Otto von Freising urteilte in seiner Chronik, Könige hätten in besonderem Maße den Tod und damit Gottes Gericht fürchten müssen. Sündhaftes Handeln sei ihnen qua Amt vorbestimmt gewesen1. Manuel Kamenzin greift diese Passage zu Beginn seiner Studie auf und bemerkt spitzfindig, dass die mittelalterlichen Herrscher nicht nur das göttliche Urteil, sondern besonders das ihrer Zeitgenossen, allen voran das der Chronisten zu fürchten hatten (S. 13). Hiermit wird auch das maßgebliche Ziel der Untersuchung vorgegeben: Die Herausarbeitung »narrativer Strategien« im Umgang mit den Toden der römisch-deutschen Könige und Kaiser zwischen 1150 und 1349 durch die zeitgenössische Historiografie.
Der Themenkomplex Tod und Sterben ist in der mediävistischen Forschung kein neues Feld. Im Fokus der Untersuchungen standen allerdings meist die Grablegen, Beisetzungen und Memoria der Herrscher2. Der Umgang mit dem Leichnam wurde durch die Arbeit von Romedio Schmitz-Esser ausführlich dargelegt3. Eine systematische Untersuchung narrativer Strategien in der Überlieferung der Herrschertode hat bislang nicht stattgefunden, und so füllt die vorgelegte Studie zweifelsohne eine Forschungslücke4.
Die Untersuchung erfolgt auf der Grundlage von zeitgenössischen historiografischen Zeugnissen sowie Urkunden, Testamenten und Briefen. Soweit vorhanden sollen diese »mittelbaren« Zeugnisse durch unmittelbare, d. h. die Untersuchungen der Leichname auf naturwissenschaftlicher Basis, ergänzt werden (S. 14). Letztere werden zwar in den Hauptteil eingewoben, aber erst im Anhang gesondert behandelt. Dieser hätte der Studie vorangestellt werden können.
Die knapp 500 Seiten starke Untersuchung (ohne Verzeichnisse) wird in drei Zeiträume eingeteilt: Die Stauferzeit, das Interregnum sowie die Zeit der Habsburger, Luxemburger und Wittelsbacher. Thematisch ist sie in vier Hauptkomplexe gegliedert: Hinführung (S. 35–88), Sterben und Tod (S. 89–390), Ergebnisse (S. 391–407) und Anhang (S. 409–477), dem ein Abkürzungs-, ein Quellen- und Literaturverzeichnis sowie ein hilfreiches Personen- und Ortsregister folgen.
Die »Hinführung« fragt, was den Zeitgenossen als guter und was als schlechter Tod galt. Hierzu sucht Kamenzin nach Wurzeln in antiken und frühchristlichen Schriften, die zurecht als prägend für den mittelalterlichen Umgang mit Tod und Sterben verstanden werden müssen. Größten Einfluss hatten demnach die Transitus-Berichte über den Tod Marias (S. 38) sowie die Schriften der Kirchenväter (S. 35). Der mittelalterliche Deutungshorizont zur Bewertung des Sterbens ist nicht präziser zusammenzufassen, als es Augustinus in seiner Predigt »De disciplina« vermochte: Es könne nicht schlecht sterben, wer gut gelebt habe5. In einem schnellen Ritt durch das frühere Mittelalter, von Karl dem Großen über die Liudolfinger bis hin zum Investiturstreit6, sucht Kamenzin nach einer »Anzeichenliste narrativer Strategien« (S. 29) und wird fündig: Es wird deutlich, wie in übereinstimmenden, aber unterschiedlichen Berichten eines Todes verschiedene Akzente bei der Berichterstattung gesetzt werden konnten. So resümiert Kamenzin, dass bereits im Frühmittelalter narrative Strategien genutzt wurden, und stellt treffend fest, dass in den Berichten sowohl christliche als auch spätantike Herrschervorstellungen nebeneinander greifbar seien (S. 75). Die wichtigsten Aspekte für die Bewertung des Todes waren der Ort, der Zeitpunkt, Vorzeichen und die Art des Sterbens.
Vor den eigentlichen Hauptteil, »Sterben und Tod«, setzt Kamenzin eine Fallstudie zu den Quellen zum Tod Heinrichs VII an und nutzt diese, um »Quellengattungen in ihrer Aussagekraft, ihrem Zusammenspiel und ihrer Gebundenheit an die Entstehungsumstände vorzustellen« (S. 76). Dies ist eine nicht zu unterschätzende Erkenntnis: Weniger die zu Lebzeiten erbrachten Taten des Verstorbenen prägten deren Sterbedarstellungen als vielmehr die Deutung der eigenen veränderten Zeit, aus der heraus die Berichte verfasst wurden.
Im eigentlichen Hauptteil ordnet Kamenzin die Sterbedarstellungen in Tode ohne und Tode durch Gewalteinwirkung. Er geht chronologisch vor und stellt die einzelnen Herrscher und Berichte über deren Sterben dar. Nach Darlegung von historischem Kontext, Überlieferung und Quellenbestand folgen die verschiedenen Darstellungen und deren Wertung. Kamenzin gibt wieder, was die Quellen über mögliche Todesursachen aussagen, ohne dabei jedoch in die Falle zu tappen, selbst zu diagnostizieren. Im Fokus steht die Herausarbeitung der »narrativen Strategien«, welche trefflich gelungen ist und durch eine Fülle von Quellen und Forschungsliteratur untermauert wird.
In seiner konzisen und wohldurchdachten Zusammenfassung der Ergebnisse (S. 390–407) überzeugen die zentralen Thesen, mit denen die Studie abschließt. Aufschlussreich ist die Beobachtung, besonders detaillierte Sterbedarstellungen seien wohl eher auf »narrative Überformung« als auf besondere »Realitätsnähe« zurückzuführen (S. 403). Sterberiten seien allgemein bekannt gewesen und in »lockerer Form« ständig neu interpretiert worden. Ob deren Durchführung allerdings, so wie sie in der Historiografie beschrieben wurden, auch konsequent umgesetzt wurden, dürfe hingegen bezweifelt werden (S. 405), da diese in erster Linie genutzt wurden, um eine »Selbstinterpretation des Zeitalters« zu liefern (S. 406). Letzteres zeigt, dass die Erkenntnisse dieser profunden Studie facettenreicher sind, als es der schlicht gewählte Titel vermuten lässt.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Mike Janßen, Rezension von/compte rendu de: Manuel Kamenzin, Die Tode der römisch-deutschen Könige und Kaiser (1150–1349), Ostfildern (Jan Thorbecke Verlag) 2020, 586 S. (Mittelalter-Forschungen, 64), ISBN 978-3-7995-4385-9, EUR 68,00., in: Francia-Recensio 2022/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.1.87460