Die neue Reihe »De musicae cultu« erscheint seit 2019 bei Brepols. James Grier ist nicht nur der Herausgeber der Reihe, die Text- und Musikeditionen einer breiteren (mediävistischen) Leserschaft zugänglich machen will, sondern nun auch der Autor des zweiten Bandes, einer Edition des Trinitätsoffiziums nach aquitanischen Quellen des 11. Jahrhunderts. Als Professor für Musikgeschichte an der University of Western Ontario (Kanada) hat er seit 1990 bereits mehr als zehn Artikel, eine Monografie1 sowie Editionen über Musik und Liturgie im mittelalterlichen Aquitanien, vor allem über Ademar von Chabannes und Saint-Martial in Limoges veröffentlicht.

Der Band ist, passend zum Thema der Dreifaltigkeit, dreiteilig angelegt. Sowohl die Zeitspanne als auch der geografische Schwerpunkt sind durch den Titel »The Office of the Holy Trinity at Saint Martial de Limoges in the Eleventh Century« deutlich eingegrenzt.

Der erste Teil, von Grier »Einführung« genannt, beginnt mit einer Übersicht über die historischen Quellen und deren Kontext (S. XI–XXIV), bespricht dann kurz die karolingischen Ursprünge des Festes der Dreifaltigkeit und die Textgeschichte des Offizienzyklus (S. XXV–XXVI). Grier schreibt das Offizium der Trinität, wie Florence Close u. a., Stefan von Lüttich zu, allerdings eher als Ergebnis einer Kompilierung als einer freien Komposition. Stefan von Lüttich gestaltete aus einer Sammlung karolingischer Texte zum Thema der Dreifaltigkeit einen musikalisch und theologisch kohärenten Offizienzyklus2. Dann werden sieben aquitanische Quellen, Paris BnF lat. 1085, lat. 1121, lat. 909, lat. 5240, lat. 1254, lat. 1088 (alle auf Gallica einsehbar) und Toledo 44.2 knapp vorgestellt (S. XXVI–XXXII). Es folgt der wichtigste Abschnitt dieses Teils (S. XXXIII–CLVII), der sich mit der Transformation des Trinitätsoffiziums in Saint-Martial de Limoges während des 11. Jahrhunderts befasst. Dazu vergleicht der Autor tabellarisch die Textincipits in seinen fünf Hauptquellen Paris BnF lat. 1085, 1254, 1121, 909 und 5240. In der chronologischen Entstehungsgeschichte werden Paris BnF lat. 1085 (Texte und Melodien) und 1254 (nur Texte) auf das zweite Jahrzehnt des 11. Jahrhunderts datiert, gefolgt von den beiden zur gleichen Zeit entstandenen Troparen-Prosaren lat. 1121 (1027/1028) und 909 (1028). In den 1040er Jahren entstand dann noch Paris BnF lat. 5240. Dabei wird immer wieder etwas in der Reihenfolge der Offizienzyklen variiert. Grier erklärt diese multiple Produktion und das ständige Arrangieren an einem einzigen Ort mithilfe der modalen Serien, deren ansteigende Zahlenfolgen (1–8) zwar durch die wechselnden Modi nach jedem Gesang viel melodischen Kontrast erlauben, dafür aber auch rigider sind, wenn die Reihenfolge umgestellt oder aus einem säkularen ein monastisches Offizium oder umgekehrt gemacht werden soll.

Der Abschnitt »Modal Order« (S. XLVII–XLIX) zeigt, dass die Zyklen je nach den einzelnen Überlieferungen rearrangiert wurden. Es geht weiter mit der Offizienüberlieferung nach und innerhalb von Limoges (S. XLIX–LIII). Erst in Saint-Martial fand die Anpassung der säkularen Form mit jeweils 9 Antiphonen und Responsorien zu einer monastischen Form mit 13 Antiphonen und 12 Responsorien statt. Nach einem kurzen Abschnitt zu konkreten Korrekturen und Fehlern seitens der Schreiber (S. LVI–LVIII), die weiteren Aufschluss über die Entstehungsgeschichte geben können, legt Grier seine editorischen Prinzipien dar. Zum Abschluss dieses Teiles werden die unterschiedlichen Überlieferungsstränge der Responsorien mit oder ohne »Gloria patri« (S. LVIII–LXI) sowie der musikalische Stil des Offizienzyklus (S. LXI–LXVI) untersucht. Es folgt, vor dem anschließenden Editionsteil, die Bibliografie.

Der zweite Teil, das Herzstück dieses Bandes, besteht aus den Editionen. Grier beginnt mit den Melodien (S. 1–50), von der ersten Vesperantiphon »Gloria tibi trinitas« bis zur Magnificatantiphon »Te deum patrem« aus der zweiten Vesper3. Vielleicht wäre es besser gewesen, die einzelnen Gesänge zu nummerieren; das würde einen schnelleren Zugriff und eine bessere Orientierung zwischen den Melodieeditionen und den darauffolgenden Texteditionen (S. 55–70) erlauben. Die melodischen Transkriptionen wurden nach der »best-text method« oder nach dem Leithandschriftenprinzip ausgeführt; in diesem Fall gab es sogar zwei Leithandschriften, Paris BnF lat. 1085 und 1121.

Die melodischen Varianten jeweils kleiner unten als kritischen Apparat abzudrucken, ist überzeugend und ermöglicht ein intuitives Hin-und Herspringen mit dem Auge, ohne Texterklärungen, die den Fluss des Tonhöhenlesens unterbrechen. Was für Musikwissenschaftler nicht unbedingt nötig ist, sind die (nicht notierten) b-Zeichen oberhalb. Für praktizierende Musiker sind sie dennoch eine Hilfe bei der Erschließung der Melodien. Was die schwierige Frage der Lesbarkeit und Transkription der Liqueszenzen betrifft, so trifft der Autor eine eigenwillige Entscheidung: »I was acting like an eleventh-century musician and applying Liquescence as I felt the text demanded it. Because no scribe among the four musicians behaved in a consistent manner, I felt no obligation to follow any of them« (S. LVII).

Die Transkriptionen sind sehr gut lesbar, vor allem was die Notengröße und die Gruppierungen angeht. Auch die Textedition ist sehr übersichtlich gestaltet, jedes einzelne Offizium oder jede einzelne Nokturne ist, wenn möglich, auf einer eigenen Seite ediert, mit einem kritischen Apparat unten. Als Anhänge wurden die »überzähligen« Antiphonen (Appendix A), Responsorien (Appendix B) sowie das Capitulum und die liturgischen Lesungen des Nachtoffiziums aus Paris BnF lat. 5240 (Appendix C) und aus Paris BnF lat. 1254 (Appendix D) ediert.

Der dritte und letzte Teil beschäftigt sich mit ausführlichen Kommentaren zu den einzelnen Gesängen (S. 73–112). Dazu gehören Angaben zu den handschriftlichen Quellen, eine Bibliografie, Angaben zu den Textquellen, zu den melodischen Modi und Transpositionen, zur Position innerhalb des Zyklus, bei Antiphonen auch zu Psalmen und Psalmtönen. Kommentare zur Notation beschränken sich fast ausschließlich auf die Liquenszenzen, außerdem bespricht der Autor jeweils die notierten b-Zeichen und argumentiert seine eigenen. Am Ende folgen Indizes der biblischen und nichtbiblischen Vorlagen sowie der Gesänge.

Diese neue Edition wendet sich sowohl an Fachleute der Musikwissenschaft als auch an Wissenschaftler anderer Disziplinen. Damit öffnet sie das Spektrum etwas breiter als die Reihe »Historiae«4 und könnte ebenfalls als potenzielle Ressource für Musikerinnen und Musiker dienen.

1 James Grier, The Musical World of a Medieval Monk. Adhémar de Chabannes in Eleventh-Century Aquitaine, Cambridge 2006.
2 Cf. Florence Close, L’office de la Trinité d’Estienne de Liège (901–920). Un témoin de l’héritage liturgique et théologique de la première réforme carolingienne à l'aube du Xe siècle, in: Revue belge de philologie et d’histoire 86/3–4 (2008), S. 623–643: »L’office de la Trinité est davantage le fruit d’une compilation que d’une composition libre. L’évêque de Liège a mis toute son expérience dans la transformation d’un florilège de textes carolingiens à forte connotation trinitaire en un centon cohérent, tant du point de vue musical que théologique.«
3 In zwei Annexen werden vier zusätzliche Antiphonen (S. 48f.) und drei Responsorien (S. 50f.) aufgelistet.
4 Die Reihe »Historiae. Musicological Studies«, hg. vom Institute for Mediaeval Music, Ottawa, wurde 1995 von David Hiley ins Leben gerufen. Seitdem wurden mehr als dreißig Bände veröffentlicht.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Kristin Hoefener, Rezension von/compte rendu de: James Grier (ed.), The Office of the Holy Trinity at Saint Martial de Limoges in the Eleventh Century, Turnhout (Brepols) 2020, LXXIV–131 p., 68 musical exampl., 16 b/w tabl. (De musicae cultu, 2), ISBN 978-2-503-57456-1, EUR 60,00., in: Francia-Recensio 2021/3, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.3.83610