Zunächst glaubt man, es handle sich um einen Irrtum. Die hier zu besprechende Neuerscheinung »Les mémoires de Trévoux 1751–1762. Un moment dans l’histoire religieuse et intellectuelle de la France du XVIIIe siècle«, erschienen bei Honoré Champion (Paris), wirkt als Publikation völlig aus der Zeit gefallen. Der Rezensent hat, nachdem er nicht nur Band eins, sondern auch Band zwei und drei zur Lektüre vor sich ausgebreitet hat, den Eindruck einer französischen thèse d’État alten Stils in ihrer Disputationsfassung: drei in Karton gebundene »Wälzer« – Einzelbände mit insgesamt gut 1600 Seiten reinem Text – davon ein Drittel bis die Hälfte in den Fußnoten. Illustriert wird das Ganze lediglich mit einigen Seiten Statistik, gefolgt von einer Chronologie, einer Zusammenstellung von Kurzbiografien, einem Glossar, dem Quellen- und Literaturverzeichnis, einer Abkürzungsliste sowie – zum Glück – einem Namensindex und schließlich auch einem Inhaltsverzeichnis.
Warum sich ein Inhaltsverzeichnis allerdings nur am Ende von Band 3 – und nicht, wie durchaus üblich, am Ende eines jeden Bandes – findet, ist eines der Details, die sich dem Rezensenten nicht erschließen. Ein weiteres ist die Frage, warum ein Werk solchen Umfangs nicht (auch) in elektronischer Fassung publiziert wird: Seine physische Handhabung ist schwierig, sein Transport noch schwieriger und seine Anschaffung definitiv weit über dem Preis vergleichbarer Neuerscheinungen. Insofern kann bereits an dieser Stelle empfohlen werden, das Werk, das kaum in Gänze zu lesen ist, eher in den Beständen einer Fachbibliothek aufzusuchen und punktuell zu konsultieren, statt es zur Gesamtlektüre anzuschaffen.
Der Autor, Christian Albertan, zählt zu den Spezialisten der Jesuiten im 18. Jahrhundert. Seine Studien und Veröffentlichungen kreisen seit vielen Jahren um die Publikationen der Jesuiten sowie den Journalismus im Zeitalter der Aufklärung. Beim »Journal de Trévoux« handelt es sich nun um eines der einflussreichsten Periodika des 18. Jahrhunderts, das um 1750 seine erfolgreichste Zeit hatte. Regelmäßig wurden darin auf hohem intellektuellen Niveau die wissenschaftlichen Neuerscheinungen der Zeit besprochen, Nachdrucke des »Journal« erfolgten in Holland, Italien und Spanien. In seinem Selbstverständnis jesuitisch-tendenziös, geriet das Journal, das traditionell von den Jansenisten als innerkonfessionelle Gegner attackiert wurden, ab Mitte des Jahrhunderts auch ins Kreuzfeuer der philosophes der Aufklärung, die dank ihrer Großpublikationen wie der Enzyklopädie, ihren mächtigen Protektoren und Protektorinnen wie Madame de Pompadour und dank nachlassender Pressezensur stetig an Wirkmächtigkeit gewinnen konnten. Die vorliegende Studie Christian Albertans konzentriert sich auf die elf Jahre des »Journal«, in denen es in puncto Auflage und Ausstrahlungskraft seine größte Wirkung entfaltete, wobei der Autor ein besonderes Augenmerk auf die Rolle des Chefredakteurs, Père Berthier, legt.
Die vorliegende Forschungsarbeit gliedert sich in drei inhaltliche Abschnitte, die allerdings nur teilweise mit den drei Einzelbänden kongruent sind, was die Handhabbarkeit des Gesamtwerks weiter erschwert. Teil eins, gut 550 Seiten, thematisiert die Bedingungen und wechselnden äußeren Umstände, unter denen das »Journal de Trévoux« erstellt wurde. Teil zwei, der mit rund 350 Seiten kürzeste Teil, untersucht die Rezeption des »Journal«. Der dritte Teil interpretiert auf gut 700 Seiten die Ergebnisse der ersten beiden Teile, wobei ein besonderes Gewicht auf der Auseinandersetzung mit der großen Enzyklopädie liegt. Jeder einzelne (inhaltliche) Teil hat seine eigene Einleitung, es fehlt dagegen jeweils ein Kapitel mit einer Zusammenfassung oder Schlussfolgerungen am Ende eines jeden Teils – diese findet der Leser oder die Leserin nur in Form einer »Conclusion générale« am Ende von Band drei.
Ist der Forschungsgegenstand relevant? Ja, denn die zu Tage geförderten Informationen über die Aufklärung bilden so etwas wie einen Bohrkern, der sehr tiefe Einsichten in die gelehrte Welt des 18. Jahrhunderts, die république des Lettres, bietet und dabei die Publikationsmechanismen der etwas vage als anti-Lumières bezeichneten, konservativen Gegenbewegung zu den bekannten und letztlich siegreichen Aufklärern darstellt. Hierin liegt die eigentliche Leistung der Studie. Ein weiterer Aspekt ist, dass das »Journal« nicht nur als eines der größten Presseorgane Frankreichs im 18. Jahrhundert angesehen wurde, sondern auch geographisch und politisch den Standpunkt der Provinz zum Ausdruck brachte – in einer Zeit, für die man zwar nicht mehr so sehr den Hof von Versailles, umso mehr aber bereits Paris für das geistige Zentrum Frankreichs hielt.
Die erzielten Ergebnisse betreffen drei Bereiche: erstens das Pressewesen des 18. Jahrhunderts, zweitens die Rolle der Societas Jesu in Frankreich und das soziale Milieu, in dem sie sich bis zu ihrem Verbot 1762 entfaltete, und drittens die nur näherungsweise definierte anti-Lumières-Bewegung, der im weiteren Sinne auch die Jesuiten und das »Journal de Trévoux« zuzurechnen sind.
Christian Albertan gibt die Leserzahl dieses bedeutendsten Periodikums des vorrevolutionären Frankreichs mit insgesamt ca. 10 000 Lesern und Leserinnen an, die alle der Bildungselite zuzurechnen seien. Dies habe sich bis zum Verbot der Societas Jesu nicht geändert – trotz des wachsenden Einflusses der philosophes und ihrer unablässigen Angriffe auf das »Journal«. Eine besondere Rolle bei dieser editorischen Erfolgsgeschichte spielen die Redakteure, deren Wirken Albertan im Detail untersucht und präsentiert; hierbei wird vor allem ihre journalistische Modernität deutlich. Auch zeigt Albertan, wie das »Journal«, obwohl gefördert und geschützt durch die einflussreiche Familie der Maine, ebenfalls das Joch der Zensur ertragen musste und wie von außen Einfluss auf seine Inhalte genommen wurde.
Trotz ihrer konservativen Werte und guten Kontakten zum politischen Establishment mussten daher auch die jesuitischen Redakteure und Autoren vieles indirekt zum Ausdruck bringen. Auch zeigt Albertan, dass die Redakteure keinesfalls nur Sprachrohr einer vermeintlich einheitlichen jesuitischen Ideologie waren, sondern, bei aller Unterstützung für die Societas Jesu, hierbei sehr unterschiedlich vorgingen. Neben diesen Dingen dokumentiert das »Journal« auch die Rolle der Jesuiten innerhalb der anti-Lumières im Umgang mit den von den philosophes angestoßenen Innovationen. Die in ihrem Selbstverständnis konservativ und katholisch geprägten Redakteure des »Journal« interessierten sich in der Tat sehr für den technisch-wissenschaftlichen Fortschritt des 18. Jahrhunderts – man denke an den Beginn des Impfens oder an die neuen Wissensaggregationen in Landwirtschaft und Astronomie. Albertan zeigt ihre diesbezügliche Offenheit, die so weit ging, entsprechende Neuerungen gegenüber anderen, weniger offenen Milieus innerhalb der Kirche zu verteidigen. Entscheidend ist hierbei, dass die Redakteure des »Journal« die Aufklärung nicht leugneten oder blind bekämpften, sondern sie mit dem christlichen Glauben zu versöhnen suchten.
All dies sind lesenswerte Erkenntnisse – sorgfältig recherchiert und mit ausgesprochen genauen Quellenangaben. In der akribischen Durchforstung zahlreicher verstreuter Archive besteht die Hauptleistung dieser Forschungsarbeit. Für Spezialisten der Materie enthält diese Publikation zahlreiche neue und fesselnde Details, wenn auch die vom Autor zentral präsentierte Erkenntnis, dass die Jesuiten manchem Gedanken der Aufklärung, vor allem aber wissenschaftlichen Neuerungen gegenüber weit offener waren als die katholische Orthodoxie, nicht wirklich neu ist.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
David Bitterling, Rezension von/compte rendu de: Christian Albertan, Les Mémoires de Trévoux. 1751–1762. Un moment dans l’histoire religieuse et intellectuelle de la France du XVIIIe siècle, 3 vol., Paris (Honoré Champion) 2020, 1844 p. (Les dix-huitièmes siècles, 210), ISBN 978-2-7453-5254-5, EUR 190,00., in: Francia-Recensio 2021/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.2.81536