Der 2012 emeritierte Zisterzienserforscher Brian Patrick McGuire, der auch für den ersten Abt von Clairvaux als einer der führenden Experten gelten darf, fügt mit der hier zu besprechenden Monographie seinem bereits umfangreichen Œuvre eine Biographie des »schwierigen Heiligen«1 hinzu.
Wie im Untertitel des Buches suggeriert, ist es das Ziel des Autors, »to seek insight into Bernard’s inner life, insofar as this is possible, and in so doing, I will be considering how Bernard understood himself and conveyed himself to the world around him« (S. 3). McGuire ist sich der Herausforderungen dieses Ansatzes bewusst und hinterfragt im Buch auch stets kritisch den jeweiligen Quellenwert. Dennoch folgt er keiner »sophisticated methodology, only a desire to see Bernard as a human being with hopes, dreams, frustrations, and moments of pure joy« (S. 4).
Das Buch ist etwas unkonventionell aufgebaut: Nach Inhaltsverzeichnis und Danksagungen folgen eine »Chronology of Bernard’s Life and Times« vom Pontifikat Gregors VII. (1073–1085) bis zur Kanonisation Bernhards 1174 (S. xi–xiii), ein gleich noch zu besprechender Hinweis an Leserinnen und Leser (S. xiv) sowie zwei Karten. Die Biografie an sich, die den weitaus umfangreichsten Teil des Buches einnimmt, zeichnet Bernhards Leben nach einer Einleitung in zehn Kapiteln chronologisch nach. Jedoch verzichtet McGuire hier durchweg auf Fuß- und Endnoten – was er in dem erwähnten Hinweis auf S. xiv explizit vorausschickt –, auch wenn er im Fließtext häufig Quellen und Forschungsliteratur mit Titel und Autor benennt, wenn er aus ihnen zitiert oder auf sie rekurriert. Das Fehlen von Einzelnachweisen trägt zwar zur besonders guten Lesbarkeit dieses Teils des Buches bei, schränkt aber seine Nachnutzbarkeit für die eigene Forschung ein. Diesem ersten Teil des Buchs folgen dann aber, mit Einzelnachweisen und als explizit so benanntem »Background« (S. 251) für den vorherigen Teil, auf gut 50 Seiten 15 Fragen (und Antworten) zu spezifischen Aspekten in Bernhards Vita. Die Endnoten zu diesen 15 Fragen, ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein gemeinsames Personen-, Orts- und sogar Sachregister beschließen den Band.
In den ersten beiden Kapiteln umreißt der Autor zunächst kurz die kirchenpolitischen Rahmenbedingungen im Europa Bernhards (S. 7–12) und beleuchtet seine Kindheit und Jugend bis zum Eintritt in Cîteaux 1113 (S. 13–29). Dabei betont er nicht nur die Bedeutung von Bernhards Mutter Aleth für seine frühe Prägung, sondern geht auch auf die enge und sein ganzes Leben währende Bindung zu männlichen Verwandten und Jugendfreunden ein, von denen viele mit ihm das klösterliche Leben begannen. Kapitel 3 (S. 30–53) behandelt die ersten zehn Jahre Bernhards in Clairvaux, dessen Gründungskonvent er 1115 noch vor seiner Priesterweihe anführte. McGuire geht dabei auf eine längere Krankheitsphase und die dadurch bedingte Abwesenheit vom Kloster ein sowie auf erste Werke Bernhards und die Freundschaft mit seinem ersten Biografen, Wilhelm von Saint-Thierry. Während das vierte Kapitel (S. 54–67) die Jahre bis 1129 in den Blick nimmt, in denen sich Bernhard noch von Clairvaux aus bereits aktiv in weltlichen und kirchlichen Angelegenheiten engagiert, die seine Abtei oder den Orden allenfalls peripher betreffen, thematisiert McGuire in den Kapiteln 5 bis 9 (S. 68–214) Bernhards Wirken außerhalb von Clairvaux. Diese »endless involvements« (S. 178) lassen den Abt schon in den 1130er Jahren zu einer »European figure« (S. 79) werden. Große Themen sind hier etwa das anakletianische Schisma mit dem letztendlichen Triumph des von Bernhard unterstützten Papstes Innocenz II., der Konflikt mit Petrus Abaelard und die Kreuzzugspredigt. Auch auf das Verhältnis Bernhards zum ersten Zisterzienserpapst und früheren Mönch in Clairvaux Eugen III. sowie zu den Äbten Suger von Saint-Denis und Petrus Venerabilis von Cluny geht McGuire ein. Immer wieder geht es auch um erfolgreiche Einflussnahmen des Zisterziensers auf (Erz-)Bistumsbesetzungen zugunsten von Angehörigen des eigenen Ordens, beispielsweise in York Anfang der 1140er Jahre (S. 164–169, 173f.). Bis 1150 hielt sich Bernhard häufig und lange außerhalb seiner Klostermauern auf. Trotz dieser Abwesenheit florierte Clairvaux (und die Filiation) in seinem Abbatiat, nicht zuletzt auch dank der tüchtigen Verwaltung durch seine Brüder (S. 277).
Erst in den letzten Jahren vor seinem Tod 1153 (Kapitel 10: S. 215–249) scheint er die meiste Zeit in Clairvaux gewesen zu sein, wobei er sich auch von dort aus weiterhin oft in außerzisterziensische Angelegenheiten einmischte: »so his commitment hardly reflects the situation of someone in the process of dying« (S. 215). Das 10. Kapitel endet mit einer abschließenden Würdigung Bernhards. McGuire beschreibt ihn hier u. a. als »central phenomenon in twelfth-century life and spirituality« (S. 247), als »European figure who began the process of cultural unification that continues into the present, despite conflicts and crises« (S. 248), aber auch als jemanden, der sich selbst als im Besitz der Wahrheit glaubte und daraus das Recht ableitete, sich nicht nur ungefragt zu äußern und einzumischen, sondern im Zweifel auch seine Gegner zu verfolgen.
Die sich anschließenden »15 questions« bilden einen unverzichtbaren Anhang, der im Laufe des Buches immer wieder angerissene Themen vertieft, konzis zusammenfasst und mit Einzelnachweisen belegt. McGuire widmet sich hier etwa den Quellen zum Leben Bernhards und früheren Biografien, seinem Verhältnis zu Frauen und zu seinem eigenen Körper, seiner sexuellen Identität oder auch seiner Gesundheit.
Die Biografie McGuires überzeugt. Der Autor demonstriert eine fast schon intime Quellenkenntnis, kritisiert die Überlieferung, wo nötig, beeindruckt durch die detaillierte Analyse einzelner Briefe und Traktate Bernhards und setzt sich immer wieder explizit mit den Arbeiten anderer Forscher auseinander. Dem »inner life« seines Protagonisten kommt er freilich nur so nahe, wie es die Quellen zulassen – oder durch Stil, Topoi und das nicht Geschriebene einschränken. Überzeugung, Ärger, Eifer, Hoffnung, Enttäuschung oder ein Verbundenheitsgefühl lassen sich aber durchaus gelegentlich greifen oder wenigstens mit gutem Grund vermuten, wie McGuire zeigen kann.
Zum Erfolg der Biografie dürfte auch der günstige Preis beitragen. Das Buch besitzt einen soliden, mit grünem Papier bezogenen Pappeinband, mit goldgeprägtem Titel, Untertitel, Autornamen und Verlagslogo auf dem Rücken. Ein Frontispiz zeigt ein Altarretabel von 1496 aus der dänischen Zisterzienserabtei Esrum, einer Tochterabtei von Clairvaux, mit einer Darstellung des Amplexus, die thematisch mit der Abbildung auf der Vorderseite des Schutzumschlags korrespondiert, die auf einen handkolorierten Holzschnitt der 1470er Jahre zurückgeht.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Björn Gebert, Rezension von/compte rendu de: Brian Patrick McGuire, Bernard of Clairvaux. An Inner Life, Ithaca, London (Cornell University Press) 2020, XVI–358 p., 2 maps, ISBN 978-1501-75104-2, USD 34,95., in: Francia-Recensio 2021/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.4.85055