Es ist bestechend, welch erhellenden Zugang Nicolas Schapira für seine Studie über die Techniken politischer Macht im frühneuzeitlichen Frankreich wählt: die Betrachtung der nahezu omnipräsenten, aber kaum näher betrachteten Sekretäre. Genauer muss man wohl formulieren, dass Schapira die Dienstbeziehung zwischen Sekretären und ihren Herrschaften ins Zentrum seiner Analyse stellt. Er erfragt mithin die spezifischen Funktionsweisen von Politik und Gesellschaft über die sozialen Mikrostrukturen, die durch das ungleiche Arbeitspaar Herr und Sekretär gebildet wurden.

Angesichts der Tatsache, dass Sekretäre keine geschlossene Gruppe darstellten, dass sie von den Staatssekretären (Ministern) über zahlreiche Amtsinhaber bis zu einfachen Privatsekretären höchst unterschiedlich figurierten, ist das keine einfache Aufgabe. Hinzu kommt, dass das Untersuchungsfeld zeitlich und systematisch nahezu unüberschaubar ist. Schapira macht daraus eine Tugend und hält sich nicht lange bei einer klassischen Sozialgeschichte auf, sondern interessiert sich vielmehr für den Tätigkeitskern von Sekretären: die Umgangsweisen mit Schrift. Mit diesem originären Zugriff ist es ihm nun möglich, ganz unterschiedliche Akteure, Phänomene und Quellen über die Papiertechniken zusammen zu führen, die in der Forschung meist gut getrennte Bereiche darstellen: Wissens-, Archiv- und Verwaltungsgeschichte, Sozialgeschichte der Dienstboten, Politik- und Diplomatiegeschichte, Geschichte der Geschichtsschreibung. Damit pflügt er eine inspirierende Schneise in zahlreiche wohl bestellte Forschungsfelder und ermöglicht grundlegende und neue Einsichten in das Funktionieren frühneuzeitlicher Gesellschaft.

Dabei könnte gerade die anthropologische Grundannahme, dass die hierarchische Dienstbeziehung zwischen Herr und Sekretär die Basisstruktur politischen Handelns gewesen sei, als dualistisch und reduktionistisch kritisiert werden. Schapira aber betont gerade das Zusammenspiel dieses Arbeitspaars, und erst der reduzierte Blick darauf ermöglicht seine Einbettung in immer wieder neue Kontexte und soziale Formationen, von der Hausdienerschaft über administrativ-kollegiale Arrangements, Ehefrauen, die Rolle von Familie und Erben bis hin zu Phänomenen der Stellvertretung, zur höfischen Gesellschaft und zu medialen Öffentlichkeiten.

Aus diesen vielfältigen Perspektivierungen der Figur des Sekretärs zieht Schapira eine erste These. Viele Sekretäre seien nicht nur im Dienst eines Herrn gewesen, sondern hätten auch andere Tätigkeiten ausgeübt, auch bei anderen Herren – und diese mehrfachen Beschäftigungen bedingten einander, gerade weil die sozialen Hierarchien dabei unklar wurden. Das Aufgabenspektrum habe das Schreiben von Briefen umfasst, aber ebenso andere Schreibtätigkeiten, die Finanzverwaltung, juristische Beratung oder die Aufsicht über die übrige Dienerschaft. Die Arbeit des Sekretärs sei mithin notwendig nicht professionalisiert gewesen, nicht formalisiert, sondern abhängig von der Beziehung zum Herrn. Am Beispiel des Aufstiegs Colberts vom Sekretär zweier Herren zum Minister verdeutlicht Schapira die grundlegende Bedeutung von Vertrauen und Loyalität in der Dienstbeziehung und innerhalb des politischen Zentrums (Kap. 5).

Schapira wendet diese Hinweise nun auf die Politik- und Verwaltungsgeschichte an (Kap. 6) und argumentiert damit gegen das Webersche Modell der Modernisierung und Bürokratisierung des Staates. Überzeugend zeigt er, dass die Dienstlogik durch die Sekretäre gerade auch in den Verwaltungen wirkte. Und er wird nicht müde zu betonen, dass diese Sicht auf Politik und Verwaltung auch über das 18. Jahrhundert hinaus von Belang ist: soziale Nahbeziehungen seien die anthropologischen Elementarstrukturen der Macht. So verdanke sich der Sekretär auch nicht einfach dem Fortleben älterer Elemente in der neuen Bürokratie, sondern er sei erst das Produkt von Bürokratie, sei »eines der Gesichter der Mikrophysik der Macht« in der Moderne (S. 286).

In der Diskussion verschiedener Formen von Stellvertretung (Kap. 8) zeichnet Schapira nun nach, dass die so erlangten Handlungsspielräume nicht individualistisch missverstanden werden sollten: der Sekretär als Akteur oder nur als Befehlsempfänger. Sondern Herr und Sekretär als Paar zusammen bilden erst die Grundstruktur politischer Handlungen. Baluze als Sekretär konnte beispielsweise in diplomatischen Verhandlungen seinen abwesenden Herrn de Marca anwesend machen, ihn und seine Schriften politisch wirksam werden lassen, ohne hingegen selbst zu verhandeln. Sekretäre konnten auch dazu benutzt werden, Distanz herzustellen oder aber auch Nähe. Durch ihren und ihrer Herren Gebrauch von Schrift (ein ganzes Arsenal an Möglichkeiten des Briefzeremoniells bietet sich dar) konnten unzählige Bedeutungsnuancierungen hergestellt werden. Kurz: Erst dieses Arbeitspaar habe eine höchst vielfältige Handlungsdifferenzierung erlaubt, die für die Machtausübung so wesentlich war.

Das Schreiben selbst, das der Briefe, Protokolle, Journale, Memoiren, Urkunden etc., thematisiert Schapira immer wieder und führt seine Thesen dabei jeweils ein Stück weiter. So kodifiziert ein Schriftstück erscheinen mag – in Form und Stil habe es zahlreiche Spielräume gegeben, die zeigen, wie Sekretäre dadurch politisch handeln (Kap. 7). Nach dem Tod ihrer Herren hätten sie weiterhin die Verfügungsgewalt über die Papiere gehabt und diese genutzt, auch gegen Widerstände aus der Familie. Die Dienstbeziehung endete nicht mit dem Tod, in Loyalität wurde weiter das Andenken des Herrn gestaltet – und damit ein eigenes Profil geschaffen (Kap. 9). Und schließlich hätten Sekretäre als Zeithistoriker das produziert, was die heutigen historischen Quellen sind (Kap. 10). Sie haben die Papiere geordnet, kopiert, kommentiert, gesammelt, archiviert, mit Bedeutung als »Staatspapiere« aufgeladen – zum Ruhme ihrer Herren. Die so produzierten Dokumente und Archive seien eben nicht nur einem internen administrativen Sinn gefolgt, sondern seien hochgradig interessengeleitet. Schapira führt den Gedanken noch weiter: Sekretäre schufen aus Loyalität zu ihren Herren erst die Idee von Geschichtsschreibung als Staatsgeschichte aus der Perspektive des Ruhms ihrer großen Herren – Staatsgeschichtsschreibung aus dem Geist des Dienstes.

Aber das kann nur der Versuch einer sehr ungenauen Zusammenfassung eines Buches sein, das durch Beobachtungsreichtum und Thesenfülle begeistert. Die zehn Kapitel sind nicht chronologisch, sondern systematisch miteinander verknüpft. Sie bestehen aus verdichteten Miniaturen, mit denen Schapira in knappen Strichen einzelne Herr-Sekretär-Formationen zeichnet. Dabei verliert er sich nicht im Anekdotenhaften, sondern bleibt analytisch ausgerichtet. So etwa die Szene in der Kammer der Königin, in der ein Sekretär den frömmelnden Entwurf einer lettre patente vorliest, der König hinzu kommt und den Entwurf erzürnt zerreißt mit den Worten, dass er in einem solchen Dokument als König, nicht als Jansenist zu sprechen habe – was ein Hinweis auf die Politik des literarischen Stils selbst in scheinbar formellen Dokumenten ist (S. 200f.).

Schapira verknüpft sehr genaue Beobachtungen am Material mit weiterführenden Fragen, die er dann weiter konturiert, ohne sie mit einer eindeutigen Antwort vorschnell abzuschließen. So etwa, wenn er anhand der Dreiecksbeziehung zwischen Colbert (als Sekretär) und seinen beiden Herren Le Tellier und Mazarin das Problem des Vertrauens in den Zentren der Macht verbindet mit Bemerkungen zu Colberts Archivierungspraktiken (S. 159–163). Das zu lesen ist ein seltenes intellektuelles Vergnügen. Das ist Geschichtswissenschaft auf höchstem Niveau, die sich eben nicht der schnellen Pointe und These hingibt, sondern das Quellenmaterial und die Phänomene öffnet für tiefergehende Problemstellungen und Fragehorizonte. Das regt zum produktiven Nach- und Weiterdenken an.

Zum Beispiel darüber, wie sich der Alltag einfacher Sekretäre und Schreiber gestaltete, der ja häufig durch Finanzverwaltung geprägt war (ein Bereich, den Schapira nur erwähnt). Welche Logiken ließen sich nun hier erkennen, in den Rechnungen und Rechnungsbüchern, auch unterhalb der Ebene zentraler Macht und »staatstragender« Papiere? Was sagen die Zahlen und Worte über Machtausübung und Ideologie?

Da im Buch viel die Rede ist von der logique domestique in Politik und Verwaltung, könnte man auch über Haus und Haushalt (der Herren wie der Sekretäre) als Sozialgefüge nachdenken. Schapira bietet einige wenige Hinweise dazu, die aber in anderer Hinsicht argumentativ eingeführt werden, so etwa eine Sekretärswitwe des Prince de Condé, die an der Seite ihres Mannes 25 Jahre lang eigenständig fast alle Rechnungen geführt hatte (S. 249f.). Diese Integration nicht nur von Sekretären, sondern von ganzen Haushalten in die Verwaltung scheint keine Ausnahme gewesen zu sein1, und so wäre ihre Untersuchung wohl ergiebig gerade für die Frage nach den sozialen Gefügen, in denen sich Machtausübung, Ideologie und Politik realisiert.

Ebenso drängt sich die Frage nach den weiblichen Äquivalenten der Herren und Sekretäre auf – gab es sie, agierten sie unterschiedlich, und welches Bild der Machttechniken würde sich von da aus ergeben?

1 Vgl. etwa Maria Ågren, The State as Master: Gender, State Formation and Commercialisation in Urban Sweden, 1650‑1780, Manchester 2017 (Gender in History).

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Sebastian Kühn, Rezension von/compte rendu de: Nicolas Schapira, Maîtres et secrétaires (XVIe–XVIIIe siècles). L’exercice du pouvoir dans la France d’Ancien Régime. Préface de Roger Chartier, Paris (Albin Michel) 2020, 336 p., ISBN 978-2-226-45305-1, EUR 24,00., in: Francia-Recensio 2022/1, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.1.87439