Von den Leben der Kardinäle, die unter den Bourbonen Regierungsverantwortung ausgeübt haben, sind die von Richelieu und Mazarin am bekanntesten und am besten erforscht, schlechter bestellt ist es schon um Kardinal Fleury, den Mentor des jungen Ludwigs XV. Ganz schlecht sah es bis vor zum Erscheinen des vorliegenden Bandes um François Joachim de Pierre de Bernis (1715–1794) aus – den letzten in der Reihe der Kardinal-Minister, der im Übrigen erst wenige Wochen bevor ihn Ludwig XV. aus dem Amt des Staatssekretärs für die auswärtigen Angelegenheiten entließ, den Kardinalshut erhielt. Bernis‘ Karriere ist in Umrissen bekannt und auch Gegenstand mehrerer Biografien, die letztlich auf einer schmalen Quellenbasis – seinen Memoiren sowie einer Auswahl von Briefen, die Fréderic Masson im 19. Jahrhundert publizierte – gründen.
Aus einem alten südfranzösischen Adelsgeschlecht stammend, machte sich der junge Abbé Bernis als galanter Geistlicher und Poet einen Namen in Paris. Seine Karriere kam in Fahrt, als er die soeben Mätresse des Königs gewordene Madame de Pompadour auf ihre Auftritte am Hof vorbereiten sollte. Die »Belohnung« dafür war die Gesandtschaft in Venedig (1752–1755). Nach seiner Rückkehr beabsichtigte man, ihn als Botschafter an den spanischen Hof zu schicken, doch Ludwig XV. entschied anders: Er beauftragte ihn mit der Führung der Geheimverhandlungen mit dem österreichischen Botschafter Starhemberg – Verhandlungen an dessen Ende das berühmte »renversement des alliances« bzw. die »diplomatische Revolution« stand. Bernis Aufstieg ging weiter: ministre d’État und Staatssekretär für die auswärtigen Angelegenheiten und dann der abrupte Fall im Dezember 1758. Bernis wurde entlassen, weil er nach ersten Rückschlägen im Siebenjährigen Krieg auf Frieden drängte, Ludwig XV. diesen Kurswechsel aber ablehnte. Der Sturz war jedoch moderat. Dem Exil folgte die Ernennung zum Bischof von Albi und schließlich 1769 die Ernennung zum Botschafter an der Kurie – ein Amt, dass er bis zu seinem Tode 1794 ausübte.
Trotz dieser erstaunlichen Karriere hat Bernis nur wenig Aufmerksamkeit in der Forschung erhalten. Dies lag zum einen wohl daran, dass sich aus einer nationalgeschichtlichen Perspektive mit ihm wenig Glanz verband, anders als mit Richelieu und Mazarin oder noch mit Fleury. Zum anderen, auch hier im Gegensatz zu Richelieu und Mazarin, existierten außer der erwähnten Edition der Memoiren und Briefe von Masson sowie den zeitgenössischen Editionen seiner Gedichte keine mit den monumentalen Korrespondenzsammlungen von Richelieu (Avenel, Grillon) und Mazarin (Chéruel) vergleichbare Sammlungen von Schriften. Darüber hinaus kam erschwerend hinzu, dass Bernis‘ Nachlass in Privatbesitz verblieb und nicht zugänglich war.
Dies hat sich mit dem vorliegenden, gewichtigen Band geändert. Erstmals seit Fréderic Masson in den 1870er Jahren und in größerem Umfang als dieser konnten Historikerinnen und Historiker auf den Nachlass Bernis‘ zurückgreifen, der sich auf drei Standorte verstreut im Süden Frankreichs befindet (S. 29f.). Die Genese dieses Nachlasses stellt eine Geschichte für sich dar. Erhalten haben sich neben dem Manuskript der Memoiren weitgehend die gesamte Privatkorrespondenz Bernis‘, mit einem zeitlichen Schwerpunkt auf die Jahre nach 1758. Diese besteht aus der Korrespondenz mit französischen Gesandten in ganz Europa, mit Persönlichkeiten der Kurie, Verwandten und Freunden und reicht bis in die ersten Jahre der Revolution hinein. Der Briefwechsel zwischen Bernis und seinem Botschafter Kollegen Flavigny in Parma seit 1789 (Beitrag von Gilles Bertrand) ermöglicht Einblicke in die frühe Emigration und in die wechselnden Urteile über die Emigranten, von der Kritik an ihnen bis zum Verständnis für diese Entscheidung.
Um den Reichtum dieser Papiere auch nur annähernd repräsentativ zwischen zwei Buchdeckeln darstellen zu können, hat Gilles Montègre eine Team von 17 Historikerinnen und Historikern versammelt, die sich je aus ihrer eigenen Expertise heraus Bernis‘ Papieren genähert haben: Sebastien Schick untersucht die Kontakte Bernis’ zum sächsischen Minister Brühl, Christine Lebeau die zum Kaiserhof in Wien, Lucien Bély zum Hof in Parma im Kontext des »renversement des alliances«, Guillaume Poumarède zum französischen Botschafter in Konstantinopel und Virginie Martin die Haltung Bernis‘ zur Revolution und ihren Konsequenzen.
Weitere Beiträge zur »Diplomatie transversale«, die die parallelen Korrespondenzen Bernis zu seinen Kollegen in Italien, Spanien und Russland sowie seine erste Station als Diplomat in Venedig betreffen (Gilles Montègre, Guillaume Hanotin, François Brizay, Alexandre Stroev), arbeiten überzeugend die Bedeutung des Mittelmeerraumes für die Stabilität des Friedens in Europa nach 1763 heraus. Dessen Grundlage bildete die von Bernis ausgehandelte französisch-österreichische Allianz von 1756, die vom Familienpakt der Bourbonen von 1758 flankiert und stabilisiert wurde. Unter der »dienstlichen« Korrespondenz ragt besonders der Dialog heraus, den Bernis von 1774 bis 1787 mit Außenminister Vergennes führte. Gilles Montègre gibt einen ersten Einblick in diesen Briefwechsel, der auch in die jüngsten Biographien von Vergennes keinen Eingang fand (S. 224).
Beide verband ihre Gegnerschaft zu Choiseul, dessen Rückkehr sie fürchteten. Zugleich standen sie als Befürworter einer absoluten Monarchie, die Träger des Reformprozesses sein sollte, kritisch dem Abbruch der Reform Maupeous durch den Ludwigs XVI. neuen ersten Minister Maurepas gegenüber. Außenpolitisch standen sie für den von Ludwig XV. eingeschlagenen Weg der Distanzierung von der aggressiven Außenpolitik Ludwigs XIV. hin zur Zurückhaltung und zur Etablierung Frankreichs als Arbiter eines europäischen Kräftegleichgewichts.
Es ist aber zu betonen, dass nicht nur Bernis‘ Profil als Diplomat und Politiker, sondern auch sein Profil als Kunstkenner, Sammler und Vermittler im künstlerischen Kulturtransfer zwischen Italien und Frankreich (und darüber hinaus) geschärft wird. Bernis sammelte bereits in seiner Pariser Zeit Chinoiserien und Skulpturen, legte in seiner Zeit in Albi eine große Gemäldesammlung an und verwandelte seinen Palazzo in Rom in ein veritables Museum zeitgenössischer Malerei und Skulptur (Beitrag von Patrick Michel). Sein Palast wurde für die zahlreichen Italienreisenden der Epoche zur »auberge de la France dans un carrefour de l’Europe« (S. 413). Bernis’ Gastfreundschaft hat ihre Spuren in unzähligen Reiseberichten hinterlassen und auch als Förderer der Musik hat er sich einen Namen gemacht (Beiträge von Michaela Berti und Marie Demeillez). Die Dauer seiner Mission in Rom macht Bernis sicherlich zu einer Ausnahmegestalt innerhalb der europäischen Diplomatie des 18. Jahrhunderts. Wie Claire Béchu in ihrem reichen Beitrag über die künstlerischen und wissenschaftlichen Ambitionen französischer Botschafter und Gesandten im 18. Jahrhundert zeigt, fügt sich Bernis perfekt in diese Welt vor allem adliger Repräsentanten der französischen Monarchie ein.
Das Verdienst des Bandes liegt nicht nur darin, dass er der Forschung einen ersten Einblick in ein Netzwerk von Korrespondenzen von leibnizschen Ausmaßen bietet, sondern bestehende Vorurteile über Bernis (der Libertin und Komplize von Casanovas Abenteuern in Venedig, seine angebliche Schuld an der Niederlage Frankreichs im Siebenjährigen Krieg usw.) überwindet. Deutlich wird bei allen untersuchten Briefkontakten die Bedeutung, die Bernis – aber auch seine Briefpartner – einer durch die briefliche Kommunikation begründeten Freundschaft zuweisen. Dies entspricht dem Verständnis der aufgeklärten Kommunikation im 18. Jahrhundert; besonders bei Bernis ist jedoch, wie er dies mit dem Feld des Politischen verbindet. Nimmt man seine Leidenschaft für die Künste hinzu, so ist es den Autoren überzeugend gelungen, am Beispiel von Bernis einen Einblick in das »Europe de la diplomatie et de la culture« (S. 712) des 18. Jahrhunderts zu geben. Es bleibt zu hoffen, dass auch weiterhin das Archiv der Familie Bernis‘ der Forschung zur Verfügung steht.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Sven Externbrink, Rezension von/compte rendu de: Gilles Montègre, Le Cardinal de Bernis. Le pouvoir de l’amitié, Paris (Tallandier) 2019, 863 p., 24 p. de pl., nombr. ill., ISBN 979-10-210-3527-0, EUR 32,90., in: Francia-Recensio 2021/4, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.4.84986