Das anzuzeigende Buch, das zur reichen Produktion des Sonderforschungsbereichs 980 »Episteme in Bewegung. Wissenstransfer von der Alten Welt bis in die Frühe Neuzeit« (Freie Universität Berlin, seit Juli 2012) zählt, trägt einen sehr ambitionierten Titel. Es liegt indes auf der Hand, dass es in einem eher schmalen Sammelband mit Beiträgen aus mehreren Disziplinen zu verschiedenen historischen Epochen und Autoren nur um Annäherungen an ausgewählte Ausformungen des »Wissens« gehen kann, das dem schillernden Bereich der »Magie« zugerechnet wurde und wird oder zumindest damit in einem Zusammenhang steht.
Der Anspruch war keineswegs, eine allgemeingültige Definition des Begriffs der Magie zu entwickeln, da die Herausgeber als wissenschaftlichen Konsens postulieren, »dass eine übergreifende Magie-Definition« gar nicht möglich sei (S. 10, ähnlich S. 87). Immerhin aber findet sich in Jutta Emings eigenem Beitrag eine Arbeitsdefinition für die Zeit bis um 1600. Sie versteht »Magie als eine Form der Konzeptualisierung der Welt […], welche auf sympathetischen Strukturen, Ähnlichkeiten und Korrespondenzen zwischen Mikro- und Makrokosmos beruht« (S. 88).
Der Mittelalterteil beginnt damit, dass Christopher Braun und Regula Forster in den Bereich der arabisch-islamischen »Geheimwissenschaften« einführen (S. 15–33). Schwerpunktmäßig behandeln sie Leben und Werk des im späten 12. Jahrhundert als Prediger im marokkanischen Fez tätigen Ibn Arfa‘ Ra’s – eines Autors auf dem Gebiet der Alchemie, dem auch zwei Werke explizit »magischen« Inhalts zugeschrieben wurden, jedoch offenbar in beiden Fällen zu Unrecht. Christopher Braun und Regula Forster legen dar, wie trotz aller zeitgenössischen Kritik »Magie« und »Religion« im vormodernen Islam nebeneinander und miteinander verwoben existieren konnten, ablesbar an zahlreichen einschlägigen Traktaten.
Um die christliche Religion geht es sodann in dem aufschlussreichen Beitrag von Wilhelm Schmidt-Biggemann, der die Korrelation von »Geheimnis, Magie, Kult und Recht« am Beispiel der Sakramentenverwaltung der katholischen Kirche im Mittelalter aufzeigt (S. 35–46). Wenn er jedoch bei seiner Behandlung der Rolle des Altarsakraments die weitverbreitete Gleichsetzung »Hokuspokus ist die Verballhornung der Wandlungsformel: Hoc est corpus meum« (S. 43) vornimmt, sollte bedacht werden, dass die Möglichkeit anderer Herleitungen nicht kategorisch ausgeschlossen werden kann. Zudem wurde auf S. 42 aus Juliana »Johanna« von Lüttich.
Eine aufwändige Sichtung und Interpretation der Erwähnungen von Magiern bzw. Propheten, Beschwörern, Nigromanten, Illusionisten, Automatenbauern, Märchenfiguren und Zauberern in der weltlichen deutschen Literatur des hohen und späten Mittelalters hat der Frankfurter Germanist Frank Fürbeth vorgenommen (S. 47–80), der im Anhang (S. 70–79) zudem 48 Regesten der behandelten Quellen samt Editions- und Literaturangaben liefert. Im Zentrum seiner Untersuchung steht das Herauspräparieren von fünf idealtypischen »Phänotypen des Zauberers und der Zauberin«, die jeweils relativ eklektisch mit verschiedenen Magiediskursen in Zusammenhang gestanden haben. Dass spezifische magische Verfahren nur höchst selten beschrieben worden seien, erschwere dabei die jeweilige Zuordnung zusätzlich.
Frank Fürbeths Berliner Kollegin Jutta Eming problematisiert das sprachliche, ästhetische und epistemische Nahverhältnis der beiden Kategorien »Magie« und »Wunderbares« (S. 81–111). Sie stützt sich auf ausgewählte Textbeispiele der deutschsprachigen Literatur von den »Merseburger Zaubersprüchen« bis zur »Historia D. Johann Fausten« aus dem Jahr 1587. Wie Jutta Emings SFB-Teilprojekt insgesamt, so hat sich ihre Studie zum Ziel gesetzt, deutlich zu machen, dass auch in der fiktionalen mittelalterlichen Literatur bei der Darstellung des »Wunderbaren« Wissen »magischer« Provenienz vermittelt wurde, dem keineswegs ein rein metaphorischer oder unterhaltender Charakter eignete. Eming grenzt sich damit deutlich von der Behandlung des Themas etwa durch Jacques Le Goff, Richard Kieckhefer oder Caroline Walker Bynum ab, von älteren kulturhistorischen Konzepten wie dem James George Frazers ganz zu schweigen.
Im Anschluss beschäftigt sich Bernd Roling mit der jüdischen Lehre von der »Schechina« – der »Einwohnung« Gottes in seiner Schöpfung –, ihrer Ausgestaltung durch die jüdischen Kabbalisten, der Entwicklung des Systems der zehn »Sefirot« und deren Rezeption durch die Vertreter der »christlichen Kabbala« (S. 113–131). Im Mittelpunkt steht dabei Guillaume Postel (1510–1581) und seine feministisch anmutende Grundannahme eines »weiblichen Schöpfungs- und Erlösungsprinzips« (S. 127). Zu dieser war er gelangt, als er in einem venezianischen Hospital in einer »Mutter Johanna« genannten Frau die leibhaftige »Schechina« erkannt zu haben glaubte. Er selbst begriff sich daraufhin als Messias derselben und der gesamten sublunaren Welt und geriet in Klosterhaft. Ein direkter Bezug zum Thema »Begriff der Magie« findet sich bei Bernd Roling nicht.
Es folgen zwei Beiträge zum Neuplatonismus. Thomas Leinkauf untersucht in seinem Aufsatz »Magie und neuplatonisches Denken« (S. 133–156), während Volkhard Wels die Behandlung der Magie einerseits und der Alchemie andererseits zunächst bei den Neuplatonisten, dann bei Paracelsus und abschließend bei einigen seiner Adepten in den Blick nimmt (S. 157–201). Thomas Leinkauf betont die Bedeutung der Lehre von der pneumatischen Substruktur der physischen Welt für das rationale Verständnis der Magie in Form der magia naturalis bei den neuplatonischen Denkern der Renaissance.
Durch die Dienstbarmachung besagter Substruktur konnte der Magus als »Held der Naturbeherrschung« erscheinen. Anknüpfungspunkte bei der Naturauffassung Plotins, Platons und anderer Denker der Antike werden aufgezeigt. Als Beispiel einer positiven Definition der »Magie« als von Gott verliehener Wissenschaft von den Zusammenhängen der Naturkräfte zitiert Leinkauf den Jesuiten Martin Del Rio, der die magia naturalis von einer magia artificiosa und einer magia diabolica unterschied. Der Autor schließt mit einer philosophischen Strukturanalyse zum besseren Verständnis der Idee von »funktionalen ›Gelenkstellen‹ […] zwischen Geistigem und Stofflich-Materiellem […] innerhalb der subpneumatischen Ebene« (S. 155), die für Hermetismus und Astrologie ebenso wie für die »komplexe Magiedebatte« von großer Bedeutung war.
Hatten Christopher Braun und Regula Forster bezüglich ihres Untersuchungsraums für die Zeit bis zum frühen 15. Jahrhundert ein »enges Beziehungsgeflecht« mit offenkundigen Berührungspunkten zwischen Alchemie und Magie festgestellt (S. 15), so kann diese Einschätzung für das lateinisch-christliche Mittelalter Volkhard Wels zufolge nicht gelten. Ihm sind keine Zeugnisse bekannt, die vor der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts solche Verbindungen herstellen. In seinem Beitrag arbeitet er zunächst das Verständnis von Magie bei den Neuplatonisten als eines vor dämonischer Beeinflussung abzuschirmenden Wissens um die sinnlich nicht erfahrbaren Eigenschaften der Dinge oder als Naturphilosophie in höchster Vollendung heraus.
Vor allem am Beispiel der »Astronomia magna« des Paracelsus wird anschließend der Platz der »natürlichen Magie« in dessen vielschichtiger »Naturwissenschaft« verortet. Recht verstandene Alchemie – die im Neuplatonismus kaum eine Rolle spielte – war für den stark gegen Schulgelehrsamkeit polemisierenden Paracelsus keine Kunst etwa des Goldmachens, sondern eine pharmazeutisch-biochemische Säule der Medizin durchaus magischen Charakters. Unter Einflüssen neoplatonischen, aber auch radikalprotestantischen Gedankenguts kam es dann bei Nachfolgern des Paracelsus in einer komplizierten Entwicklung letztlich zur Verdrängung »positiver« Konzepte von Naturmagie und Alchemie in den okkulten Bereich des Dämonisch-Esoterischen zugunsten einer neuen scientia naturalis und Chemie als Wissenschaft im 17. Jahrhundert.
Um eine Erneuerung und Rationalisierung der Naturmagie als Naturwissenschaft ging es in der frühen Neuzeit auch dem so modern anmutenden Francis Bacon (1561–1626). Eine umstrittene Frage, der sich Daniel Queiser auf S. 203–235 zuwendet, lautet, ob Bacon nicht letztlich nur ältere, von ihm scharf verworfene Naturmagiediskurse des Neuplatonismus assimilierte oder ob er seinem eigenen Anspruch gemäß ein eigenständiges Magiekonzept der systematischen, experimentellen »manipulation and transformation of bodies« (Sophie Weeks) entwickelt habe. Queiser prüft daraufhin Bacons spekulative, manches unklar lassende Materietheorie mit dem fundamentalen Konzept der »Formen« als »Leidenschaften oder Begehren der Materie«, die es in ihren Wirkungen empirisch zu erforschen gelte. Während Queiser hier keine revolutionäre Entfernung von älteren Magiekonzepten, sondern eher eine neue Theoriesprache konstatiert, betont er bei seiner Untersuchung der ebenfalls zentralen Lehre Bacons von dem in jedem Körper anwesenden, zielgerichtet manipulierbaren Spiritus, wie weit entfernt sie vom Magieverständnis der Renaissance wirke.
Nur am Rande mit dem definitorischen Aspekt von »Magie« beschäftigt sich der abschließende Beitrag. Sergius Kodera (»Der Kairos des Naturmagiers«, S. 237–265) gelingt darin anhand zentraler Quellenzeugnisse aus der griechischen und lateinischen Antike sowie der Renaissance bis hin zu Giordano Bruno durch das Aufzeigen von Verbindungslinien der Nachweis, dass die Ausnutzung des Kairos für die erfolgreiche Ausübung der Kunst der Rhetorik und ebenso derjenigen der Medizin und der Naturmagie – im letzteren Fall aufgrund ihrer astrologischen Determinationen – als von fundamentaler Bedeutung angesehen wurde. Kodera bietet eine überraschende Zusammenführung von auf den ersten Blick ganz unterschiedlichen artes. Durch seinen originellen Ansatz wirft er unter anderem auch ein neues Licht auf das »mantische Potential der Oratorik« (S. 265).
Insgesamt stellt die Lektüre dieser Neuerscheinung für alle an der Thematik Interessierten sicherlich eine Bereicherung dar, auch wenn beispielsweise für philosophisch nicht geschulte oder mit dem theologischen Konzept der »Schechina« nicht vertraute Leserinnen und Leser teils sehr anspruchsvolle Kost geboten wird.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Gerd Mentgen, Rezension von/compte rendu de: Jutta Eming, Volkhard Wels (Hg.), Der Begriff der Magie in Mittelalter und Früher Neuzeit, Wiesbaden (Harrassowitz Verlag) 2020, VIII–270 S. (Beiträge zu einer transdisziplinären Wissensgeschichte, 17), ISBN 978-3-447-11509-4, EUR 68,00., in: Francia-Recensio 2021/2, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.2.81700