Im April 1957 provozierte Bundeskanzler Konrad Adenauer einen Skandal. Bei einer Pressekonferenz sagte er, Atomwaffen seien »nichts anderes als die Weiterentwicklung der Artillerie«, insofern sei es »ganz selbstverständlich, daß […] wir nicht darauf verzichten können«1. Adenauers Aussage sorgte bundesweit nur wenige Jahre nach dem Abwurf US-amerikanischer Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki für Entsetzen. Sofort reagierten die als »Göttinger Achtzehn« bekannt gewordenen, seinerzeit wichtigsten deutschen Kernforscher – unter ihnen die Nobelpreisträger Werner Heisenberg und Otto Hahn – mit einem Manifest. Sie warnten eindringlich vor einer atomaren Bewaffnung und hoben hervor, dass sich keiner der Unterzeichner hieran beteiligen würde. Aber: »Gleichzeitig betonen wir, daß es äußerst wichtig ist, die friedliche Verwendung der Atomenergie mit allen Mitteln zu fördern, und wir wollen an dieser Aufgabe wie bisher mitwirken2

Diese Episode spielt zwar dreizehn Jahre vor Beginn des Untersuchungszeitraumes von Dennis Rombergs Studie, ist jedoch ein Schlüsselmoment, in dem die widerstreitenden Interessen im Umgang mit der gefährlichen und zugleich verheißungsvollen Nukleartechnologie deutlich werden. Er steht exemplarisch für das Spannungsfeld, in dem sich die bundesdeutsche Atomwirtschaft, -forschung und -politik fortan bewegten: zwischen dem aufgrund alliierter Verbote nicht realisierbaren Wunsch nach eigenen Atomwaffen und dem Bestreben, als Kompensation zumindest in der zivilen Kernforschung zu den »Atommächten« zu gehören.

Diese Vorgeschichte ist inzwischen gut erforscht, weniger jedoch ihre Folgen, vor allem im kritischen Jahrzehnt der 1970er, der Hochphase der deutschen Nuklearexporte. Erst in letzter Zeit legt die Forschung den Akzent auf die spätere Bundesrepublik3. Dabei ist vermehrt die Frage behandelt worden, wie die Bundesregierung die alliierten Beschränkungen in der militärischen Atomforschung durch die Entwicklung von Dual-Use-Technologien umgangen haben könnte4. Romberg greift diesen Faden ebenfalls auf, jedoch überlegter und auf soliderer Quellenbasis argumentierend als andere Studien5, indem er weniger eine heimliche Aufrüstung, als vielmehr die Nuklearexportpolitik als Machtinstrument betrachtet.

Romberg interessiert sich für die politischen Ziele hinter den Exporten von deutscher Nukleartechnologie in autokratische Staaten wie den Militärdiktaturen Argentinien und Brasilien, dem Schah-Regime in Iran, dem Apartheitsregime in Südafrika und der Sowjetunion. Hierzu unterteilt er seine Studie in sieben Kapitel, in denen er detailliert die jeweiligen »Atomgeschäfte« abhandelt, eingeleitet von einem einbettenden Kapitel zum nationalen und internationalen politischen und wissenschaftlichen Kontext des Themas.

Romberg zeichnet zunächst die Dynamiken zwischen Bundesregierung und Ministerien auf der einen Seite und der Wirtschaft auf der anderen nach und hebt das außerordentliche politische Interesse an der Kernenergie hervor. Der Wirtschaft erschien die neue Technologie zunächst wenig attraktiv – zu riskant, zu teuer war sie. Doch vor allem Adenauer wollte den nuklearen Rückstand zu den Großmächten mit allen Mitteln aufholen, sodass die widerwilligen Energieunternehmen mit großzügigen Haftungsgarantien und Subventionen nahezu in die Kernenergie hineingedrängt wurden. Was folgte, war eine schwerfällige, von vielen Rückschlägen geprägte zivile Reaktorentwicklung, die von Anfang an auf Exporte angewiesen war, um halbwegs rentabel sein zu können. Schließlich kippte das Machtverhältnis und die Atomwirtschaft übte einen zeitweise bedenklichen Einfluss auf die deutsche Politik aus.

Anschließend befasst sich Romberg mit der internationalen Dimension der deutschen Atompolitik. Er zeigt, wie die Bundesrepublik eine »Nebenaußenpolitik« über Wirtschafts- und Wissenschaftsbeziehungen in der Nukleartechnologie betrieb, getrieben von einer Art atomarem Minderwertigkeitskomplex. Romberg schildert, wie der von den USA initiierte Atomwaffensperrvertrag (NPT) genau diesen, über zivile Exporte angestrebten nuklearen Großmachtstatus der Bundesrepublik gefährdete, sodass die Bundesregierung unter Willy Brandt alles daransetzte, eine Klausel zur Förderung nichtmilitärischer Nuklearkooperationen einzufügen.

Dies gelang ihr 1969 mit der Einführung von Artikel IV in den NPT. Dieser war jedoch daran geknüpft, die Technologie-Empfängerstaaten auf friedliche Atom-Nutzung zu verpflichten. Der Autor legt detailliert dar, dass die Bundesregierungen dies in der Regel unterließen und die Öffentlichkeit darüber sogar bewusst täuschten. Exporte wurden praktisch nie an Bedingungen geknüpft. Romberg kommt sogar zu dem Schluss, dass es keinerlei »rote Linien« in der deutschen Nuklearexportpolitik gegeben habe, sodass die Bundesrepublik auch Kooperationen mit Ländern eingegangen sei, die weder den NPT unterzeichnet hatten, noch sich deutlich vom Vorhaben zum Bau einer eigenen Atombombe abgrenzten.

Grund für die deutsche Nachsichtigkeit waren neben der Erwägung, über den Technologietransfer an Einfluss und internationalem Prestige zu gewinnen, das Interesse an Staaten mit eigenen Uran-Vorkommen. Die Bundesregierung wollte somit unabhängiger von den USA werden, wobei sie zumeist auf die Unterstützung der Opposition zählen konnte.

Abschließend betrachtet zeichnet Dennis Romberg ein von starkem Prestigedenken geprägtes Bild der deutschen Nuklearexportpolitik. Obwohl die Bundesrepublik kein eigenes Atomwaffenprogramm verfolgen durfte, waren ihre Kompensationsversuche, mit denen sie zu den atomaren Global Playern aufschließen wollte, deswegen nicht etwa von besonderem Verantwortungsgefühl getragen. Im Gegenteil wurden Macht und Einfluss vielfach durch teils bewusste, teils fahrlässige Ignoranz gegenüber der Möglichkeit des Missbrauchs der exportierten sensiblen Technologien erkauft.

Bereits 1956, ein Jahr vor Adenauers öffentlichem Atomwaffenvorstoß und der Entrüstung der Göttinger Achtzehn, die im Übrigen selbst zu großen Teilen am NS-Atomwaffenprojekt mitgeforscht hatten, kritisierte der Philosoph Karl Jaspers die Scheinheiligkeit der zivilen Atomdebatte. Er sagte über die Forscher: »Erschrocken von dem, was sie angerichtet haben, fordern sie mit Friedensgedanken eine Lösung, indessen sie die Sache weiterbetreiben. So intelligente Männer wollen und wollen nicht, sie verhalten sich wie Kinder und sprechen von Tragödie«6. Die Büchse der Pandora war von den Kernforschern geöffnet worden – und die deutschen Bundesregierungen verspürten wenig Interesse, sie zu schließen. Zu groß waren die mit der Nukleartechnologie verbunden Einflussmöglichkeiten – zivil und militärisch.

1 O.V., Die Bombe im Schiff, in: Der Spiegel, 15.5.1957, S. 12.
2 Text des Göttinger Manifests der Göttinger 18, https://www.uni-goettingen.de/de/54320.html (Zugriff 22.2.2021).
3 Stephan Geier, Schwellenmacht. Bonns heimliche Atomdiplomatie von Adenauer bis Schmidt, Paderborn 2013.
4 Tilmann Hanel, Die Bombe als Option. Motive für den Aufbau einer atomtechnischen Infrastruktur in der Bundesrepublik bis 1963, Essen 2015.
5 Vgl. ibid.
6 Karl Jaspers, Die Atombombe und die Zukunft des Menschen. Rundfunkvortrag vom Oktober 1956, in: Hans-Dieter Kreikamp (Hg.), Die Ära Adenauer 1949–1963, Darmstadt 2003, S. 177. Audio-Aufzeichnung auf: Karl-Jaspers-Stiftung, Zugriff 19.3.2021.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Philipp Glahé, Rezension von/compte rendu de: Dennis Romberg, Atomgeschäfte. Die Nuklearexportpolitik der Bundesrepublik Deutschland 1970–1979, Paderborn, München, Wien, Zürich (Ferdinand Schöningh) 2020, VI–413 S., ISBN 978-3-506-70305-7, EUR 109,00., in: Francia-Recensio 2021/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.80091