Gerne wirken die Titel von Sammelbänden ein wenig irreführend, weil die in Aussicht gestellten Inhalte von manchen der Beiträge letztlich doch nicht eingeholt werden können. In gewisser Hinsicht trifft dies auch beim vorliegenden Werk zu, was bei der Lektüre aber zu einer positiven Überraschung führt: Anstelle des engen Fokus auf ein historisches Jubiläum bietet der Band nämlich wesentlich Gehaltvolleres. Auch so wäre der Gegenstand schon die Beschäftigung wert, handelt es sich doch bei der am 9. Februar 1416 im Schloss von Chambéry durchgeführten Erhebung der Grafschaft Savoyen zum Herzogtum fraglos um einen bedeutenden Vorgang. Amadeus VIII., von König Sigismund zum Herzog gemacht, nutzte den neuen Rang bald, um seinem Haus neuen Glanz zu verleihen und weitreichende Souveränität anzustreben (die ihm letztlich doch verwehrt blieb). Er beauftragte Jean d’Orville, genannt Cabaret, mit der Herstellung eines Geschichtswerks zur savoyischen Dynastie, ließ Dukaten mit neuem Münzbild prägen und trat mit einer Reihe von Statutenwerken als Gesetzgeber auf1. Den Höhepunkt dieser Karriere bildete dann 1439 Amadeus’ Wahl zum Papst anstelle des von den Basler Konzilsvätern für abgesetzt erklärten Eugen IV., durch welche er schließlich aus römischer Perspektive zum vorläufig letzten Gegenpapst der Geschichte wurde.

Die bedeutsame Zeit rund um 1416 und die feierliche Rangerhöhung bilden aber nur einen, wenn auch wichtigen und erhellenden Teil, des hier entfalteten Panoramas: Sie stehen vor allem in der knappen Einleitung der Herausgeber (S. 15–22) sowie den Beiträgen von Daniela Cereia zu den Beziehungen zwischen König Sigismund und Amadeus VIII. (S. 47–63) und Eva Pibiri zu den Reisen und Verhandlungen im Vorfeld der Erhebung (S. 65–94) im Fokus. Insbesondere Pibiris detaillierte und quellengesättigte Studie zu den Vorbereitungen führt an das Ereignis heran – das jedoch angesichts der Quellensituation dann ein wenig blass bleibt (S. 89). So ist zwar detailliert nachzuvollziehen, wie sich Amadeus VIII. schon ab 1414 diplomatisch um Sigismund bemühte, wie er penibel die Reisen des Königs durch seine Territorien begleiten ließ (S. 71–82) und welche Summen er in die nötige Ausstattung der Erhebung investierte (S. 82–88) – alleine zwischen dem 22. Januar und dem 21. Februar 1416 gab man in Lyon weit über 6000 Gulden aus (S. 88). Über den Ablauf der Feier unterrichtet aber lediglich ein relativ sprödes Protokoll aus der Feder des herzoglichen Sekretärs Jean Bombat (S. 90), das damit die auf die Ausstattung fokussierten Angaben aus der Rechnungslegung ergänzen kann.

Rund um diesen zentralen Beitrag bietet eine Reihe weiterer Texte wertvolle und umsichtige Kontextualisierungen: So skizziert Gisela Naegle kenntnisreich die Außenpolitik König Sigismunds (S. 23–45), und Federica Cengarle wirft einen vergleichenden Blick auf die (wesentlich teurere) Herzogserhebung der mailändischen Visconti im Jahr 1395 (S. 95–105; der einzige Beitrag in italienischer Sprache). Schon die eindrucksvolle Studie von Paolo Buffo zur Herrschaftsübernahme Amadeus’ im Piemont nach dem Erlöschen der dortigen Linie der Savoyen-Achaia im Jahr 1418 (S. 107–130) führt dann aber über die Herzogserhebung hinaus und verdeutlicht unter anderem, wie dieser Herrschaftsantritt mit der bewussten und strategisch umgesetzten Übernahme der Archivbestände verbunden war.

Damit treten insbesondere Fragen nach den Techniken und Praktiken herrschaftlicher Expansion in den Fokus: Beatrice Del Bo diskutiert am Beispiel der Verbindungen Savoyens mit der Markgrafschaft Monferrat in der Zeit Amadeus’ VIII. die Möglichkeiten und Grenzen adliger Heiratspolitik (S. 131–142), Alessandro Barbero verfolgt detailliert, wie Vercelli ab 1427 administrativ der savoyischen Herrschaft einverleibt wurde (S. 143–180). Wirkte dieser Ort mit seinen Einkünften aus mailändischer Sicht eher bescheiden, so stellte er für Savoyen einen bedeutenden finanziellen Faktor dar (S. 144–153). Auch die Eigeninteressen lokaler Amtsträger und die Probleme einer Herrschaft aus der Ferne sind hervorragend nachzuvollziehen, arbeitete doch der trésorier Giacomo di Margaria offensichtlich lange Zeit effizient in die eigene Tasche (S. 179).

Der Reichtum der savoyischen Rechnungslegung erlaubt aber nicht nur zum Verhalten der Finanzverwalter präzise Einblicke: Roberto Biolzi kann mit Blick auf die Finanzen plausibel machen, dass die zeitgenössische Einschätzung Amadeus’ VIII. als »Friedensfürst« tatsächlich die Zurückhaltung des Grafen bzw. Herzogs bei der Kriegführung treffend beschreibt (S. 195–210). Ganz ähnlich bewertet Fabien Lévy Amadeus’ Engagement in Ligurien (1388 hatte Amadeus VII. Nizza erworben) eher als zurückhaltend, da der Fürst mithilfe von Allianzschlüssen vorzugsweise indirekt agierte, insbesondere gegenüber dem mächtigen, wenngleich turbulenten Genua (S. 181–194).

Die folgenden Beiträge blicken verstärkt nach innen: So analysiert Lionel Dorthe den Charakter der herzoglichen Rechtsprechung (S. 211–235), während Christian Guilleré die Finanzen Amadeus’ in der Zeit vor der Herzogserhebung untersucht (und die Einkünfte als recht bescheiden ausweist; S. 237–276) und Franco Morenzoni der weitgehend auf Stabilität zielenden Geldpolitik des Herzogs zwischen 1420 und 1434 nachspürt (S. 277–318) – wobei er tiefe Einblicke in den Edelmetallhandel am Standort Genf eröffnet. Andrea Longhi fügt diesem Panorama eine knappe Darstellung der architektonischen Projekte südlich der Alpen an (S. 319–334). Einen weiteren Höhepunkt stellt schließlich die Untersuchung des bäuerlichen Lebensumfelds dar, die Nicolas Carrier und Fabrice Mouthon beisteuern (S. 335–357). Sie zeigen einerseits, dass die ländlichen Gemeinschaften im Kern Savoyens, trotz recht zurückhaltender Privilegierungen seitens ihrer Herren, insgesamt weitgehend erfolgreich auf die Krisen ab der Mitte des 14. Jahrhunderts reagierten. Zugleich wird deutlich, dass die Bauern in der Politik Amadeus’ VIII. eine bestenfalls zweitrangige Rolle spielten. Letztlich war der Herzog vor allem darauf bedacht, herrschaftliche Rechte zu wahren (S. 356).

Beschlossen wird der Band von einer Zusammenfassung durch Guido Castelnuovo (S. 359–372), der zugleich auf einen »Zwilling« verweist, dessen Veröffentlichung bevorsteht (eine zweite Tagung des Jahres 2016 widmete sich in Chillon vorrangig dem Hof Amadeus’ VIII./Felix’ V.)2, und nützliche Hinweise auf jüngere Beiträge zu den »Sabaudian studies« (S. 361) bietet. Wenn hier, wie schon in der Einleitung der Herausgeber, emphatisch die »europäischen Perspektiven« der Forschung zu Savoyen unterstrichen werden (S. 361; vgl. S. 20f.), so scheint aus Leserperspektive zugleich ein kritischer Aspekt benannt: Bei allem bewundernswerten (Detail-)Reichtum des vorliegenden Bandes wird gerade diese Dimension wenig konturiert. Das beeinträchtigt den Wert der Publikation zwar nicht entscheidend, stellt aber eine Einladung dazu dar, diesen Reichtum jenseits des engeren Fokus auf Savoyen vergleichend fruchtbar zu machen. Vielleicht kann die Tatsache, dass der Band (vor dem abschließenden Register) mit der von Christian Guilleré und Laurent Ripart besorgten Edition und französischen Übersetzung der Erhebungsurkunde von 1416 endet (S. 373–380), ja gerade in diesem Sinne gedeutet werden?

Wie diese allzu knappe Vorstellung hoffentlich zeigen konnte, kann man sich für dieses Buch begeistern, das weit über eine reine Jubiläumsschrift hinaus eine Vielzahl zentraler Beiträge ausgewiesener Expertinnen und Experten zur Geschichte Savoyens in der Zeit Amadeus’ VIII. versammelt. Gewiss darf man keine monografische Geschlossenheit erwarten; auch ist der eine oder andere Tippfehler zu finden, und die Qualität der Farbabbildungen fällt leider bescheiden aus. Insgesamt sollte dieser Band aber in keiner Bibliothek fehlen, die sich dem spätmittelalterlichen Europa, seinen Fürstentümern und der adligen Kultur widmet.

1 Zum umfangreichen Statutenwerk von 1430, den »Statuta Sabaudiae«, siehe jüngst (mit kritischer Edition der Statuten) Franco Morenzoni, Mathieu Caesar (Hg.), La loi du prince. La raccolta normativa sabauda di Amedeo VIII (1430), Bd. I: Les Statuts de Savoie d’Amédée VIII de 1430. Une œuvre législative majeure; Bd. II: Compendium statutorum generalis reformacionis Sabaudie, Turin 2019 (Biblioteca storica subalpina, 228).
2 Die Tagung fand unter dem Titel »Le duc-pape et sa cour, Amédée VIII-Félix V (1383–1451)« auf dem Schloss Chillon statt; eine Publikation in der Reihe der »Cahiers lausannois d’histoire médiévale« ist angekündigt. Das ursprüngliche Tagungsprogramm ist unter folgendem Link verfügbar: https://www.unil.ch/cemep/files/live/sites/cemep/files/shared/2016-2017/Flyer%20Colloque%20Chillon.pdf [4.8.2021].

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Klaus Oschema, Rezension von/compte rendu de: Laurent Ripart, Christian Guilleré, Pascal Vuillemin (dir.), La naissance du duché de Savoie (1416). Actes du colloque international de Chambéry (18, 19 et 20 février 2016), Chambéry (Presses Universitaires Savoie Mont Blanc) 2020, 396 p., ISBN 978-2-37741-052-1, EUR 25,00., in: Francia-Recensio 2021/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.4.85060