Im Jahr 2020 jährte sich ein Datum zum 150. Male, welches nicht nur für die deutsch-französischen Beziehungen von großer Bedeutung ist. Dieses wurde lange und fälschlicherweise als Ausgangspunkt des deutsch-französischen Antagonismus verstanden, der über den Weltkrieg in die europäische Katastrophe geführt habe. Bei besagtem Datum handelt es sich um die Schlacht von Sedan, welche am 2. September 1870 mit der Kapitulation der Stadt eine folgenreiche Wende im deutsch-französischen Krieg von 1870/1871 einleitete.

Der promovierte Historiker und Experte der Militärgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts Gerd Fesser nahm das Jubiläum von »Sedan 1870« zum Anlass die gleichnamige Monografie zu verfassen. Zu Beginn der Arbeit stellt Fesser die Hintergründe des Krieges dar. Mit der Möglichkeit einer Thronkandidatur des Prinzen Leopold von Hohenzollern-Sigmaringen in Spanien, eines entfernten Verwandten der preußischen Königsfamilie, zeichnete sich zunehmend eine gewisse Spannung im deutsch-französischen Verhältnis ab. Der Autor geht auch auf die Frage ein, inwieweit der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck diesen Krieg wollte. Unstrittig beantwortet er die Frage im Sinne eines von Bismarck gezielt »provozierten Defensivkrieg[s] mit Frankreich« (S. 21). Fesser begründet dies mit der Veröffentlichung der Emser Depesche im offiziellen Extrablatt der preußischen Regierung. Deren Inhalt führte auf französischer Seite, wenn auch durch eine gewisse populistische Kampagne verstärkt, zur Kriegserklärung an den Norddeutschen Bund.

In der Folge veranschaulicht das Werk sehr detailreich die militärischen Aspekte des Konflikts. Es werden u. a. mit Tabellen die genauen Truppenkontingente auf französischer Seite wie auch auf der Seite der deutschen Allianz vorgestellt. Im Genaueren beleuchtet Fesser deren Ausrüstung, technische Gegebenheiten, Logistik und strategische Planung. Mit dem 2. August begannen die Kriegshandlungen, welche in Saarbrücken, Weißenburg, Wörth und Fröschweiler schmerzliche Realität wurden. Die letztgenannte Ortschaft verdeutlicht sehr prägnant die Schattenseiten des Krieges und das Leid der Zivilbevölkerung. Anhand der Aufzeichnungen des Dorfpfarrers Karl Klein (S. 47–54) werden über mehrere Seiten die Strapazen geschildert, welche die Bewohner der Kriegsschauplätze zu erdulden hatten, deren Zwiespalt zwischen Widerstand und Hinnahme, Unterstützung und Furcht, sowie die Sorge um die eigene Existenz.

Weiter beschreibt die Monografie explizit die Abläufe von Schlachten und Schachzügen der militärischen Führung sowie der einzelnen Truppenverbände. Dabei werden die hohen Verluste an Männern und Massaker nicht verschwiegen. Die Quellen zur deutschen Militärführung bekunden zwar ein Bedauern am aufopferungsvollen Schicksal ihrer Leute, dennoch scheinen ihnen die militärischen Erfolge mehr am Herzen zu liegen als das Wohlergehen der Soldaten. Es zeichnete sich ein wildes Hin und Her von Eroberungen und Rückeroberungen zwischen den beiden Armeen ab. Zur folgenschweren Wende kam es erst mit der Einschließung der französischen Rheinarmee in Metz, welche den »Krieg bereits weitgehend entschied […], denn der größere Teil der französischen Feldarmee war de facto ausgeschaltet« (S. 59).

Mit der Kapitulation Sedans verschiebt Fesser den Fokus zunehmend auf innenpolitische Fragestellungen der beiden Nationen: darunter der Sturz des Kaisers Napoleon III., der Widerstand der Franktireurs und der Regierung in Paris bzw., ab der Belagerung der Stadt, der Exilregierung in Tours. Auch hier werden das schwere Los und die Leiden, die sich für die Menschen ergeben, nicht verschwiegen. Der Leserin bzw. dem Leser präsentiert sich ein anschauliches Bild vom Alltag der Menschen in diesem Krieg, von den miserablen Zustände der Bevölkerung in den eingeschlossenen Städten über die mangelnde Hygiene bis zu einem schauderhaften Sanitätswesen.

Die Monografie stützt sich auf eine Vielzahl von Quellen, die ein breites Spektrum an Perspektiven abdecken. Briefe und Memoiren stützen das Werk maßgeblich und sorgen für eine plastische Darstellung. Diese stammen nicht nur aus der Feder von hohen Staatsmännern und Militärs, sondern auch von einfachen Bürgern, Journalisten, Soldaten und sogar Wissenschaftlern. Internationale Forschungsdebatten werden vom Autor sorgfältig abgewogen. Bemerkenswert scheint insbesondere die These Fessers zur Reichsgründung. Der meist in Schulbüchern vertretenen Auffassung, das Kaiserreich sei am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal zu Versailles gegründet worden, widerspricht Autor. Knapp urteilt er, dass das Reich zu diesem Zeitpunkt schon gegründet worden sei. Der Akt im Spiegelsaal sollte lediglich »nach dem Willen ihrer Regisseure verdeutlichen, wer im neuen Reich den Ton angeben würde: der Kaiser, die Fürsten und das Militär« (S. 113). Mit Blick auf die lange Nachgeschichte des deutsch-französischen Krieges greift Fesser nochmal die lange fälschlich vertretene These auf, die Schlacht um Sedan sei Ausgangspunkt des deutsch-französischen Antagonismus gewesen, der über den Weltkrieg in die europäische Katastrophe geführt habe.

Das Werk weist gegen Ende auf den Literaturstand und die zeitliche Entwicklung der Forschung hin. Während die Ereignisse des Krieges von 1870/1871 bis ins Jahr 1945 vielfach glorifizierende Veröffentlichungen erfuhren, veränderte sich dies nach dem Zweiten Weltkrieg schlagartig. In Westdeutschland wurden nur noch vereinzelt Publikationen zum deutsch-französischen Krieg veröffentlicht. Anders verhielt sich dies in der DDR ab den Jahren 1952/1953. Erst mit der Wiedervereinigung 1990 kam es zu einem Aufschwung der Forschung zu diesem Thema. Dabei wurden auch neue Wege zur Analyse bestritten, welche sich verstärkt den Einzelschicksalen der Kriegsteilnehmer zuwandten.

Gerd Fesser verschafft seinen Leserinnen und Lesern einen prägnanten und gut geschriebenen Blick auf den Krieg von 1870/1871, wobei die Nutzung von Quellen zur Veranschaulichung besonders gelungen ist.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Raphael Dolde, Rezension von/compte rendu de: Gerd Fesser, Sedan 1870. Ein unheilvoller Sieg, Paderborn, München, Wien, Zürich (Ferdinand Schöningh) 2019, 202 S., 28 Abb. (Schlachten – Stationen der Weltgeschichte), ISBN 978-3-506-79235-8, EUR 29,90., in: Francia-Recensio 2021/3, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.3.83479