine Art »Deutungsnorm«, die den Blick auf abweichende oder gegenläufige Züge und Aspekte verstellen und das Gesamtbild der Epoche auch verzeichnen kann. Um ein Beispiel zu geben: Werden, wie es in der internationalen Historiografie geläufig ist, die Jahre von 1919 bis 1939 als »Zwischenkriegszeit« bezeichnet, so impliziert das auch, dass diese Epoche von den Nachwirkungen des Ersten Weltkriegs bedingt und von den Vorbereitungen eines Zweiten geprägt wurde. Dabei geht verloren, dass die Zeitgenossen, auch wenn sie von pessimistischen Zukunftserwartungen und schlimmen Ahnungen geplagt gewesen sein mögen, nichts davon wissen konnten, dass 1939 auf die Katastrophe des (Ersten) Weltkriegs ein Zweiter, noch schlimmerer folgen würde. Mit anderen Worten: Die komplexe Eigenart dieser hochgradig dynamischen zwei Jahrzehnte wird durch den reduktionistischen Terminus »Zwischenkriegszeit« allenfalls partiell erfasst.

Dergleichen Beispiele einsinniger, simplifizierender, den Facettenreichtum historischer Wirklichkeit verkürzender Epochenbezeichnungen ließen sich bei geschärftem Problembewusstsein fast beliebig viele anführen. Trotz aller sonst in der Geschichtswissenschaft üblichen Methodenkritik ist einzuräumen, dass bei der Verwendung von Epochennamen deren semantische Metapotentiale nicht immer hinreichend reflektiert werden. Darin liegt ein unterschätztes Defizit historiografischer Praxis, auf dessen erkenntnishemmende und tendenziell manipulative Konsequenzen der hier anzuzeigende, von dem jüngst verstorbenen Historiker Dominique Kalifa (Paris 1 Panthéon-Sorbonne) kuratierte Sammelband »Les noms d’époque« ein kritisches Augenmerk lenken will.

In der Einleitung »Dénommer l’Histoire«, die den theoretischen Rahmen und methodischen Ansatz des Bandes umreißt, erinnert der Herausgeber daran, dass ein gewisses Unbehagen über die Allmacht der Epochenkonzepte als »catégories-maitresses de la raison historique« (S. 9) vereinzelt schon im 19. Jahrhundert anzutreffen war, so bei Lord Acton, der 1895 die Hörer seiner Antrittsvorlesung aufforderte, lieber »Probleme als Perioden« zu studieren. Für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts konstatiert Kalifa, dass unter dem Einfluss von Foucault und der Schule der Annales eine kritische Revision traditioneller Periodisierungen Platz griff bis hin zur plakativen Weigerung Jacques Le Goffs, »die Geschichte in Scheiben zu schneiden«.

Auch wenn Kalifa in diesem Zusammenhang die Verdienste Reinhart Kosellecks um die Bewusstmachung der „linguistischen Struktur von Zeiterfahrungen“ würdigt, werden deutsche Historiker einräumen, dass es in ihrer Zunft eine der französischen vergleichbare Infragestellung der Periodisierung als Basisoperation historischen Denkens nicht gegeben hat. Gleichwohl, auch in der französischen Historiografie haben sich die Epochenbildungen als elementare Instrumente zur Aufbereitung des geschichtlichen Rohstoffs weitestgehend behauptet – wäre es anders, so fehlten dem Herausgeber und den dreizehn Mitautoren, die er in diesem Band versammelt hat, die Gegenstände, an denen sie ihre kritischen Sonden und analytischen Skalpelle erproben.

Um die Natur und die Funktionsweise des methodischen Zugriffs zu erläutern, greift Kalifa auf Überlegungen von Linguisten und Lexikologen zu den »façons de dire et penser le temps« (S. 11) zurück. Von den zahlreichen Konzepten, welche die Sprachwissenschaftler zu diesem Behufe »geschmiedet« hätten, präsentiert er vier, die ihm für Historiker besonders relevant erscheinen. Was er bescheiden »outils« (Werkzeuge oder Geräte) nennt, kommt freilich im vollen Ornat alteuropäischer Gelehrsamkeit einher, und die deutsche Leserin bzw. der deutsche Leser nimmt mit schmunzelndem Respekt zur Kenntnis, dass es der Intelligenzia unseres glücklichen Nachbarlandes offenbar noch ganz selbstverständlich möglich ist, sich für fachlich-methodische Begriffsbildungen des Lexikons des Altgriechischen zu bedienen:

Die vier linguisto-lexikologischen Analysekategorien für eine systematische Dekonstruktion von historischen Zeitabschnittsbezeichnungen tragen so eindrucksvolle Namen wie »toponymes événementielles« (in simplem Deutsch: ereignisbezogene Ortsnamen), »héméronymes« (Ereignisnamen, die auf ein Datum zurückgehen, wie »14 Juillet« oder »Bartholomäusnacht«), »praxonymes« (auf ein Großereignis bezogen wie »la Grande Guerre« oder »The Great Depression«) und schließlich die »chrononymes«, welche einen Zeitabschnitt mit einer spezifischen Nomenklatur belegen – etwa die »Goldenen Zwanziger« oder die »Roaring Twenties« oder eben die »Zwischenkriegszeit«. Die Zuschauerinnen und Zuschauer aus dem grauen Deutschland, wo selbst wohletablierte Wissenschaftsorganisationen sich der PC-Anbiederung in »leichter« oder »einfacher Sprache« verschrieben haben, stehen hier staunend am Wegesrand und bewundern die Souveränität, mit der die französischen Kollegen eine solche Parade gelehrsamkeitsprunkender Rhetorik aufziehen lassen.

Dieser Bewunderung tut es auch keinen Abbruch, dass die vierzehn Aufsätze des Bandes sich schließlich nur mit »chrononymes« beschäftigen. Einzelne von ihnen herauszuheben und detaillierter vorzustellen, wäre nicht nur impraktikabel im begrenzten Rahmen einer Rezension, sondern vor allem auch ungerecht. Denn alle Beiträge bewegen sich auf hohem Reflexionsniveau, sind differenziert in der Erfassung der Phänomene und subtil in der Argumentation. Die Epochenbezeichnungen, deren Herkunft, Prägung und Entstehung, Verwendung und Veränderung im Laufe der Zeiten und in unterschiedlichen Diskursen der Analyse unterzogen werden, überspannen das gesamte 19. und einen Großteil des 20. Jahrhunderts.

Sofern nicht in übergreifenden europäischen Diskursen angesiedelt (»Printemps des peuples«; »Fin de siècle«; »Les années vingt«; »L’entre-deux-guerres«), entstammen sie den Nationalkulturen Frankreichs (»Restauration«; »Les années noires«; »Les Trentes Glorieuses«), Italiens (»Risorgimento«; »Les années de plomb«), Englands (»L’ère victorienne«), Russlands (»L’âge d’argent«), Deutschlands (»Stunde Null«), Spaniens (»Transición e movida«) und der USA (»The Gilded Age«). Allesamt bieten sie eine anregende Lektüre, die die Leserin und den Leser mit dem befriedigenden Gefühl zurücklässt, ihre Zeit gut investiert und ihren Horizont um interessante Aspekte erweitert zu haben.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Franz J. Bauer, Rezension von/compte rendu de: Dominique Kalifa (dir.), avec la collaboration de Philippe Boutry, Jean-Claude Caron, Johann Chapoutot et al., Les noms d’époque. De »Restauration« à »années de plomb«, Paris (Gallimard) 2020, 349 p. (Bibliothèque des histoires), ISBN 978-2-07-276383-0, EUR 23,00., in: Francia-Recensio 2021/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.80087