»Revival« ist der zweite Sammelband zur Kriegsbewältigung in der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts, den der belgische Architekturhistoriker Luc Verpoest als Emeritus an der Katholieke Universiteit Leuven federführend herausgegeben hat. Stand im gemeinsam mit Nicholas Bullock publizierten Band »Living with History« aus dem Jahr 2011 der diachrone Vergleich zwischen erster und zweiter Nachkriegszeit im Vordergrund und lag der Fokus auf dem Wechselspiel aus materiellem Wiederaufbau und Denkmalschutz, fasst der nun vorliegende Sammelband seinen Gegenstand chronologisch enger, inhaltlich jedoch breiter1. »Revival« steht als Oberbegriff für ein Spektrum an Phänomenen von der Anpassung materieller Gegebenheiten und physischer Zustände bis hin zu kulturellen Deutungsakten im Umgang mit den Kriegsfolgen. Der Zeitraum der Untersuchungen ist mit der Chiffre »nach dem Großen Krieg« grob abgesteckt: Er umspannt im Wesentlichen die Jahre zwischen Waffenstillstand und Ruhrkrise, wobei letztere als Zäsur der Politik- und Wirtschaftsgeschichte im hiesigen Zusammenhang ausgespart bleibt und der Waffenstillstand als ereignisgeschichtliche Wegmarke eine Nebenrolle einnimmt. Hinzu kommen substanzielle Rückgriffe auf die Zeit des Weltkriegs, die auf der richtigen Feststellung beruhen, dass Prozesse des Reparierens, des Wiederaufbauens, aber auch des Erinnerns keine alleinigen Phänomene der Nachkriegszeit waren, sondern bereits kurz nach Kriegsbeginn einsetzten (vgl. S. 17).
Im geografischen Zuschnitt ähnelt der Band dem Vorgänger von 2011, indem er den Schwerpunkt auf Westeuropa und insbesondere Belgien legt. Gut die Hälfte der insgesamt siebzehn Beiträge behandelt belgische Fallbeispiele zu Architektur und Stadtplanung, Denkmalbau und Gedenkpraktiken sowie Projekte der Re-education nach der Demobilisierung. Eine transnationale Erweiterung erfährt die belgische Geschichte im Beitrag von María Inés Tato, die mit dem argentinischen Schriftsteller und Journalisten Roberto J. Payró einen Augenzeugen der deutschen Besatzung in Belgien und der Phase des Wiederaufbaus zu Wort kommen lässt. Pierre Purseigles informativer Beitrag zu den städtebaulichen Folgen der Kriegszerstörungen in Frankreich und Belgien eröffnet ebenfalls eine transatlantische Perspektive, indem er das US-amerikanische Engagement im westeuropäischen Wiederaufbau betont. Jenseits des franko-belgischen Schwerpunkts bewegt sich der Beitrag von Helen E. M. Brooks zu Weltkriegserinnerungen im britischen Theater der Zwischenkriegszeit. Südeuropa dominiert in den Aufsätzen von Caroline García Sanz zum spanischen Feminismus, von Ana Paula Pires zur Transition von der Kriegs- in die Nachkriegswirtschaft in Portugal sowie in der vergleichenden Betrachtung von Simonetta Polenghi zum Umgang mit Kriegsversehrten in Italien und Deutschland. John Horne fokussiert mit seinem Abschlusskommentar den urbanen Wiederaufbau im schwer zerstörten Saloniki, den Ausbau von Universitäten und Studentenwohnheimen in Leuven und Paris und den Neubau des Völkerbundpalastes in Genf, der nach einem 1927 ausgeschriebenen Wettbewerb in neoklassizistischem Stil erfolgte, nachdem Le Corbusiers Gegenentwurf eines Glas-Betonbaus auf Stehlen abgelehnt worden war.
Hornes abschließender Dreiervergleich ist symptomatisch für den Ertrag und die Stoßrichtung des gesamten Bandes. So verdeutlichen die post-imperialen Konstellationen an den Rändern des zerfallenden Osmanischen Reichs, die amerikanischen Interessen in der materiellen Ausgestaltung der westeuropäischen Bildungslandschaft und die internationalen Debatten um die Ästhetik des Völkerbunds, dass die Phase des Wiederaufbaus nach dem Ersten Weltkrieg nicht in nationalen Containern erforscht werden kann, sondern transnationale und internationale Gemengelagen immer mitgedacht werden müssen. Hornes Wahl der Fallbeispiele offenbart aber auch, dass der Band trotz des breit angelegten Titels das »Revival« im Kern als eine Kategorie der Architekturgeschichte versteht. Ergeben sich aus diesem Zugriff fraglos erhellende Detailstudien, so hat er doch seinen inhaltlichen Preis, weil er im Blick auf die bebaute Umwelt allgemeine historische Entwicklungen voraussetzt, anstatt sie aus dem Blickwinkel der zu bebauenden Umwelt prozessual zu untersuchen. Die Annahme, dass sich Wiederaufbautätigkeit entfaltete, »when international relations had been sufficiently restored« (S. 17), setzt dort chronologische Sukzession voraus, wo der Fokus auf Überlappungen und wechselseitigen Durchdringungen liegen sollte. Kritisch zu bewerten ist auch die Überbetonung eines zentralen, gleichsam ausstrahlenden westeuropäischen Kernlands des »Revival«, das Beispiele aus anderen europäischen Regionen eher marginalisiert, anstatt ihnen eigene Gültigkeit zu verleihen oder sie in alternativen regionalen Bezügen zu verorten. Vielversprechend erscheint es deshalb im Sinne von Pierre Purseigles erhellendem Beitrag, Phänomene des physischen Neuanfangs künftig als »Synekdoche« (S. 41) zu begreifen, die zentrale politische, wirtschaftliche und kulturelle Entwicklungen nach dem Ersten Weltkrieg nicht voraussetzt, sondern einschließt.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Anna Karla, Rezension von/compte rendu de: Luc Verpoest, Leen Engelen, Rajesh Heynickx, Jan Schmidt, Pieter Uyttenhove, Pieter Verstraete (ed.), Revival after the Great War. Rebuild, Remember, Repair, Reform, Leuven (Leuven University Press) 2020, 354 p., ISBN 978-94-6270-250-9, EUR 29,50., in: Francia-Recensio 2021/4, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2021.4.85144