Das »Essential« eines Themas auf knappstem Raum, gut lesbar und interessant geschrieben, dazu von Experten ihres Faches verfasst, für kleines Geld »handlich verpackt« präsentiert zu bekommen, wünschen sich nicht nur Studierende, Lehrende oder der vielzitierte breitere historisch interessierte Leserkreis, dessen Ansprüche über den Konsum gängiger populärwissenschaftlicher Standards hinausreichen1. Um einen solchen Fall handelt es sich bei dem 2019 publizierten Sammelband von Michael Wildt zum Reichssicherheitshauptamt, einer kurz nach Kriegsbeginn 1939 neu geschaffenen, eigenartigen nationalsozialistischen Behördenkonstruktion in Berlin, die klassische Polizeiressorts wie die Kriminal- und die Politische Polizei mit NS-Parteiinstanzen wie dem Sicherheitsdienst der SS (SD) organisatorisch und personell zusammenführte.

Zweifelhafte Berühmtheit erlangte das Reichssicherheitshauptamt (RSHA)2 während des Zweiten Weltkriegs als Schaltzentrale des nationalsozialistischen Terrors sowie bei der Durchführung der »Endlösung der Judenfrage« in Europa. Zu seinen Unterabteilungen zählten z. B. das »Judenreferat IV B 4« des 1960/1962 in Argentinien aufgegriffenen und anschließend in Israel verurteilten und hingerichteten SS-Massenmörders Adolf Eichmann (1906‒1962) oder die berüchtigten »Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD«, die als rückwärtige Einheiten etwa im »Vernichtungskrieg« gegen die Sowjetunion Hunderttausende massakrierten.

Das Gesicht des RSHA war bis zu seinem Tode infolge eines Attentats durch tschechische Partisanen 1942 sein erster Leiter, Reinhard Heydrich (1904‒1942), schon rein äußerlich (Porträtbild, S. 9) der Prototyp des effektiven, aber eiskalten und mitleidlosen elitären SS-Offiziers. Heydrich war es auch, der den Vorsitz führte bei der berüchtigten Berliner Wannseekonferenz am 20. Januar 1942, bei der es um die bürokratisch-operative Koordinierung des Holocausts im nationalsozialistisch besetzten Europa durch die SS ging. Auf Heydrich folgten übergangsweise der »Reichsführer SS« persönlich, Heinrich Himmler (1900‒1945), und dann ab 1943 SS‑Obergruppenführer Ernst Kaltenbrunner (1904‒1946).

Die sechs Beiträge des Sammelbandes gehen auf eine Kooperation des Instituts für Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin mit der Stiftung Topographie des Terrors zurück. 2014 veranstalteten beide Institutionen im neuen Dokumentationszentrum der Stiftung eine Vortragsreihe zu den einst über die gesamte Stadt verteilten Ämtern und Gliederungen des RSHA. Gleichzeitig nahm man damit Bezug auf einen historisch höchst bedeutsamen Berliner Ort des Schreckens während der NS-Zeit, denn das erst 2010 eröffnete Dokumentationszentrum steht exakt an der Stelle der im Krieg ausgebombten und 1950 abgerissenen Zentrale des Reichssicherheitshauptamtes in der früheren Prinz-Albrecht-Straße 9, unweit des einstigen Mauerstreifens gelegen. Reste der ehemaligen Gefängniszellen im Kellergeschoss sind im Außengelände noch heute deutlich sichtbar.

Ein Blick in das Inhaltsverzeichnis verrät, dass mit Carsten Schreiber, Katrin Paehler und Lutz Hachmeister (neben Herausgeber Michael Wildt) gleich vier der sechs Autoren und Autorinnen bereits an Wildts 2003 vorgelegter SD-Studie mitgewirkt haben3. Paehler und Hachmeister sind mit wissenschaftlichen Biografien zu den SS-Amtsleitern Walter Schellenberg (1910‒1952) und Franz Alfred Six (1909‒1975) hervorgetreten, während Schreiber am Beispiel Sachsens das regionale Wirken des SD in den Blick genommen hat. Hinzu kommen mit Gerhard Paul und Patrick Wagner ausgewiesene (und im Falle Pauls altgediente) Experten zur Herrschaftspraxis von Gestapo und Kriminalpolizei im »Dritten Reich«.

Michael Wildt, seit 2009 Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit einem Schwerpunkt im Nationalsozialismus an der Humboldt-Universität zu Berlin, zählt selbst zweifellos zu den renommiertesten Zeithistorikern in Deutschland. Seine im Jahre 2002 erschienene, viel beachtete Habilitationsschrift zum Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, deren Titel »Generation des Unbedingten«4 Programm geworden ist für den rassistisch belegten Absolutheitsanspruch der SS, gehört zu den wichtigsten Publikationen zur Geschichte des Nationalsozialismus der letzten 20 Jahre.

Charakteristisch für die Tätigkeit des Reichssicherheitshauptamtes, dies drängt sich bei der Lektüre aller Beiträge auf, war die extrem beschleunigte »Entgrenzung« seiner Machtfülle – bei gleichzeitig fortlaufender Restrukturierung seiner personellen und organisatorischen Ressourcen, dies bei einer minimalen Lebensdauer von gerade einmal fünfeinhalb Jahren. Beides war dem bis zum Ende ungebrochenen rassistisch motivierten Vernichtungswahn des NS-Regimes einerseits sowie der zunehmenden Dynamik des Kriegsverlaufs seit 1940/1941 andererseits geschuldet.

Das RSHA, so Michael Wildts einleitende Worte, war keine herkömmliche Polizeibehörde, sondern bildete den »konzeptionellen wie exekutiven Kern einer weltanschaulich orientierten Polizei« mit primär politischem Aufgabenspektrum (S. 7). Sein, wie schon die Lebensdaten der SS-Amtsleiter nahelegen, äußerst junger Führungskader, der Teil der bürgerlichen Elite war, sah sich als »kämpfende Verwaltung«, die die institutionellen behördlichen Rahmenbedingungen in Kombination mit dem Krieg im Osten zur brutalen Durchsetzung ihrer massenmörderischen Weltanschauungspläne nutzte.

Alle sechs Beiträge des Sammelbandes zeichnen sich durch außerordentlich gute Lesbarkeit, (auch optisch) ansprechende Gliederung und die Fähigkeit aus, auf wenigen Seiten den Extrakt umfangreicher langjähriger historischer Forschung pointiert auszubreiten. Mehrheitlich greifen die Autoren und Autorinnen bei ihrer Darstellung auf ein biografisches Grundgerüst zurück, das aber (entgegen dem Klappentext) leider weniger häufig in die Nachkriegszeit hineinragt, so dass die vielfach interessanten Nachkriegskarrieren der bei Kriegsende allenfalls »im besten Mannesalter« stehenden RSHA-Elite, die sich dazu nur in geringer Zahl vor deutschen Gerichten zu verantworten hatte, teilweise unterbelichtet bleiben. Fast immer jedoch geht es bei den kurzen Ausschnitten zu den Lebensgeschichten um Expansion und Selbstbehauptung im polykratischen Konkurrenzgefüge (Lutz Hachmeister) des NS-Regimes.

Als Leserin bzw. Leser eines kompakten Readers zu einem der führenden Machtzentren des »Dritten Reiches« hätte man sich, offen gestanden, statt eines schlichten (zweiseitigen) Vorworts allerdings eine strukturierende Einleitung des Herausgebers in die Forschungsentwicklung zum RSHA bzw. die Überlieferungsgeschichte der bei Kriegsende weitgehend vorsätzlich vernichteten Aktenbestände dieser Behörde gewünscht. Dazu wäre Wildt, wie die entsprechenden Passagen in seiner Habilitationsschrift belegen5, ja durchaus in der Lage. Hier, so ist zu konstatieren, hat sich der Herausgeber wenig Arbeit gemacht, zumal die, wie im Vorwort zu lesen ist, zum Zeitpunkt der Veröffentlichung schon fünf Jahre alten Vortragsmanuskripte für die Publikation »überarbeitet und aktualisiert« wurden.

Bedauerlich ist auch der grundsätzliche Verzicht auf einen Anmerkungsapparat, der die Lesbarkeit erhöhen soll, mit dessen Hilfe man aber etwa die in den Beiträgen enthaltenen vielen Zitate oder Aussagen von Personen verifizieren könnte, die so etwas leer im Raum dastehen. Formale Kritik ist schließlich mit Blick auf die am Ende des Buches zusammengestellte dreiseitige »Ausgewählte Literatur« auszusprechen. Begreiflicherweise wollte man vermeiden, an die Autorentexte eine mehr oder weniger aufgeblähte alphabetisch geordnete Literaturliste einfach »anzuhängen«. Es macht aber wenig Sinn, ein gerade mal 44 Einträge umfassendes »Mini-Titelverzeichnis« in sechs sich an die Textbeiträge anlehnende Abschnitte zu unterteilen, wenn einzelne Titel wie etwa das Standardwerk des Herausgebers drei- oder viermal auftauchen – es sei denn, man möchte die Publizität der eigenen Publikationen in den Vordergrund rücken. Hierfür spricht auch die Tatsache, dass ein Drittel der genannten weiterführenden Literatur von den Autorinnen und Autoren selbst stammt.

Diese Kritik indes schmälert den Wert des Buches nur unerheblich, das seinen Weg als kompaktes, gut strukturiertes und dazu leicht zu lesendes Einführungswerk in ein überaus komplexes Thema finden wird.

1 Ein vorzügliches Beispiel für diese Art Fachliteratur ist die bei C. H. Beck verlegte Reihe »C. H. Beck Wissen«; daraus exemplarisch für die Zeit des Nationalsozialismus 1933‒1945 der Band von Hans-Ulrich Thamer, Die NSDAP. Von der Gründung bis zum Ende des Dritten Reiches, München 2020.
2 Nicht zu verwechseln mit dem »Rasse- und Siedlungshauptamt« der SS (RuSHA), das sich um die »Rassenauslese« im Kontext der SS-Germanisierungspolitik im besetzten Osteuropa kümmerte; vgl. dazu Isabel Heinemann, »Rasse, Siedlung und deutsches Blut« – Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 2003.
4 Vgl. ders., Generation des Unbedingten. Das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes, Hamburg 2002, ³2015.
5 Ibid., S. 29–37.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Hubert Roser, Rezension von/compte rendu de: Michael Wildt (Hg.), Das Reichssicherheitshauptamt. NS-Terror-Zentrale im Zweiten Weltkrieg, Leipzig (Hentrich & Hentrich) 2019, 144 S., 9 Abb. (Topographie des Terrors. Notizen, 13), ISBN 978-3-95565-360-6, EUR 12,80., in: Francia-Recensio 2021/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.1.80097