Mit ihrer ausgesprochen informativen und intellektuell anregenden Studie verfolgt Claire Andrieu ein ambitioniertes Ziel. Zentraler Gegenstand ist ein Vergleich von Handlungsstrategien der Zivilbevölkerung der drei Länder Frankreich, Großbritannien und Deutschland während des Zweiten Weltkriegs. Dafür wählt sie einen originellen Fokus: die Begegnung mit den zahlreichen Piloten und ihren Besatzungen, die sich beim Abschuss ihres Flugzeugs nur durch einen Sprung ins Ungewisse retten konnten. Dieser Sprung ins Feindesland oder von Feinden besetztes Land hatte sehr unterschiedliche Konsequenzen, je nachdem wo sich ihr »Missgeschick« ereignete.

Claire Andrieu zufolge lassen sich bei einem Ländervergleich jeweils typische Handlungsstrategien der Zivilbevölkerung erkennen: Französische Zivilisten leisten dem deutschen Eindringling Widerstand, Engländer verhalten sich korrekt und nehmen die Piloten der Luftwaffe fest, in dem von den Deutschen besetzten Frankreich verstecken Franzosen die Alliierten und helfen ihnen bei der Flucht, wohingegen Deutsche alliierte Piloten ab Mitte 1943 misshandeln und töten. Dies leitet sie aus verschiedenen von ihr minutiös ausgewerteten Quellen ab, die es noch näher zu beschreiben gilt. Um der Gefahr der Bestätigung von nationalen Stereotypen zu entgehen, stellt sie die beobachteten Verhaltensweisen jeweils in den Zusammenhang von historischen und politischen Prozessen. Um diesen Kontext zu beleuchten, holt sie jeweils weit aus und liefert ungemein viel Hintergrundwissen.

Im Zentrum ihrer Analyse stehen die Menschen mit ihren Handlungsmöglichkeiten und -entscheidungen. Mit ihrer Arbeit betritt Andrieu in vielerlei Hinsicht Neuland. Das betrifft sowohl den Gegenstand als auch die Fragestellung und die gewählte Methode.

Betrachtet wird zunächst die Situation in Frankreich im Mai/Juni 1940. Indem Claire Andrieu die Reaktion der französischen Zivilbevölkerung auf den Vormarsch der Deutschen genauer unter die Lupe nimmt, gelingt ihr eine Korrektur der bisher vorherrschenden Sicht auf das »Debakel der Niederlage« und die massenhafte Flucht in den Süden. Denn für viele Flüchtlinge konnte der Rückzug aus dem Norden Frankreichs auch als ein Akt des Widerstands gewertet werden, als autonome Entscheidung, sich dem Einfluss der Deutschen zu entziehen.

Eine Rolle spielte hierbei sicher auch die traumatische Erfahrung früherer Besatzungen. Als Ausdruck einer breiten Bereitschaft, sich einer erneuten Invasion wehrhaft entgegenzustellen, wertet sie auch die Tatsache, dass sich mehrere tausend Männer im Departement Manche freiwillig für die ab Mai 1940 aufgestellte zivile Verteidigung, die sogenannten gardes territoriales meldeten. In Missachtung der internationalen Konventionen zum Kriegsrecht sah die deutsche Seite die Verteidigung durch Zivilisten allerdings als illegal an. Davon zeugen die unverhältnismäßig harten Strafen, mit denen die als »Freischärler« verurteilten »volontaires de l’An II« (wie Claire Andrieu sie in Anspielung auf die Freiwilligen der Revolutionsheere bezeichnet) zu rechnen hatten.

Dies geht aus den Akten hervor, die Claire Andrieu herangezogen hat. Ihre Quelle sind die 330 Urteile einer nach der deutschen Besatzung tätigen Untersuchungsstelle für Verletzungen des Völkerrechts, einer Rechtsabteilung der Wehrmacht. Von den in dieser Phase des Krieges festgenommen Angehörigen der Luftwaffe (bei einer Hochrechnung geht Claire Andrieu von festgenommenen 400 bis 700 Piloten aus) wurden 25 bei ihrer »Ankunft« auf dem Boden von französischen Zivilisten misshandelt, sieben kamen dabei um, vier von ihnen wurden von Zivilisten getötet. Unter Zuhilfenahme einer aufschlussreichen Kartendarstellung zeigt Claire Andrieu, dass die zur Debatte stehenden Ereignisse in engem Zusammenhang mit Kampfhandlungen und dem jeweiligen Frontverlauf standen, d. h., dass sie als Ausdruck von militärischem Widerstand gegen die Invasion gedeutet werden können.

In acht von zwölf Fällen fanden sie darüber hinaus in Regionen statt, die von den Kampfhandlungen des Ersten Weltkriegs am stärksten betroffen gewesen waren, und weckten damit historische Erinnerungen. Um die Unverhältnismäßigkeit der Reaktion der Wehrmachtgerichte deutlich zu machen, setzt Claire Andrieu, die ein offensichtliches Faible für die Aussagekraft von Zahlen hat, diese in ein aufschlussreiches Verhältnisse zu anderen Opfern: Bei zwei Millionen deutschen Soldaten, die im Einsatz waren und 10 000, die in Gefangenschaft gerieten, sind insgesamt 20 Tote zu beklagen, während auf der anderen Seite 200 englische und französische Kriegsgefangene sowie 900 bis 3000 schwarze Kriegsgefangene massakriert wurden und 600 Zivilisten umkamen. Dabei sind die auf der Flucht in den Süden getöteten Zivilisten noch nicht berücksichtigt.

Die Urteile in den von deutscher Seite durchgeführten Verfahren gegen insgesamt 78 angeklagte Zivilisten und Polizisten sind übermäßig hart: 17 von ihnen werden zum Tode verurteilt, neun von ihnen hingerichtet, darunter eine Frau. Bereits am 28. Juni 1940 wird mit Jean-Marie Kérandel ein erstes Opfer dieser »Siegerjustiz« hingerichtet. Bei acht Personen wurde die Todesstrafe in eine Gefängnisstrafe umgewandelt. Die Aufhebung von fünf Urteilen wird bei den Waffenstillstandsverhandlungen in einem unrühmlichen Handel von Vichy gegen die Festsetzung der Minister Georges Mandel und Paul Reynaud »erkauft«.

Im zweiten Kapitel ihres Buches geht Claire Andrieu der Frage nach, ob die positive Darstellung des Verhaltens der britischen Zivilisten im Krieg, die lange Zeit in der britischen Geschichtsschreibung überwog, der Realität entspricht oder ob es sich um einen Mythos handelt. Zunächst skizziert sie dafür die kritischen Stimmen unter den britischen Historikerinnen und Historikern, die – darin vergleichbar der Entwicklung in Frankreich – seit den 1970er Jahren das idealisierende Bild eines Volkes, das sich im Kollektiv solidarisch dem deutschen Angreifer entgegenstellt, in Frage gestellt haben.

Auch in Großbritannien war 1940 die Mobilisierung der männlichen Zivilbevölkerung organisiert worden, die sich den Local Defence Volunteers (LDV) anschließen konnte. Am 15. Mai schrieben sich innerhalb von 24 Stunden 250 000 Männer ein. Es kann also durchaus von einem patriotischen Elan der Engländer gesprochen werden. Ausgehend von Quellenangaben von deutscher Seite über abgeschossene Flugzeuge und die Zahl sowohl der toten als auch der in Kriegsgefangenschaft geratenen Männer (50 %) kommt Claire Andrieu zu dem Ergebnis, dass vermutlich rund 1800 Männer (wenn nicht mehr) auf englische Zivilisten gestoßen sein müssen.

Um deren Begegnung nachzuzeichnen, wählt Claire Andrieu mangels anderer Quellen die diesbezügliche Presseberichterstattung. Dieses Vorgehen birgt allerdings die Gefahr, eine dem Medium inhärente Subjektivität zu reproduzieren. Geht man von den recht regelmäßig erscheinenden Berichten der Tageszeitung »Kent Messenger« aus, so gestaltete sich die Festnahme der deutschen Piloten als lustige Abwechslung im englischen Alltag. Die Darstellung verdankt sich allerdings doch wohl vor allem dem Genre und dem Ziel, gute Stimmung zu vermitteln. Aus dem unerwarteten und unfreiwilligen Zusammentreffen von deutschen Soldaten und der englischen Zivilbevölkerung ergab sich bisweilen eine Situationskomik, die in den Artikeln überspitzt zum Zwecke der Unterhaltung aufgespießt wird. Titel wie »Ein Nazi-Pilot stellt sich einem Bewohner in Kent in Badehose« lassen das Muster erahnen. Auch wenn der zu beobachtende Humor sicher eine britische Tugend ist, so fragt man sich dennoch, wie aussagekräftig und verallgemeinerbar Beobachtungen dieser Art sind.

Fakt dagegen ist, dass auch die zahlreichen und intensiven Bombardierungen am durchwegs zivilen Umgang mit den deutschen Piloten nichts änderten. Für Claire Andrieu ist dies der Beleg, dass die demokratischen Grundprinzipien der britischen Gesellschaft und eine von Humor getragene Reaktion und Haltung negative Emotionen im Zaum gehalten und Gewaltausbrüche verhindert haben. Das Jahr 1940 und die Entscheidung, sich dem Feind gemeinsam entgegenzustellen, sieht sie als zentralen mobilisierenden Moment, eine den Stolz und Zusammenhalt erzeugende »finest hour« in der britischen Geschichte.

Für Frankreich stellt sie sich davon ausgehend einen möglichen anderen historischen Ablauf vor: Wäre der Vormarsch der Deutschen langsamer gewesen, hätte sich das Blatt wenden können, so mutmaßt sie, und der Widerstand, der im Keim erstickt wurde, hätte sich entfalten können. Ganz abgesehen davon, dass solche Mutmaßungen im Nachhinein wohlfeil sind, vernachlässigt Claire Andrieu an dieser Stelle die tiefe Spaltung der französischen Gesellschaft, die »deux France« und deren jeweilige Anhänger. Der 18. Juni war in gewisser Weise die »finest hour« à la française, doch die Gegenkräfte, das andere Frankreich, mussten erst bezwungen werden.

Im dritten Kapitel des Buches legt Claire Andrieu die Grundlagen für nichts weniger als eine grundsätzliche Neubewertung des Widerstands und der Haltung der Zivilbevölkerung im besetzten Frankreich. Dafür kann sie auf aussagekräftige Quellen zurückgreifen, denn die Briten gründeten nach dem Krieg eine eigene Abteilung, das Awards Bureau, um die Umstände der Festnahme oder auch Rettung ihrer Piloten und deren Mannschaft zu dokumentieren. Eine wesentliche Grundlage sind die »debriefings«, d. h. die im Nachhinein verfassten Berichte der aus Frankreich geretteten »evaders and escapers«. Aus den Unterlagen lassen sich für Frankreich rund 34 000 »helpers« erfassen. In einem weiteren überzeugend durchgeführten Rechenexempel kommt Claire Andrieu zu dem Ergebnis, dass der Prozentsatz der anerkannten Widerstandskämpfer (1 % der Bevölkerung) dem durchschnittlichen Prozentsatz der Mitglieder in französischen Parteien in Frankreich im 20. Jahrhundert in Friedenszeiten entspricht.

Sehr zu Recht betont sie, dass die bisherige Forschung zum Widerstand durch ihre Konzentration auf einzelne Widerstandsbewegungen lokal oder regional begrenzte Ausschnitte darstellt, die zudem oft eine Momentaufnahme darstellen. Mit dem von ihr gewählten Fokus lenkt sie den Blick auf eine dauerhafte, regelmäßige und effektvolle Arbeit an der Basis, die über das gesamte Territorium verteilt war. Auch hier nimmt Claire Andrieu wieder Zahlen zu Hilfe, um zu veranschaulichen, was diese Art von Widerstand für die Dauer des Krieges konkret bedeutete. Um nur ein Beispiel zu nennen: Insgesamt wurden 4000 Männer während insgesamt rund 380 000 Tagen und Nächten versteckt und versorgt – und dies in einer Zeit der Lebensmittelknappheit.

Die Briefe, die nach dem Krieg zwischen den helpers und ihren Schützlingen ausgetauscht wurden, geben ein anschauliches Bild von den (auch nach dem Krieg noch) schwierigen Lebensverhältnissen der Menschen, die spontan Zuflucht und Hilfe geboten hatten. Bei der Lektüre der Fallbeispiele schwankt man zwischen Bewunderung für die selbstlose Hilfe der Menschen und Entsetzen über die Brutalität der Repression. Dieser Rettungswiderstand war wie kaum ein anderer an die aktive Unterstützung und Teilnahme von Frauen, aber auch von Kindern gebunden, die in voller Härte von den Repressionen betroffen waren, was Claire Andrieu zur ironischen Umkehrung des Spruchs »Frauen und Kinder zuerst« veranlasst.

In einem der Prozesse gegen ein Rettungsnetzwerk werden zwölf Todesstrafen verhängt, davon fünf gegen Frauen. Umso eindrucksvoller ist die Tatsache, dass die Repression nicht die damit angestrebte Einschüchterung und abschreckende Wirkung erzielte und kein Nachlassen der Aktivitäten zu beobachten ist. Dies gilt auch nach den ersten größeren Bombardements auf französische Städte. Die Propaganda gegen die Alliierten seitens Vichy und des Propagandaministers Philippe Henriot wirkte sich nicht auf die Haltung der Bevölkerung aus.

Claire Andrieu fragt sich zu Recht, ob angesichts der unerbittlichen Härte und der lebensbedrohlichen Konsequenzen, mit denen im Fall einer Verhaftung zu rechnen war, noch von »zivilem Widerstand« gesprochen werden kann, oder ob nicht der Begriff »staatsbürgerlicher Widerstand« im Sinne von militärischem Widerstand angemessener wäre. Bis heute hat die Aktivität der helpers kaum Eingang in die nationale Erinnerungskultur Frankreichs gefunden, was mit dem hohen Anteil von Frauen (30 %) an dieser Form des Widerstands zusammenhängen könnte.

Im vierten und letzten Teil ihrer Untersuchung geht es um den Umgang mit abgeschossenen Piloten und Mannschaften ab Mitte 1943 in Deutschland. Hierfür stützt sich Claire Andrieu auf Prozessakten der britischen und amerikanischen Alliierten über Kriegsverbrechen. Diese gehen von 2500 Misshandlungen von westalliierten Fliegern und Fallschirmspringern durch Zivilisten und 1000 Lynchmorden aus. Das wären immerhin 10% der insgesamt über dem Deutschen Reich abgeschossenen Piloten. Verschiedene von Claire Andrieu vorgebrachte Faktoren sprechen allerdings dafür, dass die Zahl der Misshandelten und Getöteten weitaus höher war. Es fragt sich nun, wie dieses für Europa einmalige Verhalten von Zivilisten zu deuten ist. Hier gehen die Meinungen in der einschlägigen Forschung auseinander. Während einzelne Forscherinnen und Forscher dies als Reaktion der deutschen Zivilbevölkerung auf die massenhaften Bombardierungen deutscher Städte interpretieren, sehen andere darin den Ausdruck der grundsätzlichen Verinnerlichung antisemitischer und rassistischer Diskurse und des Konzepts des Vernichtungskriegs. Dieses Verhalten wäre demnach Ausdruck einer Übernahme der nationalsozialistischen Ideologie durch einen Großteil der »Volksgemeinschaft«. Die vier von Claire Andrieu dafür angeführten Fallbeispiele lassen diese Deutung nur teilweise zu, bestätigen sie doch durchaus auch die von Barbara Grimm und anderen vorgebrachte These, dass es sich bei den Ausführenden und den für die Morde letztlich verantwortlichen Akteuren vor allem um Parteigenossen und Funktionsträger handelte.

Auch wenn die von Claire Andrieu vorgebrachten Argumente nicht von der Hand zu weisen sind, so bleiben doch Zweifel, ob die verallgemeinernden Aussagen über die deutsche Zivilbevölkerung zutreffen. Sie führt selbst einige Beispiele von Menschen an, die Zivilcourage zeigen und Widerstand leisten. Im Unterschied zu Frankreich und Großbritannien fand dies in einem mental aufgerüsteten Umfeld statt, von dem keine Unterstützung und Zustimmung zu erwarten war. Am Ende bleibt die Frage offen, warum die ideologische und enthumanisierende Radikalisierung in Deutschland so erfolgreich war und was dem hätte entgegenwirken können. Die Hinweise auf den zivilisierenden Effekt von Humor und Selbstironie gehen da in eine originelle Denkrichtung.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Mechthild Gilzmer, Rezension von/compte rendu de: Claire Andrieu, Tombés du ciel. Le sort des pilotes abattus en Europe, 1939‒1945, Paris (Tallandier) 2021, 498 p., 8 p. de pl., ISBN 979-10-210-4412-8, EUR 23,90., in: Francia-Recensio 2021/3, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.3.83465