Dem erfreulichen Umstand, dass dieser Band 17 der Reihe »Comparative Rural History Network« besonders qualitative Daten analysiert, steht die Einsicht gegenüber, dass sich diese für Vergleiche nicht eignen. Wie auch, bei diesem Zeitrahmen (17.‒20. Jahrhundert) und den verschiedenen Ländern, Regionen und Städten? Das Lob gilt den Autorinnen und Autoren, die Frage ergeht an die Herausgeberinnen und Herausgeber der Buchreihe ‒ wohlgemerkt nicht die Herausgeber dieses Bandes.

Aus den insgesamt elf Beiträgen, einen herauszuheben und näher zu besprechen, würde meiner Wertschätzung für alle Autorinnen und Autoren nicht gerecht. Auch entspräche eine solche Auswahl nicht meiner Expertise, welche die Fallstudien zu Mexiko-Stadt und Wien beträfe. Deshalb gilt in dieser Buchbesprechung mein Augenmerk den drei Hauptaspekten Transport, Lagerung und Verkauf, welche die aussagekräftige und gewissenhaft verfasste Einleitung der Bandherausgeber entfaltet. Der Einfluss von saisonaler Ernte und Vertrieb auf dieses Geschehen, wie im Titel explizit angesprochen, ist ein Querschnittsthema, das mit dem Verkauf, also der Allokation der Produkte, zusammenhängt.

Da erstmals 1917, also gegen Ende des Ersten Weltkriegs (Belgium Hunger Relief unter der Leitung von Herbert Hoover) der Transport von Grundnahrungsmitteln, überwiegend Getreide, transatlantische Distanzen überwand, überrascht die Feststellung nicht, dass Transport, Lagerung und Reallokation weitgehend in den Regionen der Produktion stattfanden. Das gilt zum Beispiel laut Alain Chatriot auch noch für Frankreich bis in die 1950er-Jahre (S. 211‒224). Denn während das Land der zweitgrößte Bezieher von Mitteln aus dem European Recovery Program (Marshallplan, 1949–1952) war, bestanden diese kaum in Nahrungs- und Futtermitteln, sondern wurden zum Wiederaufbau der Industrie verwendet. Sachlieferungen, allen voran Getreide, überwogen lediglich in der Bundesrepublik Deutschland.

Selbstverständlich gelangten Getreidetransporte seit dem Städteboom im Europa des 12. Jahrhunderts nur aus dem Umland in die urbanen Zentren und blieben von Stapelrechten und Versteuerung im Gegensatz zu anderen Produkten weitgehend verschont. Dies änderte sich erst im frühen 19. Jahrhundert. Ein gutes Beispiel dafür zeichnet Jonas M. Albrecht für die Residenzstadt Wien nach (S. 103‒128). Das Beispiel des Brotaufstands von 1692 in Mexiko-Stadt, vorgestellt von Pablo F. Luna (S. 77‒102), exemplifiziert im Gegensatz dazu, ein extremes Beispiel für die Abhängigkeit einer einwohnermäßig bedeutenden Großstadt vom unmittelbaren Umland, da Wasserwege und sonstige über das Umland hinausreichende Transportwege nicht vorhanden waren.

Ganz anders verhält es sich mit der Lagerung von Grundnahrungsmitteln. Ohne eine solche wären nicht nur die Städte verhungert, sondern auch jene Regionen, in denen andere Produktionsformen überwogen, besonders der Bergbau. Die professionelle, behördlich gelenkte Lagerung gehörte zum kleinen Einmaleins – nicht nur im Frankreich des Ancien Régime, dem sich der Text von Gérard Béaur widmet (S. 193‒210). Getreide für den Konsum und als Saatgut zu lagern, definiert heute noch das, was Zivilisation genannt wird. In Mesopotamien, namentlich Çatal Hüyük, fanden Archäologen bislang die ältesten Getreidevorratsstätten. Die Sesshaftwerdung begründete diese Notwendigkeit und die Schaffung und Weitergabe des dazugehörigen Wissens. Von der Verwaltung der Getreidelager spricht auch das Alte Testament, wenn von den sieben guten und sieben schlechten Jahren die Rede ist. Dies gilt bis zum heutigen Tage, seit Container Shipping die Warenlagerung zu Land abzulösen begann. Damit gerät die weitere zentrale Frage dieses Sammelbands in den Vordergrund: Verkauf, also die Reallokation der Nahrungsmittel.

Obwohl alle Beiträge dieses Buches den Umschlag von Lebensmittel beleuchten, übrigens sind quantitative Daten dafür am ehesten zu analysieren, konzentriert sich Solène Rivoal in ihrem Artikel über die Versorgung mit dem Grundnahrungsmittel Fisch in der Republik Venetien auf den Diskurs (S. 181‒192). Inwieweit in dem von ihr studierten Beispiel aus dem 18. Jahrhundert ökologische Erwägungen bestimmend waren, erweckt die Aufmerksamkeit der Leserinnen und Leser. Die Frage stellt sich, ob nicht auch die üblichen Subsistenzfragen bei der Versorgung mit dem Grundnahrungsmittel Fisch aus dem Mittelmeer die legislative Rhetorik beflügelte. Die Autorin entschloss sich zu einer qualitativen Analyse von administrativen Dokumenten, was eine selektive Auswahl der Quellen und Zitate erfordert. Diese nach weiteren Kriterien zu analysieren, würde das Format eines Artikels sprengen, doch macht dieser Beitrag Lust auf mehr.

Preisbildung und sales beschäftigt alle Autorinnen und Autoren. Ein Lob gilt den drei Herausgebern, dass sie diese Klammer offensichtlich einforderten. Dabei griff die Verwaltung immer wieder in das Schicksal der Konsumentinnen und Konsumenten ein. Schließlich entscheidet der Preis von Grundnahrungsmitteln über Wohl oder Hunger. Pieter De Graef (S. 147‒180) hebt diesen Aspekt in seiner Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Unwägbarkeiten hervor, die wachsenden Städte Belgiens im 19. Jahrhundert mit Produkten der urbanen Landwirtschaft zu versorgen. In seinem Aufsatz zu »stocks and flows« in Paris beschäftigt sich auch Laurent Herment (S. 129‒146) explizit mit dieser Frage. Diese beiden Artikel in all ihren Unterschieden zollen der These der Herausgeber Tribut, dass die Preisentwicklung sich historisch an den Möglichkeiten der Konsumentinnen und Konsumenten orientierte.

Im ungeschriebenen Gewohnheitsrecht des Mittelalters begründete die Verfehlung des Ziels von Herrschaft, die Subsistenz, also das Überleben der Untertanen aufrecht zu erhalten, die Option auf Tyrannenmord. In den neuzeitlichen Ordnungen verschwand dieses Rechtsmittel. Implizit blieb diese Verpflichtung gleichwohl bestehen, obwohl einzelne Teile der Bevölkerung, zum Beispiel das Schicksal von Juden, gerne vernachlässigt wurde. Je näher das 20. Jahrhundert rückte, desto eher verstanden die Verwaltungen von Reichen und Nationalsaaten, dass mit einem hungernden Volk kein Staat zu machen ist. Damit ist wieder einmal klargestellt, wie wichtig die Ernährungsgeschichte ist. Stets, wenn Menschen massenweise verhungerten, kam es zu Regimewechseln, auch wenn manchmal beispielsweise die anhaltenden Brotaufstände vergessen werden, welche zur Französischen Revolution führten.

Abschließend, ein großes Lob den Herausgebern für die straffe Ausrichtung der Beiträge sowie die professionelle Eindämmung von Beliebigkeit. Und ein noch größeres Dankeschön den Autorinnen und Autoren für die Lektüre ihrer bereichernden Beiträge.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Martina Kaller, Rezension von/compte rendu de: Wouter Ronsijn, Niccolò Mignemi, Laurent Herment (ed.), Stocks, seasons and sales. Food supply, storage and markets in Europe and the New World, c. 1600‑2000, Turnhout (Brepols) 2019, X‑224 p., 30 b/w ill. (CORN Publication Series. Comparative Rural History Network, 17), ISBN 978-2-503-58509-3, EUR 74,00., in: Francia-Recensio 2021/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.80092