Im Zentrum der Monografie stehen sowohl im wörtlichen als auch im übertragenen Sinn die »Wege« (roads) zur Gesundheit in spätmittelalterlichen italienischen Städten. Es geht hier um Methoden der Gesundheitssicherung und -politik, der Prävention und – ganz konkret – um die Schaffung, Instandhaltung und Verwaltung der erforderlichen Infrastruktur, zu der u. a. auch Straßen, Wege und Plätze gehörten. Das Buch gliedert sich in einen Prolog zu Rom im Jahr 1306, eine Einleitung und fünf Kapitel: »Wege (roads) zur Gesundheit«, drei Fallstudien (Lucca, Bologna, Piemont, besonders Pinerolo), ein vergleichendes Kapitel zu Entwicklungen in anderen Teilen Europas, dem Mittleren Osten, Asien und Amerika sowie eine abschließende Bilanz. Zwei Anhänge zu in Lucca verhängten Geldbußen (I, frühes 14. Jh. oder Mitte 14. Jh.) und die Edition und englische Übersetzung von durch dortigen Amtsträgern erlassenen volkssprachlichen Verordnungen (II, Juli–November 1347) ergänzen gemeinsam mit Hinweisen zu Datierung, Maßen und Gewichten sowie einem Quellen- und Literaturverzeichnis die Darstellung.

Die Einleitung gibt einen Überblick über den Forschungsstand, die Methoden und Struktur der Untersuchung. Der Autor beruft sich auf eine große Fülle unterschiedlicher theoretischer Konzepte, die teilweise in Zwischentiteln aufgegriffen werden: »Governmentality and Biopower« (S. 13–17), »Healthscaping and Harm Reduction« (S. 17–22) und »Urban Spaces, Places and Actants« (S. 22–27). Bezüglich der governmentality beruft sich Geltner auf Michel Foucault (S. 13), ebenso für seine Definition von biopolitics. Ergänzend nimmt er auf Überlegungen zur Sozialdisziplinierung Bezug und auf Autoren wie Paul Rabinow, Nikolas Rose (»Thoughts on the Concept of Biopower Today, 2003«). Besonders wichtig für den weiteren Gang der Untersuchung ist der Begriff des healthscaping, der ursprünglich von Tom Farley und Deborah Cohen (»Prescription for a Healthy Nation«, Boston, 2005) in die gesundheitspolitische Debatte der USA des 21. Jahrhunderts eingeführt wurde. Für sein Studienobjekt schlägt Geltner eine weiter gefasste Definition vor: »… the physical, social, legal, administrative, and political process of providing urban environments with the means to promote resident’s health, safety, and wellbeing« (S. 20). Dabei handele es sich nicht nur um ein mittelalterliches Ideal, sondern auch um eine gemeinsame, von Stadtregierungen, Gerichten, Handwerkskorporationen, Armeen, der Kirche und anderen Gruppen in der Praxis verfolgte Politik.

Healthscaping und harm reduction hingen eng miteinander zusammen. Letztere verfolge nicht das Ziel, zu heilen, sondern das Auftreten von Krankheiten durch Präventionsmaßnahmen zu verhindern und Betroffene schon im Vorfeld zu schadensvermeidendem Verhalten zu veranlassen. Diese Strategie sei bereits von den spätmittelalterlichen italienischen Städten in ihrer Verordnungstätigkeit zu Abfallbeseitigung, Tierhaltung, Wirtshäusern, Werkstätten und Marktplätzen verfolgt worden (S. 21f.). Hinsichtlich des Raumaspekts setzt sich Geltner mit den Thesen von Jürgen Habermas, Henri Lefebvre, Bruno Latour, der sogenannten actor-network theory (ANT) und dem Begriff des soundcaping auseinander. Er diskutiert Ergebnisse Michel de Certeaus und greift auf den von James C. Scott geprägten Begriff der weapons of the weak zurück, um zu zeigen, dass bei der Gesundheitsfürsorge Impulse durchaus auch von unten ausgehen konnten. Die methodische Seite ist ein zentrales Anliegen: »The present book has been consciously written with an eye toward countering the historiographical magnet of modernity and fostering a new conversation by suggesting that several analytical frameworks and concepts strongly associated with modernity (ANT, hybridity, the public sphere, healthscaping and harm reduction, governmentality and biopower) may also be relevant to earlier eras, if only as discursive bridges« (S. 168).

Der Verfasser kritisiert bisherige Forschungsmeinungen und eine teleologische Perspektive, die von einem ständigen Fortschritt medizinischer Maßnahmen und der Versorgung ausgeht. Er möchte vor allem die »Tyrannei« (Geltner) der historiografischen These von der entscheidenden Rolle der Pestepidemien (und besonders der großen Pestwelle um 1348) als Stimulus für die Einrichtung eines öffentlichen, städtischen Gesundheitswesens widerlegen (S. 27). Auch vor den Pestwellen habe es bereits Präventionsmaßnahmen und eine städtische Gesundheitspolitik gegeben. Healthscaping, koordinierte gesundheitspolitische und prophylaktische Maßnahmen bzw. entsprechende Diskurse gab es demnach, anders als häufig postuliert, nicht erst ab dem 18. Jahrhundert.

Das erste Kapitel stellt Regelungen italienischer Stadtstatuten zu den Ämtern der »Straßenmeister« (lat. viarii, camparii, weitere volkssprachliche Bezeichnungen), mittelalterliche medizinische Diskurse (Galen, Miasmen-Theorie) und das untersuchte Quellenkorpus vor, das sich – abgesehen von den drei vertieften Fallstudien zu den viarii von Lucca, Amtsträgern aus Bologna und den camparii von Pinerolo – auf 154 Texte aus 118 Städten und sonstigen Ortschaften bezieht (S. 38). Bei solchen Ämtern kam es teilweise zu einer Spezialisierung, z. B. auf »Land« (Straßen, Plätze, Felder) oder »Wasser« (Wasserwege, Brunnen, Abflusskanäle, Bewässerung, usw.).

Im zweiten Kapitel stehen die viarii von Lucca und die von ihnen ausgeübte Gerichtsbarkeit einschließlich gestaffelter Geldbußen für Regelverstöße und Anreizen zur Anzeige im Mittelpunkt. Das dritte Kapitel ist dem Fango (dt. Dreck / Schlamm)-Amt von Bologna gewidmet. Es umfasst u. a. die Entstehungsgeschichte dieses Amtes (1252 wurden die Verantwortlichen noch als suprastantes viarum et aquarum bezeichnet, 1256 als soprastanti … ad fanghum per civitatem, S. 87f.), Verfahrensabläufe und Wege zur Anzeige von Vergehen bzw. die Rolle von Frauen, den Gender-Aspekt und die relative Häufigkeit bestimmter Deliktstypen und -sektoren: Abfallbeseitigung, Tierhaltung, Nachlässigkeit, Handel, Behinderung des Durchgangs, Sicherheitsgefahr, verbotenes Spiel usw. Das vierte Kapitel behandelt das Piemont, vor allem die camparii (Feldmeister) der Stadt Pinerolo. Der Name verweist sowohl auf den ursprünglich ländlichen Charakter dieses Amtes als auch auf die in den übrigen Kapiteln angesprochene Bedeutung des Um- und Hinterlandes für städtische Gesundheitspolitik und Versorgung. Für Pinerolo sind Register zu den Aktivitäten der camparii seit dem späten 13. und frühen 14. Jahrhundert überliefert. Es gab Parallelen in weiteren piemontesischen Städten und Ortschaften.

Das fünfte Kapitel ordnet die italienischen Fallbeispiele in einen gesamteuropäischen und weltweiten Rahmen der Vormoderne ein. Angesprochen werden u. a. antike römische und byzantinische Vorstellungen über salubritas (Vitruv, † ca. 15 n. Chr.), Varro, Militärtraktate zu Armee und Lagereinrichtung (»De re militari« von Vegetius, 4./5. Jh.), Strategikos von Onasander (1. Jh.), Ideen des mittelalterlichen Mönchtums, Anlage bzw. Ortswahl von Klöstern (Zisterzienser, Clairvaux, griechische Klöster wie Athos; Beginenhäuser usw.), mehrere europäische Regionen, das Thema der Prävention in der islamischen Welt und Asien (Japan, China, Thailand, Korea, Indien, Bhutan), Südamerika und ehemalige europäische Kolonien usw.

Die meisten dieser Gebiete werden allerdings nur kurz angerissen. Bei einem Gesamtumfang des Buches von 259 Seiten bleibt dieser an sich zwar sehr interessante Ausblick notwendigerweise, gerade im Vergleich zu den elaborierteren »italienischen« Teilen eher oberflächlich. Es wird zwar mehrsprachige Forschungsliteratur (vor allem aus dem angelsächsischen Sprachraum, Italien, teilweise Frankreich etc.) herangezogen, angesichts des relativ geringen Umfangs war dies naturgemäß jedoch nicht für alle angesprochenen Gebiete und Epochen gleichermaßen möglich. So wird festgestellt: »Given the relative wealth of local repositories in Germany and the Baltic basin, for instance, we may expect to become far more knowledgeable about the region’s earlier prophylactic traditions in due time and given adequate attention, especially to imperial and Hanseatic towns« (S. 145).

Die bereits durchgeführten zahlreichen Studien zum Gesundheitswesen und Hospitälern von Reichsstädten (z. B. Nürnberg und andere Reichsstädte, elsässische Städte), weitere deutschsprachige Forschungen, vergleichende Sammelbände (z. B. von Neithard Bulst, Karl-Heinz Spieß, Michael Matheus oder Gisela Drossbach) und Quellenkunden, ebenso wie die Untersuchungen von Michel Pauly zu Luxemburg und dem Rhein-Maas-Raum oder eine Reihe von französischsprachigen Forschungen zur jüngeren Hospitalgeschichte sowie Hospitallandschaften und der eng damit verbundenen Armenfürsorge fehlen jedoch in der Bestandsaufnahme. Inwieweit die bibliografischen Hinweise zur außereuropäischen Welt ein repräsentatives Bild des aktuellen Forschungsstands vermitteln, sei der Beurteilung diesbezüglicher Experten überlassen.

Insgesamt liegt die Bedeutung des Buches besonders darin, dass es zur Diskussion über methodische und theoretische Fragen und über die Anwendbarkeit traditioneller und neuerer Forschungsparadigmen auf vormoderne Verhältnisse auffordert. In dieser Hinsicht ist die Studie sehr anregend, auch dadurch, dass hier nicht nur der kurative Aspekt oder die in zahlreichen Einzelfallstudien zu städtischen Hospitälern behandelten Gesichtspunkte, sondern die Frage nach Prophylaxe und städtischer Gesundheitspolitik als solche im Vordergrund stehen. Methodisch und als Diskussionsanstoß ist die Darstellung deshalb von sehr hohem Interesse.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gisela Naegle, Rezension von/compte rendu de: Guy Geltner, Roads to Health. Infrastructure and Urban Wellbeing in Later Medieval Italy, Philadelphia (University of Pennsylvania Press) 2019, X–259 p., 15 ill., 4 maps (The Middle Ages series), ISBN 978-0-8122-5135-7, USD 65,00., in: Francia-Recensio 2021/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.4.85045