Als im Sommer 1942 eine pensionierte Lehrerin im Verdacht stand, im Alter von 64 Jahren an einem turbulenten Protest gegen die erdrückende Lebensmittelknappheit im besetzten Frankreich teilgenommen zu haben, warf die ältere Frau den ermittelnden Polizisten im Verhör zum Beweis ihrer Unschuld forsch den Satz entgegen: »Ohne Zweifel wurde ich wegen meines Alters nicht [über den Protest] informiert, doch ich wäre hingegangen, wenn ich davon gewusst hätte« (S. 78). Im Gegensatz zu vielen anderen Verdächtigen im Fall der Demonstration der Rue de Buci, die sich am 31. Mai 1942 in Paris abspielte, sollte die pensionierte Beamtin freigesprochen werden. Ihr süffisanter Kommentar, den französischen Polizeiakten der Besatzungszeit entnommen, ist nur ein Beispiel für die eindrücklichen Einblicke, welche die mikrohistorische Rekonstruktion der besagten Protestaktion durch die amerikanische Professorin Paula Schwartz in eine breite Themenpalette von Alltag, Widerstand, Repression und Erinnerung der Kriegsjahre gewährt.
Anhand eines einzelnen politischen »Epiphänomens« (S. 1) mit seinen vielseitigen und langanhaltenden Nachwirkungen, denen Schwartz über Jahrzehnte in Archiven und Zeitzeugengesprächen nachgegangen ist, möchte die Autorin Antworten auf ihre zentrale Forschungsfrage finden: »Was war spezifisch an der Rolle von Frauen im französischen Widerstand?« (S. 6). Dafür ist die von ihr ausgewählte historische Mikroepisode in besonderem Maße geeignet, übernahmen Frauen bei der Protestaktion der Rue de Bucidoch die zentralen Rollen (»centre stage«, S. 16).
Eine wertvolle Erkenntnis, vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass die weibliche Mitwirkung an der Résistancein der Geschichtsschreibung und breiteren Öffentlichkeit jahrzehntelang verkannt wurde. Schwartz jedoch geht darüber hinaus, indem sie im Laufe des Buches überzeugend veranschaulicht, dass das Geschlecht das »fundamentale Organisationsprinzip« (S. 6, 15) der von ihr erzählten Geschichte war. Sowohl Planung und Ausführung der Demonstration als auch die anschließende Verfolgung der Beteiligten durch die Behörden und sogar das Erinnern des Ereignisses waren zutiefst von geschlechtsspezifischen Rollenbildern geprägt. Was geschah am 31. Mai 1942 in der Rue de Buci?
An diesem Frühlingsmorgen spielte sich im 6. Arrondissement der französischen Hauptstadt eine Szene ab, die für den heutigen Betrachter nur in Kenntnis der gravierenden Lebensmittelknappheit und der sich stetig zuspitzenden Folge von Attentaten der Widerstandsbewegung und anschließender deutsch-französischer Repression zu verstehen ist. Unter den Klängen der »Marseillaise« erstürmte eine Gruppe von Frauen in einem Akt scheinbar unparteilicher Volksjustiz einen größeren Lebensmittelladen, bediente sich zum Entsetzen der Verkäufer eigenmächtig an den ausliegenden Sardinenbüchsen und warf diese in die vor dem Geschäft versammelte Menschenmenge. Die sorgsam geplante Aktion ging auf die kommunistische Lehrerin Madeleine Marzin zurück, unter deren Federführung für den auserkorenen Tag – gefeiert wurde Muttertag und zugleich wurde des gewaltsamen Endes der Pariser Kommune (am 28. Mai 1871) gedacht – eine »Gruppe von Hausfrauen« den Kampf gegen Hunger selbst in die Hand nehmen sollte – so zumindest hieß es auf dem bei der Demonstration verteilten Flugblatt (S. 31f.).
Doch der harmlose, überparteiliche Charakter des patriotischen Bürgerinnenprotests ging im Laufe der Ereignisse verloren. Die hinzugerufenen Polizisten wurden von der im Hintergrund bereitstehenden groupe de protection des bewaffneten Arms der Kommunistischen Partei unter Beschuss genommen, sodass in der Folge zwei Beamte starben. Bereits bei der Durchführung der Demonstration war eine klare Rollenverteilung also überdeutlich: die weiblichen Beteiligten als protestierende »Hausfrauen«, Männer zu deren Schutz. Die Protagonistinnen des Protests waren bis zum Ausbruch der physischen Gewalt jedoch die von der Organisatorin Marzin mobilisierten Frauen. Doch wie passte ein explizit weiblicher Protest in republikanisch, überparteilicher Aufmachung zum sonst so sektiererischen Parti communiste?
Was im Anschluss an die beeindruckend detailreiche Rekonstruktion der Demonstration noch ausführlicher zu erörtern gewesen wäre, ist deren Einordnung in die allgemeine, kommunistische Widerstandsstrategie dieser Zeit – prinzipiell die nur beiläufig erwähnten Annäherungsversuche zu anderen Widerstandsgruppen durch den Front national seit Frühjahr 1941.
Auf die Kundgebung und die anschließende Gewalt reagierte der französische Repressionsapparat mit massenhaften Festnahmen, und so gelang es den Behörden relativ bald, eine Vielzahl von beteiligten Aktivistinnen und Aktivisten dingfest zu machen. Mehrere involvierte Männer wurden letztlich von den deutschen Besatzern oder dem französischen Staat hingerichtet, während die kommunistischen Aktivistinnen, die in der Tradition weiblicher Lebensmittelproteste von 1789 lediglich Konserven gestohlen hatten, zu langen Haftstrafen verurteilt und mehrheitlich in deutsche Konzentrationslager deportiert wurden. Wie Schwartz bemerkt, wurde die ursprüngliche Rollenaufteilung der Protestaktion also auch in die anschließende Sanktionierung übersetzt.
Eine interessante Ausnahme bildet die Organisatorin Madeleine Marzin. Sie wurde von einem französischen Sondertribunal als wohl erste Frau in der Geschichte Vichys zum Tode verurteilt, dann aber vom Staatschef Phillip Pétain mit Rücksicht auf die öffentliche Meinung begnadigt. Anschließend gelang ihr bei einem Gefangenentransport eine spektakuläre Flucht. Laut Schwartz waren es die abenteuerliche Figur Marzins sowie die Aktion der Rue de Buci, welche die patriarchale Führungsebene des Vichy-Staats auf das »politische Potential von Frauen« aufmerksam machte (S. 6, 127).
Während die repressive Antwort des französischen Staates und die Beweggründe seiner Funktionäre in der Studie deutlich hervortreten, bleibt das Eingreifen der deutschen Besatzer recht nebulös. Diesbezügliche Aussagen der Autorin sind teilweise etwas widersprüchlich: Während sie einerseits schreibt, dass die Besatzer Urteile gegen französische Bürger vor französischen Gerichten als »eine interne Angelegenheit« gehandhabt hätten (S. 95), treten die Deutschen andererseits in den französischen Verfahren zur Rue de Buci als permanente Kontroll- und Interventionsinstanz auf (z. B. S. 98, 100f., 155) – bis hin zum Todesurteil für sechs Beteiligte an der Konfrontation mit der Polizei, das durch die Wehrmachtsgerichtsbarkeit verhängt wurde. Auch ohne einen Blick in die deutschen Akten hätte die Berücksichtigung der neueren, französischsprachigen Forschungsliteratur zur deutschen, speziell juristischen Repression hier ein genaueres Urteil zugelassen1.
Aus den umfassenden Ermittlungsakten, angereichert und kritisch hinterfragt mit Hilfe von Zeitzeugenaussagen vor allem der weiblichen Protagonisten des Protests, ergibt sich hingegen ein trennscharfes Bild seiner sozialen Zusammensetzung – vor allem Arbeiter und Staatsbedienstete, insgesamt aber eine enorme Bandbreite vom Bürgersohn zum Stahlarbeiter, die unter sich zumeist in familiärer oder freundschaftlicher Beziehung standen. In dieser kleinteiligen Rekonstruktion der relevanten Biographien wird Widerstand als persönliche Entscheidung Einzelner tatsächlich fassbar. Schwartz wendet dabei kein Widerstandskonzept auf einen konkreten Fall an, sondern wartet stattdessen mit Einsichten in die historische Evolution des Begriffs und die Ambiguität des Konzepts auf.
In einem letzten, ausgiebigen Abschnitt geht es Schwartz um die divergierenden Deutungsversuche und die sich stetig wandelnde Erinnerung an den Straßenprotest der Pariser Frauen. Während die legale Presse im besetzten Frankreich die Aktion 1942 als Überfall eines bewaffneten Kommandos darstellte, spielte die kommunistische Untergrundpresse den gewaltsamen Charakter der Aktion herunter, eine Darstellung, die in der Arbeiterbewegung auch nach dem Krieg beibehalten wurde. Auch wenn der französische Staat nach hitzigen Parlamentsdebatten bereits 1945 die Urteile gegen alle Beteiligten aufhob und die Aktion somit als Widerstandsakt anerkannte, blieb sie, so Schwartz‘ Einschätzung, als vornehmlich von Frauen getragene Aktion lange im Schatten der Heldengeschichten männlicher Partisanenkämpfer – eine Rue Madeleine-Marzin wurde erst 2009 eingeweiht. Die Studie endet mit einer Analogie zur Nachkriegszeit: 1970 plünderten in Paris erneut Frauen aus politischen Motiven einen Lebensmittelladen, doch diesmal stahlen maoistische Studentinnen Kaviar und geräucherten Lachs und verteilten die Feinkost unter Migranten in den Elendsquartieren von Paris. Die politischen Rahmenbedingungen hatten sich grundlegend verändert, doch die Grundidee weiblicher Selbstermächtigung im Dienste anderer war geblieben.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Manuel Mork, Rezension von/compte rendu de: Paula Schwartz, Today Sardines Are Not for Sale. A Street Protest in Occupied Paris, New York (Oxford University Press) 2020, 256 p., 21 ill., ISBN 978-0-19-068154-8, USD 29,95., in: Francia-Recensio 2021/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.80093