Die dreizehn Artikel der Sonderausgabe der Zeitschrift »Annales de Bretagne et des Pays de l’Ouest« wurden auf der interdisziplinären Konferenz »De cordes et de toiles. Le chanvre et le lin à la mer. Cultures, usages et innovations des origines à nos jours« am 26. und 27. Juni 2012 vorgestellt und in einer aktualisierten Fassung im Jahr 2020 veröffentlicht.
In ihrer Einleitung hebt Sylviane Llinares die kommerzielle und wirtschaftliche Bedeutung des Hanfbaus für den frühen Welthandel und die vorindustrielle Entwicklung Europas hervor, insbesondere im Bereich der Schifffahrt. Diese Pflanze spielte eine zentrale Rolle bei der Herstellung von Segeltüchern, Seilen und sogar bei dem Kalfatern von Schiffen, um nur einige Beispiele zu nennen. Mit dem Aufkommen von Eisen und Dampf in der Schifffahrt (nach 1850) gingen die Produktion von Seilen und die Lagermöglichkeiten für Hanf in den Werften zurück; dennoch blieben die Hanffasern in der Fischerei und in der Landwirtschaft von Bedeutung, selbst wenn ihre Herstellung (wie der Hanfbau) sehr arbeitsintensiv war.
Die in diesem Themenband vorgestellten Beiträge befassen sich mit den Praktiken des Hanfbaus und der Verwendung von Hanffasern sowie ihre kommerzielle, wirtschaftliche, kulturelle, patrimoniale oder wissenschaftliche Bedeutung, wobei auch Museumssammlungen, wie die des Port-Musée von Douarnerez, berücksichtigt werden.
Die Artikel sind chronologisch geordnet. Der erste beschäftigt sich mit den Techniken und der Vermarktung von Hanf in Avignon im 14. Jahrhundert. Mélanie Dubois-Morestin hat die Privatarchive eines Seilmachers Jean Teisseire analysiert und zeigt, wie die Produktion und Verarbeitung von Hanf sowie die Abläufe des Seilerhandwerks im Mittelalter organisiert waren. Durch eine Untersuchung der kommunalen und notariellen Archive mehrerer spanischer Städte des Mittelalters stellt Ricardo Cordoba de la Llave ebenfalls die zentrale Bedeutung des Hanfs für die Schifffahrt und den Fischfang dar – ein Thema, das immer noch ein Forschungsdesiderat ist.
Der Artikel von Gwénolé Le Goué-Sinquin befasst sich mit dem goldenen Zeitalter (1550–1600) der kommerziellen Produktion von Hanfstoffen in Vitré, die in großem Umfang als Verpackungsmaterial oder für Segel verwendet wurden. Die Stadt war damals ein wichtiges Wirtschaftszentrum in der Mark von Bretagne und besaß das Monopol in der Herstellung von Hanfstoffen.
David Celetti untersucht zwei Modelle des Hanfanbaus zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert in Italien. Zum einen analysiert er das Modell des venezianischen Arsenals, wo der Hanfbau direkt vom Staat verwaltet wurde: In diesem Fall erhielten die Bauern einen festen Preis für den gelieferten Hanf. Zum anderen entwickelte sich in den Provinzen von Bologna und Ferrara die Hanfproduktion für den Export auf der Grundlage von Teilpachtverträgen oder anderen Vertragsformen, die eine Aufteilung der Produktion zwischen Eigentümern und Bauern vorsahen. Der Autor zeigt auf, dass das venezianische System den Vorteil hatte, die Marktpreise einzudämmen, da die lokale Produktion mit ausländischen Produzenten konkurrieren konnte. Der Artikel von David Plouviez stellt die Bedeutung der Hanfproduktion und des Hanfhandels für die französische Kriegsmarine im 18. Jahrhundert vor. Anhand von Tabellen und Karten thematisiert der Autor die unterschiedliche Qualität des Hanfs in den verschiedenen Anbaugebieten sowie die Bedeutung der Importe nach 1760. Die industrielle Organisation der Hanfverarbeitung im Hafen und im Arsenal von Brest im 18. Jahrhundert ist das Thema des Beitrags von Olivier Corre. Er betont, wie wenig diese Aspekte erforscht sind und zeigt wie die Arbeit von Frauen in vielen Ateliers des Arsenals eine Rolle gespielt hat.
Der Artikel von Christiane Demeulenaere-Douyère befasst sich mit einem Fallbeispiel, nämlich dem des Seilers Jean-François Gavoty (1733–1812) und seinen Versuchen, Espartogras als Alternative zu Hanf zu entwickeln. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war das Königreich Frankreich zunehmend auf die Einfuhr von Hanf aus Nordeuropa oder Italien angewiesen. So entstand die Idee von Gavoty, in Paris eine Manufaktur für die Verarbeitung von Espartogras zu errichten, die jedoch trotz des Interesses der Académie des Sciences an diesem Thema aufgrund der Abhängigkeit von der Einfuhr von Espartogras aus Spanien nicht wirklich zum Tragen kam.
Gérard Le Bouëdec analysiert die Seilerei des Arsenals von Lorient im 19. Jahrhundert. Anhand mehrerer Tabellen und Abbildungen untersucht er den Arbeitsaufwand in den Seilereien sowie die technischen Neuerungen, die bei der Herstellung von Tauwerk eingeführt wurden. Der Beitrag von Jean-Christophe Fichou konzentriert sich auf die Praktiken der Fischerei und die Herstellung von Angelschnüren der bretonischen Fischer im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Einerseits unterstreicht der Autor die konservative Haltung der Fischer in Bezug auf ihre Fangmethoden, andererseits zeigt er, wie sie sehr innovativ waren, indem sie Hanffasern sehr früh durch stärkere Baumwollfasern ersetzten. Lénaïg Salaün und Kelig-Yann Cotto präsentieren andererseits, wie wichtig die wissenschaftliche Forschung für die Aufwertung der Sammlungen des Hafenmuseums (Port-Musée) von Douarnerez ist, insbesondere anlässlich der Ausstellung über Meeresfasern im Jahr 2012. Überzeugend stellen die Autoren dar, wie wertvoll es ist, fortschrittliche Technologien einzusetzen, um die im Museum aufbewahrten Objekte besser zu verstehen und so neue Fragen zur Geschichte der Sammlung zu stellen. Die Beiträge von Serge Bertin und Jean-Yves Besselièvre unterstreichen die Bedeutung der ethnographischen und kulturhistorischen Aspekte des Hanfbaus in der Sarthe und in der Bretagne (Besselièvre). Durch Fotografien vom Anfang des 20. Jahrhunderts werden im Artikel von Bertin verschiedene Momente der Hanfverarbeitung (Gerben, Zerkleinerung) wie auch die Öfen für den Hanf dargestellt, die die Bedeutung des kulturellen Erbes des Hanfbaus in der Bretagne beweisen. Im letzten Beitrag von Thibaut Lecompte wird die Rolle des Hanfes für die Energiewende und im Bauwesen, insbesondere durch die Herstellung von Hanfbeton, hervorgehoben.
Das Buch bietet interessante Einblicke in die kommerzielle, wirtschaftliche, handwerkliche und landwirtschaftliche Bedeutung des Hanfs vom Mittelalter bis in die Gegenwart. Die meisten Beiträge konzentrieren sich auf Frankreich (und Nordfrankreich), mit einem wirtschafts-, agrar- oder technikgeschichtlichen Ansatz, und präsentieren Fallstudien, die manchmal sehr spezifisch sind. Die Einleitung wirft leider keinen breiteren (europäischen) Blick auf den Hanfbau und -verarbeitung, wie auch auf seine kommerzielle Bedeutung und beschränkt sich in den Erläuterungen auf das 18. Jahrhundert. Außerdem vermisst die Leserin oder der Leser auch eine Darstellung der verschiedenen Beiträge und der Gründe ihrer Auswahl für die Veröffentlichung.
Dennoch ist der Band ein interessanter Versuch, die Bedeutung des Hanfes in der longue durée zu beleuchten.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Simona Boscani Leoni, Rezension von/compte rendu de: Sylviane Llinares (dir.), Le chanvre. Histoire et techniques d’une fibre végétale, Rennes (Presses universitaires de Rennes) 2020, 208 p. (Annales de Bretagne et des pays de l'Ouest, 127,3), ISBN 978-2-7535-8104-3, EUR 20,00., in: Francia-Recensio 2021/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.4.84984