Vielfach ist in der Forschung in Folge der Bürgerkriege des 16. Jahrhunderts von einer Zurückdrängung religiöser Leidenschaften ausgegangen worden (S. 12). Ein anderes Bild entwerfen die Ergebnisse der von Serge Brunet und Éric Suire geleiteten Studientage an der Universität Montpellier, die sich mit den frommen Katholiken im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts, den sogenannten Devoten, beschäftigten. Ziel der von Brunet und Suire herausgegebenen Untersuchungen ist es, die Performativität der Zugehörigkeit und die Handlungen der »milieux dévots« zu erforschen (S. 15). Dabei gliedern sie die Beiträge in drei Kapitel, von denen das erste die fromme Gesellschaft, das zweite das Verhältnis von Devoten und Politik und das dritte die Propagierung devoter Frömmigkeit behandelt.
Die fromme Gesellschaft wird vor allem durch die Zugehörigkeit zu devoten Kongregationen und die Verbreitung devoter Erbauungsbücher charakterisiert. François-Xavier Carlotti legt eine prosopografische Untersuchung der Bruderschaft der Messieurs de Saint-Joseph in Aix-en-Provence vor. Die Mitglieder der Gemeinschaft seien durch eine gemeinsame lokale Herkunft und verwandtschaftliche Beziehungen eng miteinander verbunden gewesen (S. 25–27). Ihre Mitglieder hätten als urbane Elite alle Bereiche des städtischen Lebens beeinflusst: mildtätige Werke vollbracht, das Kunstschaffen der Stadt gefördert, die »Häresie« bekämpft und eine geregelte, katholische Frömmigkeitspraxis propagiert. Der Jansenismus habe jedoch Anfang des 18. Jahrhunderts zu einer inneren Spaltung und damit zum Bedeutungsrückgang der Bruderschaft geführt (S. 41).
Einen Lösungsansatz für alltägliche Auseinandersetzungen unter den Devoten identifiziert Anne Brozon in der Streitschlichtung. Sie sei durch erbauliche Schriften, wie den »Arbitre charitable«, angeleitet worden (S. 43). Die Verwendung dieses Werkes habe insbesondere in der Compagnie du Saint-Sacrement und ihren Nachfolgeinstitutionen große Bedeutung erlangt (S. 44). Namentlich die Assemblée charitable de Saint-Sulpice habe ihre politischen Verbindungen genutzt, um dessen Anwendung zu propagieren (S. 63). Verbindungen zwischen der Compagnie du Saint-Sacrement und der Congrégation des Messieurs de Paris stehen im Zentrum einer prosopografischen Studie von Taeko Yamamoto. Sie stellt zahlreiche personelle und strukturelle Überschneidungen beider Gesellschaften im 17. Jahrhundert fest (S. 67). Ein zweiter Beitrag der Autorin befasst sich mit dem Fortbestehen der Congrégation, nach dem Verbot der Compagnie du Saint-Sacrement. Erstere habe Anfang des 18. Jahrhunderts wegen des Jansenistenstreits zahlreiche Mitglieder aus der Magistratur verloren. Andere Mitglieder hätten ihr aber aufgrund der gemeinsamen jesuitischen Erziehung und familiärer Tradition die Treue gehalten und sich in der Congrégation im Kampf gegen den Jansenismus vereinigt (S. 111).
Der Jansenistenstreit führt danach zum zweiten Hauptkapitel des Bandes: der Verbindung zwischen Devoten und der französischen Politik. Sandra La Rocca untersucht das Institut des filles de l’Enfance in Toulouse. Dessen Gründer Jeanne de Juliard de Mondonville und Abbé Gabriel de Ciron hätten Verbindungen zu jansenistischen Magistraten der Stadt unterhalten und seien so ins Visier des Königtums geraten (S. 140). Am Beispiel Angoulêmes untersucht Stéphanie Urban den Übergang von der Liga zur katholischen Reform zwischen 1585 und 1655 (S. 142). Sie kommt zu dem Ergebnis, dass lokale Eliten, der Bischof und die Bevölkerung gemeinsam an der katholischen Rückeroberung der Stadt arbeiteten (S. 153–154).
Einen erheblichen Einfluss auf den Erfolg der katholischen Reform schreibt Éric Suire der altgläubigen Erbauungsliteratur zu, die sich mit dem Leben Jesu beschäftigte (S. 155–156). In ihr seien nach den Bürgerkriegen die tridentinische Reform und die Sakralisierung des Königtums eine Symbiose eingegangen (S. 157, 167). Eine Verbindung von Politik und Frömmigkeit lasse sich aber nicht nur im städtischen Raum und der Literatur ausmachen, sondern ist François Pugnière zufolge auch an der Geschichte der Türkenkriege ablesbar. In Frankreich sei die Teilnahme an den Türkenkriegen ein Zeichen politischer Dissidenz gewesen, mit der die Devoten das Einvernehmen der Krone mit dem ottomanischen Sultan konterkarierten (S. 169–170). Nach den Belagerungen von Malta und Candia aber sei der Kreuzzug zum Mythos geworden, der keine realen Entsprechungen mehr besessen habe (S. 184).
Einen Bedeutungsverlust religiös begründeter Außenpolitik diagnostiziert José Javier Ruiz Ibáñez auch für die innerchristlichen Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten in Europa. Er interpretiert die Liga in Frankreich, die Rebellion in Irland und den Gunpowder Plot in England als Rückzugsgefechte einer durch die Stärkung der monarchischen Gewalt desorientierten Parti dévot (S. 199-200). Spanien habe nach den Friedensschlüssen mit Heinrich IV. und Jakob I. nicht mehr als Schutzmacht der Devoten fungieren können (S. 193).
Im Gegensatz dazu widmet sich der dritte Teil des Sammelbandes der Ausbreitung katholischer Frömmigkeit. Serge Brunet skizziert ein Memorandum zur Missionierung der Pyrenäen aus dem frühen 17. Jahrhundert, das an den Provinzial der Jesuiten in Toulouse und den Jesuitengeneral in Rom adressiert war (S. 203). Die Denkschrift zeuge vom Einvernehmen des Ordensgenerals mit einem vom Geist der katholischen Reform geprägten Episkopat. Der Friede von Alès und die fehlende Ausgrenzung der ehemaligen Ligisten hätten im Süden die Gegenreformation begünstigt (S. 227).
Nicolas Guyard zeigt am Beispiel der Karmeliterkonvente von Lyon und Rouen, dass diese durch die Schenkung von Reliquien durch fromme Spender zu Zentren der Devoten im städtischen Raum avancierten (S. 241–242). Die Devoten hätten sich darüber hinaus auch in der Armenfürsorge engagiert und diese geschickt in Szene gesetzt. So beschäftigt sich Alexandra Wooley mit dem Illustrator Albert Flamen, der im Auftrag der Assemblée des Messieurs de Saint-Sulpice die guten Werke Jean-Jacques Oliers illustrierte. Chenzhe Li untersucht Missionars- und Reiseberichte aus China, die die dortige Praxis der Kindsaussetzung thematisieren. Ziel dieser Berichte sei es gewesen Gelder für die Heidenmission zu akquirieren (S. 265, 274).
Der Band wird schließlich durch ein Fazit Éric Suires abgerundet, das sechs Themenkomplexe des Montpellier-Forschungsprogramms vorstellt. Dabei gehe es erstens um die Definition der politischen Gruppen, in denen sich die Devoten organisierten. Zweitens seien ihre sozialen und familiären Strategien sowie drittens die Orte frommer Soziabilität zu untersuchen. Viertens müsse das Verhältnis zwischen Devoten und religiösen Orden näher beleuchtet werden. Die politische Tätigkeit der Devoten stelle den fünften Themenkomplex dar, der um ein sechstes Thema ergänzt werden müsse: Das Verhältnis der Devoten zum Buch im Zeitalter der katholischen Reform (S. 276).
Die Besonderheiten der Parti dévot und der katholischen Frömmigkeit in Frankreich rechtfertigen eine Konzentration auf das Hexagon. Ihre Spezifika hätten sich allerdings noch deutlicher durch eine Verortung der Devoten im europäischen Vergleich herausarbeiten lassen1. Insbesondere der Kulturtransfer mit Italien wäre innerhalb der katholischen Kirche von besonderem Interesse gewesen. Das ändert jedoch nichts am Verdienst des Bandes, einen Einblick in die Ergebnisse aktueller Forschungen zu den Devoten in Frankreich zu gewähren.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Christian Mühling, Rezension von/compte rendu de: Serge Brunet, Éric Suire (dir.), Les dévots de France, de la Sainte Ligue aux Lumières. Militance et réseaux, Bordeaux (Presses universitaires de Bordeaux) 2019, 298 p. (Identités religieuses), ISBN 979-10-300-0454-0, EUR 25,00. , in: Francia-Recensio 2021/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.2.81539