Wissenschaftliche Gesellschaften, insbesondere die großen Akademien in London und Paris, gehören zu den seit langem und intensiv untersuchten Themen der internationalen Wissenschaftsgeschichte der Frühen Neuzeit. Dennoch, so führt Mitherausgeberin Giulia Giannini einleitend – und wie der Band erweist – zu Recht aus, sind certain aspects und bestimmte europäische Akademien dennoch untererforscht geblieben. Das eineinhalbseitige preface Gianninis formuliert als Ziel der Publikation, eben diese Aspekte herauszuarbeiten. Vorweg angemerkt sei, dass dem englischen Verständnis von science entsprechend, der Schwerpunkt des Interesses hier bei jenen Sozietäten liegt, die sich der Erforschung und Verbreitung von natural knowledge widmeten.

Zehn Aufsätze wurden unter im Vorwort nicht weiter explizierten Überschriften drei Hauptteilen zugeordnet. Unter dem Stichwort »Research in Institutional Setting« hebt im ersten Hauptteil zunächst Mitherausgeber Mordechai Feingold, gegen verbreitete Meinungen aus der Akademieforschung, erneut die Bedeutung der beiden englischen Universitäten (»Oxbridge«) in der Herausbildung moderner Naturwissenschaften hervor. Sein Aufsatz »Between Teaching and Research: The Place of Science in Early Modern English Universities« unterstreicht, dass universitäre Inhalte und intellektuelle Aktivitäten sich mit denen der Akademien überschnitten.

Eine Aufarbeitung der breiten Historiografie zur Geschichte der Pariser Académie Royal speziell unter dem Paradigma des spacial turn unternimmt im nächsten Beitrag Stéphane Van Damme. »The Academization of Parisian Science (1660–1789): Review Essay on a Spatial Turn« situiert deren Entstehung und Etablierung in vielfältigen städtisch-lokalen, aber auch überregionalen und internationalen Umfeldern und Netzwerken.

Mit Hilfe von Pierre Bourdieus Kapitaltheorie untersucht Pietro Daniel Omodeo Korrespondenzen dreier Astronomen (»Asymmetries of Symbolic Capital in Seventeenth-Century Scientific Transactions. Placentiunus’s Cometery Correspondence with Hevelius and Lubieniecki«). Ungleiche Zugänge zu internationaler Wahrnehmung und Anerkennung schränkten schlecht vernetzte Gelehrte ein; die Zirkulation von Wissen wurde zunehmend durch die großen Akademien kontrolliert.

Im zweiten Hauptteil, »Founding and Shaping Scientific Institutions«, führt zunächst Giulia Giannini (»An Indirect Convergence between the Accademia del Cimento and the Montmor Academy: The ›Saturn dispute‹«) anhand der titelgebenden astronomischen Debatte aus, in welchem Maße die Kommunikation zwischen beiden Sozietäten bzw. deren Unterbrechungen von konkreten Aktivitäten in den Netzwerken einzelner Gelehrter abhingen.

Luís Miguel Carolinos Aufsatz »The Edifying Science. Academies, Courtly Culture and the Patronage of Science in Early-Modern Portugal« stellt die in der internationalen Akademiegeschichte wenig bekannte Academia real da História Portugesa vor und zeigt, dass hier anders als etwa in den großen nordeuropäischen Akademien die Nähe der Akademiegründer und -mitglieder zum Königshof nicht mit Spezialisierung, sondern mit einer universalistischen Ausrichtung einherging.

Das mit der Pariser Académie Royal eng verbundene Observatorium ist Thema des Beitrags von Delia Deias (»The Paris Observatory in the Early Modern Ecosystem of Knowledge [1667–1712]«). Dessen informelle, durch höfische, religiöse und diplomatisch-politische Interessen strukturierten règles de vie beeinflussten auch die Arbeitsformen der frühen königlichen Akademie.

Ebendiese vergleichen im Anschluss Aurélien Ruellet und François Mallet mit der Londoner Royal Society (»The Early History of the Paris and London Academies: Two Paths Towards the Institutionalization of Science«). Die Autoren kommen u.a. zum Ergebnis, dass beide Einrichtungen durch Formen einer aristocratic civility geprägt wurden, allerdings in je spezifischer Ausprägung.

Im dritten Hauptteil »Making and Reporting Experiments: Scientific Styles and Publishing Policies« stellt zuerst Vera Keller (»Professionalizing Doubt: Johann Daniel Major’s Observation ›On the Horn of the Bezoardic Goat‹, Curiosity Collecting, and Periodical Publication«) an einem Fallbeispiel für die Akademieforschung insgesamt aufschlussreiche Übergänge von der gelehrten Monografie zum wissenschaftlichen Periodikum an der bisher international noch wenig beachteten Academia Naturae Curiosorum vor. Hier lasse sich der Wandel erkennen von einer»vernacular culture of curiosity« zu kritisch-skeptischen »professionalizing scholarly practices«.

Einen Vergleich wissenschaftlicher Arbeitspraktiken bietet Michael Bycroft (»Experiments on Collections at the Royal Society of London and the Paris Academy of Sciences, 1660–1740«), der ältere Kontrastierungen der beiden großen Sozitäten teilweise in Frage stellt. Auf französischer Seite identifiziert er eine »material-driven experimentation«, auf der englischen dagegen eine stark durch den Gebrauch von Instrumenten bestimmte experimentelle Methodik.

Noah Moxham (»The Uses of Licensing: Publishing Strategy and the Imprimatur at the Early Royal Society«) arbeitet die uneinheitliche, teils kontingente Veröffentlichungspraxis der mit Vergabe des Imprimaturs privilegierten frühen Londoner Akademie heraus. Tatsächliches »producing« und publizistisches »promoting of natural knowledge« fielen hier oft weit auseinander.

Nicht mit einem eigentlichen Kommentar zu den Vorträgen, sondern in thesenartigen Überlegungen zu Definition, Entstehung, Wandel und Ende der Akademien bis ins 19. Jahrhundert runden Jürgen Renn und Florian Schmaltz (»Summarizing Commentaries – Institutions and Knowledge Systems: Theoretical Perspectives«) auf vier Seiten den Band ab.

Sämtliche Beiträge argumentieren auf hohem Niveau und bieten interessante Befunde und Einsichten, oft auch Anregungen für weitere Forschung. Ein gewisser Vorbehalt verbleibt bezüglich der in der Einleitung nicht weiter explizierten Verwendung der Begriffe »institution« bzw. »institutionalisation«, die zudem faktisch weitgehend auf Akademien und Universitäten eingegrenzt bleiben. Feingold z.B. rechnet, um sein Argument zu stützen, z.T. außeruniversitäre Aktivitäten von universitätsgebildeten Gelehrten den Universitäten selbst zu. Am deutlichsten wird bei Van Damme, aber auch in mehreren anderen Beiträgen des Bandes, dass es tatsächlich eine Vielfalt von »places and spaces« gab, in denen und aus denen heraus sich frühneuzeitliche Naturwissenschaften formierten. Doch unter der Fokussierung auf Universitäten und Akademien erscheinen diese weitgehend nur als Funktion von zentralisierter Institutionalisierung. Wie die Social and Cultural History der letzten gut drei Dekaden gezeigt hat, brachten aber die für die großen Akademien vielerorts unabdingbaren Werkstätten, Handelshäuser, Haushalte, Salons, Gärten und Hospitäler usw. oder auch die globalen, teils kolonialen Kontakträume durchaus eigene, oft auch formal organisierte Wissensformen und Wissenspraktiken hervor. Eine übergreifende Reflexion, etwa mit Hilfe eines erweiterten Institutionenbegriffs, hätte hier die Möglichkeit eröffnet, solche Räume in ihrem Charakter als eigenständige »Wissensinstitutionen« zu problematisieren und das Gesamtbild zu erweitern.

Dessen ungeachtet ist die Lektüre des Bandes sowohl an Spezialwissen, als auch an der komplexen Entstehungsgeschichte früher (Natur-)Wissenschaften insgesamt Interessierten sehr zu empfehlen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Monika Mommertz, Rezension von/compte rendu de: Giulia Giannini, Mordechai Feingold (dir.), The Institutionalization of Science in Early Modern Europe, Leiden (Brill Academic Publishers) 2019, XII–301 p., 2 ill. (Scientific and Learned Cultures and Their Institutions, 27), ISBN 978-90-04-41686-4, EUR 115,00., in: Francia-Recensio 2022/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.1.87432