Wer die Arbeiten von Henri Hours (1926–2017) kennt, mag sich gewundert haben, dass letztes Jahr (2020), also postum, ein umfangreiches Buch von ihm zum Ende der Religionskriege in Frankreich und zur »Rückkehr« Lyons unter die königliche Autorität erschienen ist. Denn niemand, der zu Lyon oder zum Lyonnais in der Frühen Neuzeit (und etwas darüber hinaus) in den letzten Jahren forschte, konnte Hours‘ Forschungen und hilfreichen Instrumente, um Zugang zu Quellen zu finden, ignorieren. Dazu gehören auch die äußerst nützlichen Hefte der »Pré-inventaires des monuments et richesses artistiques du Rhône«. Hours war seit den 1950er Jahren Archivar in verschiedenen Archiven Lyons; zuletzt, schon als Rentner, arbeitete er bis 2010 ehrenamtlich im Archiv der Erzdiözese Lyons. Von seinem vertieften Einblick in die Lyoner Archivbestände konnte nicht zuletzt Natalie Zemon Davis, die »grande dame« der Lyoner Frühneuzeit-Geschichte, profitieren, als sie sich in den 1960er und 1970er Jahren regelmäßig in der Stadt aufhielt. (Auch die Rezensentin hat er zu Beginn dieses Jahrtausends noch beraten: brieflich!) Ein Blick in die von Pierre-Jean Souriac verfasste »Présentation« des Buchs (S. 7–28) trägt zur weiteren Aufklärung bei: Als Teil seiner Archivarsausbildung an der École des chartes erhielt Hours mit der Arbeit »Le retour de Lyon sous l’autorité royale à la fin des guerres de Religion (1593–1597)« im Jahr 1951 sein Archivdiplom. Entsprechend den damaligen Regelungen wurde diese Arbeit weder publiziert noch anderweitig einer größeren Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dennoch wurde sie all die Jahre gelesen und zitiert von denen, die den Autor kannten.

Das Versterben des Autors nahm Souriac dankenswerterweise zum Anlass, diese Arbeit zu veröffentlichen, was zunächst bedeutete, die maschinengeschriebene Version des Manuskripts in eine digitale Version zu transformieren. Als Band 39 der Reihe »Chrétiens et sociétés« ist sie nun erschienen. Auf die Einleitung Souriacs folgt der gesamte Text (mit kritischem Apparat), ein Quellenanhang (16 transkribierte Dokumente aus Lyon und Paris), die Liste der vom Stadtrat zwischen 1594 und 1596 Verbannten, das Quellenverzeichnis, eine aktualisierte Bibliographie sowie ein Personenindex. Im Kern ist Hours Text eine minutiöse Rekonstruktion der Ereignisse der Jahre 1593 bis 1597, als Lyon der ligistischen Phase den Rücken kehrte, sich wieder der königlichen Herrschaft unterwarf und die inneren politischen Verhältnisse (wie das Verhältnis zum König) ordnete. Ohne sich selbst einer bestimmten Schule zuzuordnen, handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine Politikgeschichte mit einem Fokus auf die Instanzen, die die Verhältnisse in Lyon wieder ordneten: Konsulat, Erzbischof und Königsvertreter. Als Quellengrundlage seiner Studie dienten Hours vor allem die Korrespondenzen der Stadt, aber auch Rechnungen, Ratsprotokolle, die Korrespondenz der königlichen Vertreter vor Ort (Jacques de La Fin, Méry de Vic, Pomponne de Bellièvre) sowie die Register der Gerichtstage (Grands Jours) des Pariser Parlaments in Lyon, schließlich einige gedruckte königliche Verordnungen und Mandate und sogar ein 1594 in Nürnberg gedrucktes Flugblatt.

Zum Hintergrund: Während der französischen Bürger- und Religionskriege hatte sich eine Partei gebildet, die sich katholische Liga (Sainte Ligue) nannte und die politisch wie militärisch gegen die Calvinisten vorging, denen es immer wieder gelungen war, eingeschränkte religiöse Freiheiten auszuhandeln. Je länger die Serie der Kriege, die endgültig erst mit dem Edikt von Nantes (1598) abgeschlossen wurde, andauerte, umso mehr zeigten sich auch politische Ambitionen der Adelshäuser wie etwa des Hauses Guise oder des Herzogs von Nemours, der zugleich Gouverneur des Lyonnais war. Auch die Stadt Lyon hatte sich 1589 dieser katholischen Liga angeschlossen, wandte sich aber nach der Konversion Heinrichs von Navarra allmählich wieder dem König zu – musste jedoch für die zeitweilige Untreue schwer büßen. 1594 unterwarf sich die Stadt dem konvertierten König Heinrich IV., schwor ihm Untertanentreue, wurde jedoch in ihren Rechten beschränkt und von einer »bonne ville« mit weitgehenden Stadtrechten zu einer königstreuen Stadt gemacht. Dieser Vorgang wurde in den zeitgenössischen Texten als »réduction« bezeichnet (S. 64), was so viel bedeutet wie Unterwerfung unter königliche Herrschaft, wobei das konkrete Beziehungsverhältnis zwischen Stadt und König ausgehandelt werden konnte. Lyon sollte fortan von einem Stadtvogt und vier Schöffen regiert werden. Die Zeit, als die Kaufleute die Stadt regiert haben, war jedenfalls für lange Zeit vorbei.

Die einzige Studie, die sich der Geschichte dieser Jahre intensiver widmete, ist Yann Lignereuxs monumentale Dissertation »Lyon et le roi« (2003). Waren bei Hours Religionsfragen völlig absent, sind sie bei Lignereux der Politik beziehungsweise der Vernunft unterworfen, war doch auch Heinrich mit der Absicht zum katholischen Glauben konvertiert, König zu werden und das Reich zu befrieden. Die jüngere französische Religionsgeschichte versucht hier inzwischen, den religiösen Praktiken, der Frömmigkeit sowie den spirituellen Bedürfnissen der Menschen wieder etwas mehr Platz einzuräumen. Dem Herausgeber von Hours’ Arbeit ist freilich bewusst, dass auf dem Feld auch sonst weiter geforscht wurde. So wurde die Rolle der Liga in anderen Städten untersucht, etwa von Denis Richet, Elie Barnavi und Robert Descimon für Paris, Wolfgang Kaiser für Marseille, Michel Cassan für Limoges, Stéphane Gal für Grenoble, Olivia Carpi für Amiens und Elizabeth Tingle für Nantes. Olivier Poncet hat sich intensiv mit dem Staatsmann Pomponne de Bellièvre auseinandergesetzt, dem Hours den zweiten Teil seiner Arbeit gewidmet hat. Delphine Estier hat sich in mehreren Aufsätzen intensiv mit dem ligistischen Milieu in Lyon sowie der Flugpublizistik beschäftigt, ihre Dissertation aber leider (noch) nicht vollendet. In einzelnen Aspekten ist man also punktuell über Hours hinausgegangen. Nur die Äußerungen Souriacs zur Erforschung des öffentlichen Raums in Lyon (S. 23–24) sind nicht ganz auf der Höhe des internationalen Forschungsstands.

Trotz der Weiterentwicklung der Forschung gibt es gute Gründe, Hours’ Arbeit auch jetzt noch zu publizieren: um einen stets ein Schattendasein führenden Text mit dem dazugehörenden Quellenkorpus öffentlich zugänglich zu machen und dadurch die Möglichkeit zu eröffnen, daran anzuknüpfen. Insofern ist es auch eine Archäologie der Geschichtsschreibung: Hier wurde eine zu schnell verschüttete Schicht nochmals freigelegt, um allen die Möglichkeit der Betrachtung zu geben und zu prüfen, was man eventuell übersehen hat. Gerade deshalb muss man Hours’ Text auch vor dem Hintergrund der damaligen Zeit einordnen. Nicht nur religiöse Fragen haben ihn jenseits der Rolle des Erzbischofs in diesem Spiel der Mächte nicht interessiert; er gibt in seinem Vorwort auch selbst offen zu, dass er wirtschaftliche, soziale und demographische Aspekte außen vor gelassen hat. Letzteren hat sich längst Olivier Zeller angenommen, doch die wirtschaftliche Situation der 1590er Jahre harrt weiterhin ihrer Erforschung. Hours' Text bildet auch dafür einen Ausgangspunkt. Nicht zuletzt aufgrund der sehr archivalisch-gelehrten Präsentation wird er stets ein klassischer Text bleiben.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Susanne Rau, Rezension von/compte rendu de: Henri Hours, Le retour de Lyon sous l’autorité royale à la fin des guerres de Religion (1593–1597), Lyon (Laboratoire de recherche historique Rhône-Alpes) 2020, 359 p. (Chrétiens et sociétés. Documents et mémoires, 39), ISBN 979-10-91592-25-3, EUR 20,00., in: Francia-Recensio 2021/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.2.81692