Die Monografie von Dominique Adrian beschäftigt sich mit chartes constitutionnelles, d. h., nach deutscher Wissenschaftsterminologie, mit Verfassungsurkunden. Wie der Autor zu Recht feststellt, ist die Übersetzung dieses Begriffs, eines bewussten Anachronismus (»anachronisme conscient«, S. 117), ins Französische aufgrund der spezifischen Konnotationen und jeweiligen Forschungstraditionen der beiden Sprachgemeinschaften nicht unproblematisch. Entsprechendes gilt für die übrige verfassungsgeschichtliche Terminologie. In den meisten Fällen geht es bei den in diesen Dokumenten festgehaltenen Vorgängen um die Einführung der sog. Zunftverfassung in süddeutschen Städten – oder zumindest um die Definition der politischen Partizipationsrechte der Zünfte im 14. und 15. Jahrhundert. Die untersuchten Quellen selbst greifen allerdings nur relativ selten auf den Begriff der »Verfassung« im Singular oder Plural zurück. Sie sprechen auch von policey, regiment, ordinancie, etc.

Der geografische Rahmen der Studie, die sich auf einige Dutzend Texte stützt, bezieht sich auf einen Teil Süddeutschlands, vor allem auf den in den beiden heutigen Bundesländern Baden-Württemberg und Bayern gelegenen ober- und niederschwäbischen Raum und das Allgäu, bezieht aber auch München mit ein. Behandelt werden nicht nur Reichsstädte, sondern auch landesherrliche Städte wie München, Freiburg im Breisgau oder Mosbach. Letzteres wurde zunächst seit 1330 an die Pfalzgrafen bei Rhein verpfändet und schließlich, 1362, in deren Territorium eingegliedert (S. 56). Diese Städte unterscheiden sich in vieler Hinsicht deutlich von den Reichsstädten der Region. In München (1403), Mosbach (1435) und Freiburg (1454) wurden die Verfassungsurkunden vom Stadtherrn erlassen und bezogen sich auf eine patrizische Stadtregierung. Die Städte des Herzogtums Bayern, insbesondere die Residenzstädte, durchliefen, auch durch Erbteilungen, eine besondere Entwicklung: »la présence des ducs y est nettement visible et le fait qu’aucune de ces villes n’ait participé à la vague d’introduction de régimes de métiers qui touchait les villes de l’Empire est sans doute lié à cette présence« (S. 10). Besonders intensiv behandelt werden Augsburg, Ulm, Esslingen, Konstanz, Memmingen, Reutlingen, Pfullendorf, Rottweil und Freiburg im Breisgau, aber verdienstvollerweise auch einige der sehr zahlreichen kleineren Städte oder solche, die bisher weniger im Fokus des Forschungsinteresses standen (z. B. Isny, Leutkirch, Kempten, Wangen, Weißenburg in Bayern).

Einige der Städte verfügen über mehrere, aufeinanderfolgende Verfassungsurkunden, andere kamen lange Zeit völlig ohne solche verschriftlichten Regelwerke aus. Der Blick auf Nürnberg zeigt, dass es sich dabei nicht zwangsläufig nur um kleinere oder besonders »rückständige« Städte handeln musste. Die Städte des Untersuchungsgebiets standen in regem Kontakt miteinander und tauschten sich auch über rechtliche und verfassungsbezogene Fragen untereinander aus.

Auf ein kurzes Vorwort von Pierre Monnet folgen drei große, in mehrere Unterpunkte gegliederte Kapitel zu (I.) den Texten, (II.) den Umständen ihrer Entstehung und (III.) »Systemen« (»des systèmes«). Am Ende steht eine Gesamtbilanz, die unter das zusammenfassende Stichwort zwischenstädtischer Austauschvorgänge (»circulations interurbaines«) gestellt wird. Im Anhang folgt zunächst eine aus Gründen der Übersichtlichkeit sehr wichtige Zusammenstellung der untersuchten Verfassungsurkunden der jeweiligen Städte mit Hinweisen zu bereits verfügbaren Editionen und Angaben von Archivsignaturen (S. 181f.): Augsburg (1340, 1368 I, 1368 II); Biberach (1374); Konstanz (1371, 1430); Dinkelsbühl (1387); Esslingen (1316, 1376, 1392); Freiburg im Breisgau (1248, 1293, 1392 I, 1392 II, 1454); Heilbronn (1371); Isny (1381); Memmingen (1347); Mosbach (1337, 1435); München (1403); Pfullendorf (1383); Reutlingen (1343, 1374); Rothenburg ob der Tauber (1455); Rottweil (1378); Schwäbisch Hall (1340). Diese Liste vermittelt zugleich einen Eindruck der Dichte, und der zeitlichen Konzentration, der damals in der Untersuchungsregion erfolgten Verfassungsänderungen. Die Edition der Verfassungsurkunde von Wangen vom 11. November 1381 (Stuttgart, Hauptstaatsarchiv, H 51 U892) liefert ein Beispiel. Das Buch schließt mit Hinweisen zu ungedruckten Quellen, einem bibliografischen Apparat und einem Ortsindex.

Im Zentrum der Darstellung stehen die Entstehungsbedingungen der neu erlassenen Verfassungsurkunden und die häufig damit verbundenen Umbruchssituationen. Der Wandel verlief oft friedlich und gewaltlos, konnte mitunter jedoch auch durch heftige Konflikte begleitet werden. Manche Städte versuchten, die Doppelwahl im Reich, Konkurrenzkämpfe oder Situationen des Gegenkönigtums für sich zu nutzen (Bsp. Ludwig der Bayer – zukünftiger Karl IV.). Der Autor vermittelt in diesem Zusammenhang grundlegendes Wissen über die Behandlung städtischer Unruhen und sozialer Schichtung in der deutschen Historiografie der letzten Jahrzehnte und geht auf Aspekte des Weges zur Verschriftlichung und des wachsenden Schriftgebrauchs der städtischen Kanzleien ein. Zu den großen Verdiensten der Darstellung gehört die Vermittlung von Kenntnissen zur deutschen Stadtgeschichte und -historiografie an französische Leser, die bedauerlicherweise nur noch in immer geringer werdendem Umfang über Deutschkenntnisse verfügen. In diesem Zusammenhang sind auch die Übersetzungen der oft schwierigen Terminologie sehr bemerkenswert. Die Tatsache, dass verschiedene Stadttypen und kleinere, seltener behandelte Städte mit einbezogen werden, ist sehr erkenntnisfördernd.

Der Autor stellt die These auf, die Schiedsgerichtsbarkeit der in dieser Region häufig anzutreffenden Städtebünde habe nur eine erstaunlich geringe Rolle gespielt, und kaiserliche/königliche Eingriffe seien selten gewesen. Diese Aussage lässt sich zwar für gewaltlose Entstehungsvorgänge neuer Verfassungsurkunden plausibel erklären, sie steht jedoch, zumindest wenn man weitere Akteure miteinbezieht, im Gegensatz zu Befunden neuerer, vor allem rechtsgeschichtlicher Arbeiten. In den letzten Jahren gelangten Studien zur Schiedsgerichtsbarkeit und zur Vermittlung/Mediation durch unterschiedliche Akteure zu dem Ergebnis, solche Formen der Konfliktlösung seien lange Zeit erheblich unterschätzt worden (Bsp. Arbeiten zum Aspekt von »Minne und Recht«, zur »Pluralität der Rechtsordnungen«, zu Kommissionen unter Friedrich III. [der auch auf Städter und städtische Kommissionen als Vermittler zurückgriff]). Die jüngere Forschung betont zu Recht den erheblichen städtischen Anteil an Landfriedensbünden und hat eine strenge Trennung zwischen Landfriedensbünden und Städtebünden zunehmend in Frage gestellt, bzw. den ständisch gemischten Charakter solcher sich ergänzender Organisationsformen der Friedenssicherung hervorgehoben (siehe z. B. die These von der associative political culture von Duncan Hardy). Typischerweise griffen Prozessparteien auf mehrere parallele Verfahren der Konfliktregelung zurück.

Thema des besprochenen Buches sind Verfassungsurkunden. Insoweit ist die starke Fokussierung auf diesen Quellentyp auch gerechtfertigt. Für eine umfassendere Einordnung in den Gesamtzusammenhang der Konfliktgeschichte im mittelalterlichen Reich, die sehr wünschenswert wäre, sollten jedoch weitere Quellengattungen (städtische Korrespondenz, Korrespondenz und Akten von Städte- und Landfriedensbünden, Gerichtsakten etc.), vergleichend mit einbezogen und die Ergebnisse der neueren rechtsgeschichtlichen Forschung zur Konfliktlösung stärker berücksichtigt werden. Insgesamt gesehen ist das Buch, vor allem für französische Leser, sehr interessant, besonders für Fragestellungen aus dem Bereich der Verschriftlichung und des Umgangs mit Schriftlichkeit.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Gisela Naegle, Rezension von/compte rendu de: Dominique Adrian, Les chartes constitutionnelles des villes d’Allemagne du Sud (XIVe–XVe siècle), Turnhout (Brepols) 2021, 206 p. (Atelier de recherche sur les textes médiévaux, 29), ISBN 978-2-503-58938-1, EUR 65,00., in: Francia-Recensio 2022/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.1.87443