Die Reiseliteratur und -kultur der Frühen Neuzeit war in den letzten Jahrzehnten bereits Gegenstand zahlreicher Studien. Nur selten haben sich diese allerdings explizit mit sprachlichen Kontaktsituationen und Verständigungsproblemen auf Reisen befasst. Diese Thematik steht im Mittelpunkt des Buchs des Linguisten Arturo Tosi, das sich zwar auf Texte englischer Reisender in Frankreich und Italien konzentriert, aber auch französische, italienische und deutsche Autorinnen und Autoren zu Wort kommen lässt.

Zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert beobachtet Tosi deutliche Verlagerungen der Interessenschwerpunkte, Lernstrategien und Darstellungsweisen englischer Reisender auf dem Kontinent. Autoren der elisabethanischen Ära seien besonders an den Monumenten der antiken Vergangenheit interessiert und von der Überlegenheit des Lateinischen überzeugt gewesen, das auch beim Erlernen lebender Fremdsprachen als Beschreibungs- und Vermittlungssprache diente.

Mit der wachsenden Wertschätzung des Italienischen und Französischen gewann im Laufe des 17. Jahrhunderts ein pragmatischer Zugang zu diesen Sprachen die Oberhand, die nun über den Gebrauch praktischer Lehrbücher und die Konversation mit Privatlehrern erlernt wurden. Seit der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert konzentrierten sich die fast ausschließlich den gesellschaftlichen Eliten entstammenden Reisenden zunehmend auf den Erwerb der Sprachen der Literatur und der vornehmen Gesellschaft. Während es ihnen in Frankreich relativ leicht gefallen sei, sich an der von der Académie française kodifizierten Standardsprache zu orientieren, stellte sich im politisch fragmentierten Italien das Problem, dass das Toskanisch der Accademia della Crusca eine reine Literatursprache war, während etwa in Venedig selbst die Adeligen den regionalen Dialekt sprachen. Generell hätten viele Reisende ein ausgeprägtes Bewusstsein für soziale Domänen und dialektale Unterschiede im Französischen und Italienischen gezeigt, jedoch ohne sich näher mit diesen Dialekten auseinanderzusetzen oder diese zu beschreiben.

War die Grand Tour bis Ende des 17. Jahrhunderts ein rein männliches Phänomen, reisten seit dem 18. Jahrhundert auch Frauen wie Mary Wortley Montagu und Hester Piozzi Thrale. Wie das letzte Kapitel der Studie zeigt, stellten diese gebildeten Frauen kulturelle Stereotypen früherer Reisender – etwa hinsichtlich der vermeintlichen Unmoral italienischer Ehefrauen – in Frage und stellten ein feines Gespür für die Mehrsprachigkeit europäischer Städte unter Beweis. Zugleich konstatierten sie, dass ihre englischen Landsleute auf dem Kontinent zunehmend unter sich blieben und sich primär in ihrer Muttersprache unterhielten.

Damit ist zugleich ein Wandel der Reisekultur angesprochen, der sich im späten 18. und 19. Jahrhundert immer stärker bemerkbar machte: Aus der Bildungsreise, die dem Erwerb von Fremdsprachen und dem Kennenlernen fremder Kulturen diente, wurde die touristische Vergnügungsreise, bei der Sehenswürdigkeiten im Reiseführer abgehakt und die Mühen des Sprachenlernens gescheut wurden.

Die materialreiche Studie bietet zahlreiche interessante Informationen und Beobachtungen zu kulturellen Vorstellungen und Stereotypen, zur Vorbereitung auf die Grand Tour, zu Praktiken des Sprachenlernens, Lehrmaterialien, Wahrnehmungen sprachlicher Vielfalt sowie Situationen des Sprachkontakts. So trägt der Verfasser beispielsweise Material zu Aphorismen, Sprichwörtern und Spitznamen zusammen, die Engländer in italienischen Städten aufschrieben (S. 45–53), und sammelt Reiseeindrücke über improvvisatori, die in diesen Städten mit spontanen sprachlichen und musikalischen Darbietungen aufwarteten (S. 69–73). Anhand einschlägiger Belege zeigt er ferner, dass das »reinste« Französisch nach zeitgenössischen Vorstellungen im Loiretal und das »reinste« Italienisch in Siena gesprochen wurde (S. 126–137). Außerdem bietet er diverse Nachweise für Adaptionen italienischer und französischer Lehnwörter sowie für Fälle von Code-Switching (S. 221–239).

Leider bleibt die Darstellung häufig auf der Ebene der Einzelbeobachtung und der Anhäufung von Belegen, während die analytischen Passagen eher knapp ausfallen. Zum Teil vollzieht die Studie zudem erhebliche Zeitsprünge – auf Seite 160 beispielsweise von einer Beobachtung Fynes Morysons (1593) über die Körper- und Zeichensprache der Italiener zu einem Zitat von Charles Dickens (1846) zum selben Thema. Außerdem sind nicht alle Zitate sorgfältig belegt: Auf Seite 56 etwa kommt ein längerer Absatz zu den Reiseeindrücken Henry Wottons ohne jeglichen Literaturnachweis aus, und auf Seite 228 findet sich eine Reihe von Beispielen für Lehnwörter, die nicht einzeln nachgewiesen sind.

Überhaupt weist dieses Buch, das immerhin in einem der renommiertesten Universitätsverlage der Welt erschienen ist, einige eklatante handwerkliche Mängel auf. So ist ihm eine Zeittafel vorangestellt (S. XIII–XIV), in der das Edikt von Nantes auf das Jahr 1589 (korrekt 1598), dessen Rücknahme auf 1598 (richtig 1685) und die Thronbesteigung des ersten britischen Königs aus dem Hause Hannover auf 1740 (statt 1714) datiert sind. An anderer Stelle wird der Ausbruch des englischen Bürgerkriegs fälschlich auf die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts (S. 59) und der Westfälische Friedenskongress auf die Jahre 1677/1678 (S. 179) datiert. Einzelne Zitate weisen eine geradezu groteske Häufung von Transkriptionsfehlern auf (S. 12). Einen Baltendeutschen des 18. Jahrhunderts als »Latvian-born German« (S. 33) zu bezeichnen, ist anachronistisch, und das Königreich Ungarn war kein »Empire« (S. 43f.). Der Nachname des elisabethanischen Autors Roger Ascham wird an einer Stelle zu »Ashman« verballhornt (S. 214), und selbst der große Laurence Sterne wird mitunter zu »Stern« (S. 228). Es ist betrüblich, dass sich mittlerweile selbst Cambridge University Press offenbar kein vernünftiges Lektorat mehr leistet.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Mark Häberlein, Rezension von/compte rendu de: Arturo Tosi, Language and the Grand Tour. Linguistic Experiences of Travelling in Early Modern Europe, Cambridge (Cambridge University Press) 2020, XIV–306 p., ISBN 978-1-108-48727-6, GBP 85,00., in: Francia-Recensio 2021/3, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.3.83493