Den Umschlag dieses Sammelbands ziert die bekannte Ptolemäus-Weltkarte aus dem 2. Jahrhundert in der von Nicolaus Germanus bearbeiteten und 1482 herausgegebenen Form. Die Karte war maßstabsetzend durch ihre Farbgebung und vor allem durch das Raster aus Längen- und Breitengraden. Die in dem Buch versammelten Beiträge widmen sich unterschiedlichen Problemen von Abgrenzungen und Grenzen in verschiedenen Räumen, von den Dardanellen über den Mittelmeerraum des Altertums bis zum hochmittelalterlichen England und dem Norden des spätmittelalterlichen Frankreich. Das Ganze ist in drei Abschnitte zu je drei Beiträgen organisiert; die »Conclusions« am Ende lassen auf ein Tagungsprogramm schließen. Insgesamt zwölf Farbabbildungen (Grafiken, Reproduktionen und Fotos), ein Quellen- und ein Literaturverzeichnis, ein Index der Orts- und Personennamen, ein Verzeichnis der Autorinnen und Autoren sowie ein Abbildungsverzeichnis erleichtern die Benutzung des Bandes.

Im ersten Abschnitt geht es um das »Bassin méditerranéen antique«. Alejandro Cadenas González diskutiert die gemeinhin als Akkulturation bezeichneten Phänomene an der Grenze des Römischen Reichs am Beispiel von Götterdarstellungen, etwa Skulpturen des Jupiter, des Cernunnos oder der Epona aus ganz unterschiedlichen Fundorten. Er tut dies auf der Grundlage einer Neubewertung der Akkulturationsprozesse, die er in Anlehnung an Gregory Duncan Woolf eben nicht als kulturelle Angleichung im Sinne der Übernahme einer als überlegen empfundenen römischen Kultur an den Grenzen des Reichs versteht, sondern als eine Kreolisierung italischer Kultur durch die Völker der Gallia und der Germania, die zu neuen, nicht zwingend als minderwertig empfundenen handwerklichen und sozialen Standards führte. Das Ergebnis ist mithin keine »Romanization«, sondern eine »cultural fusion of different identities« (S. 18). Die Bildunterschrift zu Abb. 1 (S. 20 und Farbtafel nach S. 31) wäre aus Taramis in Taranis zu korrigieren.

Insgesamt sind gerade die hybriden Göttervorstellungen und Götterdarstellungen natürlich ein Phänomen, das nicht auf den Kontakt der Römer mit keltischen Völkern beschränkt ist. Dies gilt auch für die Vorgänge etwa in den römisch-gallischen Kontaktzonen, die zumindest in der Mittelalterforschung seit Längerem schon als ein Prozess, der zu neuen Realitäten führte (Ethnogenese und Glottogenese), verstanden werden1.

William Pillot nimmt die Hundertjahrfeiern zur Schlacht von Gallipoli (bataille des Dardanelles, 1915/16) zum Anlass, die verschiedenen Ausdehnungen der Region um Troja, Illion oder Hisarlik nach dem Zeugnis der Autoren der Antike zu diskutieren. Troas (frz. Troade) liegt südöstlich der Dardanellen, die seit alter Zeit eine strategisch wichtige, im Ersten Weltkrieg zunächst erfolgreich durch das Osmanische Reich verteidigte Meerenge bilden. Er attestiert der Region, insbesondere dem von seit dem 9./8. Jahrhundert v. Chr. durch griechische Siedler neu aufgebauten Troja, eine »identité transfrontalière« (S. 52), gewachsen aus der Not einer schwierigen geopolitischen Lage zwischen Asien und Europa und der Instrumentalisierung des Erbes des homerischen Mythos, der an wechselnde Machthaber angepasst wurde.

Der dritte Beitrag dieser Sektion widmet sich demselben Zeitraum, allerdings in einer Auswertung überwiegend literarischer Quellen von Homer bis Euripides und Plutarch. Federica Pezzoli und David Hernández de la Fuente unterscheiden konzeptionell zwischen border und frontier und ordnen diesen englischen Begriffen griechische Fundstücke aus den untersuchten Texten zu. Dabei scheinen terma und termôs eine lineare aber durchlässige Grenze im Sinne von border zu bezeichnen, die die Existenz limitropher Orte ermöglicht, während im archaischen Sprachgebrauch horos eine mit dem Pflug gezogene, aber in der Folge als verbindlich, weil heilig (sacred), angesehene Trennlinie anzeigt. Davon werden mehrere Begriffe unterschieden, die im Sinne von border ein unwirtliches und stadtfernes, per definitionem abgelegenes Gebiet beschreiben. Dies dürfte der marca oder den fines mittelalterlicher Texte entsprechen.

Die zweite Sektion ist »En Europe du Nord« überschrieben, tatsächlich aber geht es um Paris, das mittlere Maastal und England. Im ersten Beitrag entwickelt Marc Suttor mit sichtlicher Leichtigkeit die in der Forschung sehr präsente Frage einer durch die Maas (Meuse) gebildeten Flussgrenze. Untersucht wird die Wahrnehmung in den Quellen für den Abschnitt zwischen Sedan und Maastricht seit dem Altertum bis ans Ende des Mittelalters mit einem Ausblick bis in die Gegenwart. Für die Zeit vor dem 13. Jahrhundert weicht er einer Antwort aus, ab dem 13. Jahrhundert sieht er alle Anzeichen für eine durch Markierungen (bornes) in der Landschaft definierte politisch gültige (Reichs-)Grenze gegeben, was durch die neuere, hier wenig berücksichtigte Forschung bestätigt wird. Suttor widersteht indes der Versuchung, die Maas als Beleg für Flussgrenzen zu werten: eine systematische Grenzfunktion sei nicht zu beobachten.

Antoine Destemberg entwickelt vor dem Hintergrund der seit 1249 an der Pariser Artistenfakultät bestehenden nationes die Problematik der institutionellen Konkurrenz zwischen der pikardischen und der englisch-deutschen Nation, auf die sich – als einzige – die Studenten der Diözese Lüttich verteilten. Der Konflikt spitzt sich Mitte des 14. Jahrhunderts zu und erhält neben der rechtlichen auch eine räumliche Dimension, die von dem bekannten pikardischen magister Jean Buridan in seiner Festlegung auf die Maas als entscheidenden trennenden Faktor auf den Punkt gebracht und in Form einer frühen mental map von seinem schottischen Kollegen William de Spynie visualisiert wird.

Die Frage, wie eine Grenze entsteht, diskutiert Arnaud Lestremau am Beispiel der Machtbereiche, die sich zwischen dem 9. und 11. Jahrhundert zwischen Angelsachsen und Wikingern (Dänen) in England etablieren. Methodenbewusst und auf der Höhe des Forschungsstandes kann er zeigen, dass es nicht um lineare politische Grenzen, sondern um »dreidimensionale Formen« (S. 111) geht, die von Zentren abhängen, die durch politische oder gesellschaftliche Akteure und Netzwerke bestimmt werden. Konkret bedeutet das, dass nicht von einer konstanten oder auch nur geografisch bestimmbaren Grenze auszugehen ist, die das rechtlich und sprachlich untersuchte Gebiet des Danelaw vom Rest der Insel getrennt hätte; die kulturelle und sprachliche Grenze zwischen angelsächsischem und dänischem Einflussbereich charakterisiert Lestremau als fließend und porös.

Die letzte Sektion ist treffender als »Nordwesten des Königreichs Frankreich« apostrophiert. Im Zeitraum vom 14. bis zum 16. Jahrhundert behandeln die drei Beiträge den Grenzcharakter des Artois (Jean-Baptiste Santamaria), Calais als englischen Brückenkopf in Frankreich (Stéphane Curveiller) sowie die zunehmend verschwimmende Trennung zwischen dem rechtlich und städtebaulich als Stadt ausgewiesenen Raum und seinem Umland am Beispiel der Stadt Valenciennes (Stéphanie Pirez-Huart).

In der Gesamtschau bietet das Buch informative Einblicke in politische, kulturelle, städtische und terminologische Grenzbereiche. Erfreulicherweise sind entsprechende Karten und Pläne beigegeben, die schwarz-weiß in den Texten und teils nochmals farbig zwischen S. 32 und 33 abgedruckt sind. Drei der neun Karten hätten durch ganzseitigen Druck an Lesbarkeit gewonnen. Dass es sich bei den geografischen Grenzen (zumindest bis zum frühen und hohen Mittelalter) um weit zu fassende Kontaktzonen handelt, die sich durch zentrale und limitrophe Orte artikulieren, gehört zu den Ergebnissen des Bandes. In zwei Beiträgen wird die Maas behandelt, die zu verschiedenen Zeiten als trennender Faktor belegt ist, dies aber offenbar nur im Sinne einer ungefähren Ortsangabe, faute de mieux.

1 Vgl. neben vielem anderen: Dieter Hägermann, Wolfgang Haubrichs, Jörg Jarnut (Hg.), Akkulturation. Probleme einer germanisch-romanischen Kultursynthese in Spätantike und frühem Mittelalter, Berlin, New York 2004 (Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Ergänzungsbd., 41).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Jens Schneider, Rezension von/compte rendu de: Marc Suttor (dir.), Les espaces frontaliers de l’Antiquité au XVIe siècle, Arras (Artois Presses Université) 2020, 254 p. (Histoire), ISBN 978-2-84832-386-2, EUR 21,00., in: Francia-Recensio 2021/4, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.4.85063