Andrew Devereuxs Buch kommt mit einem markigen und fast schon hochtrabenden Titel daher, der dem Anschein nach sogar den »Aufstieg Spaniens« erklären möchte. Bei genauer Betrachtung des Buches wäre der Titel »Eine Analyse der juridischen Grundlagen und argumentativen Rechtfertigungen für die Expansionspolitik Ferdinands II. von Aragon im Mittelmeerraum zwischen 1481 und 1516« wohl treffender gewesen, wobei einzuräumen ist, dass dieser Titel nicht dieselbe publizistische Zugkraft gehabt hätte. Besagte Analyse leistet der Autor jedenfalls mit Bravour. In der Tradition Fernand Braudels widmet sich Devereux der Idee des Mittelmeeres als Gemeinschaftsraum in einer Schlüsselepoche, die er als »Mediterranean moment« bezeichnet. Den Mittelmeerraum betrachtet er – im Kontrast zu Amerika – als die »andere Seite des Imperiums«, die er ins rechte Licht rücken und deren Stellenwert für Spanien er neu bewerten möchte.

Das Buch, das aus einer Doktorarbeit hervorgegangen ist, gliedert sich, im Anschluss an die Einleitung, in zwei Teile. Der erste dient als theoretischer Hintergrund, während der zweite vier »Fallbeispiele« untersucht. Auf die abschließende Konklusion folgen eine recht umfassende Bibliographie und ein gut brauchbarer Index. Leider fehlt ein Kartenverzeichnis für die Handvoll illustrativer Karten und auch eine Chronologie wäre nützlich gewesen, da das Buch thematisch orientiert ist und stark zwischen den Jahren springt. Die sechs Kapitel sind beinahe als selbstständige Texte konzipiert, was zwar selektives Lesen ermöglicht, aber zu manch einer Wiederholung führt.

Schauplatz der Handlungen ist der Mittelmeerraum zwischen ca. 1481 (Eroberung Otrantos) und 1516 (Tod Ferdinands). Im weiten Sinne wird der zeitliche Bogen jedoch von der Herrschaft der Westgoten im Frühmittelalter bis zur Mitte des sechzehnten Jahrhunderts gespannt, als es zur Entdeckung der Silberminen in Amerika kam und in Valladolid über das Schicksal der Indigenen diskutiert wurde. Das Buch umfasst damit eine Zeit, in der das frühneuzeitliche Spanien seinen Aufstieg begann, Amerika auf den Plan trat und das Osmanische Reich eine dominante Rolle im Mittelmeer übernahm. Im Fokus stehen Ferdinand II. von Aragon, Gatte Isabels I. von Kastilien, und seine mittelmeerische Expansionspolitik von den Kanarischen Inseln über Melilla, Tunis und Ägypten nach Jerusalem, Konstantinopel, Griechenland, Neapel und Sizilien.

Eine wichtige Rolle spielen Personen im Umfeld des Monarchen wie Kardinal Cisneros, Peter Martyr und Christoph Columbus. Besonders aber untersucht Devereux die Texte des Juristen Juan López de Palacios Rubios, des Höflings Cristóbal de Santesteban und des Kommandanten Pedro Navarro. Darin findet er Überlegungen, Rechtfertigungen und Vorschlägen in Bezug auf Ferdinands Expansionspläne, die er gewissenhaft analysiert.

Im ersten Kapitel, »Das Mittelmeer in der spanischen Vorstellungswelt in der Phase der Erkundungsfahrten« (S. 21–42), geht es um die verschiedenen Wahrnehmungen des Mittelmeerraums, um seine geographische Verortung (Breitengrade, Kontinente), seine Heterogenität (Fremdheitswahrnehmung), seine (idealisierte) christliche Vergangenheit und seine potenzielle Einheit als Reich nach römischem Vorbild. Das zweite Kapitel, »Das belagerte christliche Gemeinwesen« (S. 43–62), beschreibt, wie das Abendländische Schisma (1378–1417) und die Eroberung Konstantinopels (1453) dazu beitrugen, die geistliche Autorität des Papstes in Frage zu stellen und die Angst vor den Osmanen zu entfachen. Auf Grundlage dieser Wahrnehmungen entwickelte sich in Europa der Wunsch nach einer starken Hand, die die kirchliche Einheit (respublica christiana) wiederherstellen und sie vor den Osmanen beschützen würde. Auf diesen Ängsten und Sehnsüchten baute Ferdinand von Aragon ab 1481 seine Argumente zur Rechtfertigung seiner militärischen Aktionen in Süditalien auf, indem er sich als weltlichen Beschützer der Christenheit darstellen ließ. Damit ist der einleitende Theorieteil abgeschlossen.

Mit dem dritten Kapitel, »Der Türke im Inneren« (S. 63–94), beginnen die Fallbeispiele. Angesichts der konkurrierenden Ansprüche Frankreichs und Spaniens um Süditalien (1494–1516) und Navarra (1512–1516) entwickelten beide Staaten Legitimationsstrategien, um den Papst, der als Richter des Streits fungierte, von ihren rechtmäßigen Ansprüchen zu überzeugen. In beiden Fällen war Ferdinand darum bemüht, den französischen König als innere Gefahr für die Einheit der Kirche darzustellen, die sogar größer war als die äußere Gefahr durch die Osmanen. Damit wurde ein »Gerechter Krieg« sogar zu einem »Heiligen Krieg«, den Ferdinand als Verteidiger der Christenheit anführen wollte.

Kapitel vier, »Der afrikanische Horizont« (S. 95–126), stellt den Kern des Buches dar. Devereux kommt hier erstmals ausgiebig auf die Dichotomie zwischen Mittelmeerraum und Amerika zu sprechen und attestiert eine Ähnlichkeit, besonders zwischen Nordafrika und der Karibik, da beide Regionen von »Ungläubigen« bewohnt waren. Andererseits sieht er aber auch eine klare Differenz, da die Indigenen Amerikas noch nie mit dem Christentum in Kontakt gekommen waren. In beiden Fällen baute Ferdinand bei seiner Expansion auf eine Schenkung des Papstes auf, die jedoch mit der Verpflichtung zur aktiven Missionierung verbunden war. Um sich dieser Verbindlichkeit in Nordafrika zu entziehen, wählte er dort eine differenzierte Legitimationsstrategie. Er argumentierte, dass das ehemals von den Westgoten – seinen Vorfahren – beherrschte und teils christliche Nordafrika unrechtmäßig usurpiert worden war und nun in einem »Gerechten Krieg« zurückerobert werden müsse. Da es zudem ein Konflikt mit muslimischen Potentaten gab, handelte es sich aus seiner Sicht sogar um einen »Heiligen Krieg«. Devereux sieht hier eine klare wechselseitige Beeinflussung von Ferdinands Überlegungen zu Amerika und seinen Erwägungen zum Mittelmeerraum, die ihrerseits die jeweiligen Expansionen in beiden Räume jedoch verschieden legitimierten.

Das fünfte Kapitel, »Die östliche Chimäre« (S. 127–154), beschreibt, wie Ferdinand sich den Titel eines Königs von Jerusalem zunutze machte, um seine (geplanten) Feldzüge gegen Muslime als Befreiungskriege für lokale Christen oder ehemals christliche Gebiete zu rechtfertigen. Kapitel sechs, »Ein Hirte, eine Herde« (S. 155–176), vertieft abschießend die Überlegungen zum Thema eines obersten Verteidigers der Kirche und des Weltfriedens und veranschaulicht anhand diverser Medien (Prophezeiungen, Denkschriften, etc.), wie verschiedene Vorstellungen und Argumente übergreifend im ganzen Kommunikationsraum des Mittelmeeres Verwendung fanden, einschließlich muslimischer Gebiete. Das Buch endet mit einer Konklusion, die einen Ausblick auf die Entwicklungen in Amerika und die wechselseitigen Beeinflussungen der Neuen Welt mit dem Mittelmeerraum in den Jahren nach 1516 darstellt.

Während Devereux einerseits die Wechselwirkungen zwischen Mittelmeer und Atlantik über manche Strecken gut beleuchtet, lässt sich andererseits in seinem Blick auf Amerika vielleicht seine größte argumentative Schwäche festmachen. Er stellt die Suggestivfrage »War Spaniens atlantisches Schicksal [um 1510] nicht offensichtlich?« (S. 10) und resümiert damit gleich die angebliche Forschungsmeinung, dass dies tatsächlich der Fall gewesen sei. Demgegenüber argumentiert er, wenig überraschend, dass eine Fokusveränderung der Aufmerksamkeit zum Atlantik vor 1516 nicht stattfand. Als zentrale These des Buches taugt diese jedoch nicht, denn sie findet in der Fachwelt heutzutage kaum mehr Gegenstimmen. Damit läuft das Argument Devereuxs etwas ins Leere, denn die Frage, warum Ferdinand bis 1516 so viel mehr Energie in das Mittelmeer steckte als in ein paar kümmerliche Inseln im Atlantik ist leicht zu beantworten. So wurde vor allem Amerika für Spanien erst 1521 mit der Eroberung Mexikos interessant und warf lediglich nach der Entdeckung der Silberminen in den 1540er Jahren Gewinne ab. Dementsprechend ist der Fokus Ferdinands auf das Mittelmeer als Schauplatz jahrhundertealter Machtkämpfe keineswegs überraschend. Daneben kann bemängelt werden, dass einige theoretische Konzepte nicht konsequent zu Ende gedacht werden, vor allem die »intended audience« (S. 71) oder das Kommunikationsmodell von Catlos (S. 69), und dass beim Vergleich zwischen Aragon und Frankreich die französischen Argumente nicht ausreichend beschrieben werden. Dies sind jedoch kleinere Kritikpunkte an einem ansonsten exzellent geschriebenen Buch.

Insgesamt stellt das Werk eine herausragende Analyse der Expansionspolitik Ferdinands im Mittelmeerraum dar und bereichert die europäische Rechts- und Herrschaftsgeschichte der beginnenden Frühen Neuzeit. Es bietet einen soliden Einblick in die legale Rechtfertigungsproblematik Ferdinands und seiner »Rechtsberater« hinsichtlich Aragons »Gerechten Kriegen« im Mittelmeer, vor allem in der Zeit nach Isabels Tod (1504). Die Darstellung ist gerade deshalb interessant, weil sie eine Umbruchszeit, d. h. einen Moment kurz vor der europäischen Hinwendung zum Atlantik, in den Blick nimmt. Dabei veranschaulicht die Studie sehr deutlich die zeitgenössische Vorstellungswelt im Mittelmeerraum, insbesondere millenaristische Auffassungen, Endzeiterwartungen, die Angst vor dem Osmanischen Reich, die Wahrnehmung einer gespaltenen Kirche und die Hoffnung auf einen christlichen Beschützer der Christenheit. Devereuxs Analysen sind dabei essentiell und leisten einen wichtigen Beitrag, um die europäische Sichtweise auf die Expansion in Amerika, die Debatten über den Kulturkontakt und die Entstehung der spanischen Kolonien in einem neuen Licht zu sehen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Eberhard Crailsheim, Rezension von/compte rendu de: Andrew W. Devereux, The Other Side of Empire. Just War in the Mediterranean and the Rise of Early Modern Spain, Ithaca, NY (Cornell University Press) 2020, XIV–262 p., 3 b/w ill., 5 maps, ISBN 978-1-5017-4014-5, USD 49,95., in: Francia-Recensio 2021/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.2.81602