Die sehr schnell zum Druck gebrachte Göttinger Habilitationsschrift von 2019 widmet sich einem noch wenig untersuchten Aspekt der – in jüngerer Zeit ansonsten schon mehrfach behandelten – Exkommunikation, indem sie die Laien in den Blick nimmt, besonders nach deren Reaktion fragt und damit – vor dem Hintergrund der Theorie – die Praxis des Kirchenausschlusses untersucht. Das setzt eine hinreichend gute Quellenlage voraus, wie sie im 13. Jahrhundert zumindest in Einzelfällen vorliegt, die aber gleich strukturell vergleichend ausgewertet werden. Aus einem Überblick über die vor den Papst oder Kaiser gelangten Fälle, die bereits vielfältige Gründe für Exkommunikationen erkennen lassen, werden drei besonders gut dokumentierte, auch politisch motivierte Fallbeispiele von Fürsten ausgewählt, denen durchweg Konflikte vorangingen: die Exkommunikation des Wittelsbacher Herzogs Otto II. von Bayern, des Herzogs Albrecht I. von Braunschweig und des Grafen Meinhard II. von Tirol, denen vergleichend städtische Beispiele aus Worms und Köln an die Seite gestellt werden. Eine theoretische Grundlegung im zweiten Abschnitt fragt – im Sinne der Fragestellung vielleicht zu sehr an das ideologische »Drei-Stände-Modell« angelehnt – nach der Absonderung von Klerus und Laien, um sich bei der Frage nach der Motivation exkommunizierter Laien auf Honneths Modell einer »Kreativität des Handelns« und eines Kampfes um Anerkennung zu stützen.

Der dritte Abschnitt gibt die – bisher am besten erforschten und bekannten – kirchenrechtlichen Grundlagen der Exkommunikation aus den Sammlungen des 12. und 13. Jahrhunderts, vor allem dem Dekret Gratians, aber auch aus theologischen Stellungnahmen, wieder. Hier wird, im Gegensatz zur Forschung, nicht streng zwischen Exkommunikation und Anathem, aber verschiedenen Stufen unterschieden. Vieles bleibt – vielleicht bewusst – unbestimmt, geregelt wurde aber die rituelle Form. Die Exkommunizierten wurden dabei in die Eigenverantwortung genommen. Der Norm schließt sich ein Überblick über das Verfahren und die Folgen (keine Messe, keine Bestattung) an. Den Exkommunizierten blieb die Möglichkeit der Appellation. Die Frage nach der Umsetzung der Normen in der praktischen Anwendung leitet zur eigentlichen Untersuchung über.

Der vierte Abschnitt ist den Reaktionen der Exkommunizierten gewidmet. Einige appellierten an den Papst und verfassten eine Rechtfertigungsschrift; regional konnte man päpstliche Schutzbriefe vor Exkommunikation nutzen, die Einzelnen vor allem im Zusammenhang mit den Papst-Kaiser-Konflikten verliehen worden waren. Indem andere Instanzen in die Appellation einbezogen wurden und diese publik gemacht wurde, gewannen die Exkommunizierten Handlungsfreiheit, zumal sie oft breite Unterstützung fanden. Grenzen des Verfahrens lagen darin, dass man über das kirchenrechtliche Prozedere auch einfach hinweggehen und sich an den König oder an Schiedsgerichte wenden konnte, oder Exkommunizierte oft jahrelang im Bann lebten, ohne dass soziale Folgen erkennbar wären; manchmal (wie in Köln) reagierten sie auch aggressiv und gaben den bischöflichen Forderungen nicht nach, wenn kein Konsens zu erreichen war. In der Regel aber suchte man den Rechtsrahmen zu nutzen, um, gegebenenfalls durch Vortäuschen, die eigene Würde zu wahren und die Absolution zu erlangen. Das Handeln der Exkommunizierten war dabei situationsbedingt. Trotz solcher Ambivalenzen wendet sich Mersch aber gegen die These eines Versagens oder »Stumpfwerdens« der Exkommunikation durch zu häufige Anwendung und meint, dass der Kirchenbann nicht als solcher missachtet wurde. Darüber ließe sich streiten. Doch kann sie jedenfalls nachweisen, dass im Verlauf des 13. Jahrhunderts kein linearer Bedeutungsverlust der Exkommunikation erkennbar ist.

Kapitel 5 geht dann den religiösen Praktiken der Exkommunizierten nach, die weiter Stiftungen tätigten (deren Zweck zur Absolution jedoch nirgends nachweisbar ist) und wohl auch Priester fanden, die ihnen weiterhin die Messe lasen. Das bischöfliche Vorgehen konzentrierte sich folglich oft mehr auf solche ungehorsamen Priester als auf die exkommunizierten Laien selbst, doch wurde in Köln wegen Missachtung des Verbots das Interdikt über die ganze Stadt verhängt. Dennoch, so Mersch, habe man die Exkommunikation nicht grundsätzlich missachtet, sondern im konkreten Fall nicht anerkennen wollen. Auf vielen Wegen habe man die Lösung vom Bann gesucht, durch Reue, materielle Wiedergutmachung (die oft wichtiger war als sichtbare Reue) oder Versprechungen. Zwischen Buße und Beichte, Privatheit und Öffentlichkeit, Innerlichkeit und Äußerlichkeit habe es aber keinen scharfen Kontrast, sondern eine schwer durchschaubare Grauzone gegeben. Ein Tod im Bann hatte eine Begräbnisverweigerung zur Folge, doch auch hier bemühte man sich, das zu umgehen oder eine posthume Lösung zu erreichen.

Das Ergebnis, dass die Exkommunikationen keine feste Trennlinie zwischen Geistlichkeit und Laien bewirkten, wirft in Kapitel 6 (»Wahlverwandtschaften«) die Frage nach dem Verhalten der Geistlichen auf. Exkommunizierte Laien nutzten Kleriker als Prokuratoren (das war erlaubt) und Vermittler (wie, als berühmtesten Fall, Albertus Magnus in Köln). Dass Geistliche Kontakt zu Exkommunizierten hatten, lässt sich vielfach beobachten; auch die Kölner Geistlichen agierten weiter mit den exkommunizierten Bürgern. In solchen Kontakten sieht Mersch erneut keine »standesübergreifende Widersetzlichkeit«. Ein Umgang der Geistlichen mit Gebannten war vielmehr unausweichlich und unentbehrlich. Man beging damit jedoch keinen bewussten Bruch des Umgangsverbots.

Der Rückblick über »Exkommunizierte Laien außerhalb und innerhalb der ecclesia« im siebten und letzten Kapitel stellt noch einmal klar, dass man in den Exkommunikationen und in den Reaktionen der Laien darauf weder eine Dichotomie von Laien und Klerus noch eine Konfrontation von Religion und Politik sehen sollte. Die Gegenwehr war kein »transpersonaler sozialer Kampf«, sondern erwuchs aus sozialen Zusammenhängen in »kreativem Handeln« einer grundsätzlich konfliktbereiten Gesellschaft, die nicht jede Exkommunikation anerkannte, sondern das Potenzial der Gegenwehr mit großem Aufwand, einschließlich der Einbeziehung der Öffentlichkeit, nutzte, nicht selten aber auch einfach »ausharrte«. Exkommunikationen führten weder zu einem Chaos noch beendeten sie religiöse Handlungen und Stiftungen der Exkommunizierten. Deren Verhalten blieb weithin in den legalen Bahnen. Allenfalls ließe sich noch stärker betonen, dass dazu lieber alle Mittel ausgeschöpft wurden als »klein beizugeben«.

An der sehr gründlichen und überzeugenden Arbeit ist kaum etwas auszusetzen. Die behandelten Fälle werden ausgiebig vergleichend analysiert, die bisherige Literatur ist umfassend verwertet. Ein Vergleich mit Ergebnissen der jüngst mehrfach behandelten frühmittelalterlichen Exkommunikationen hätte die Situation im 13. Jahrhundert vielleicht noch etwas schärfer herausstellen können. Erstaunlich wenig lesen wir über die – oft politischen – Gründe für den Bann. Grundsätzlich bleibt zu den dargelegten Ergebnissen allerdings auch zu bedenken (und hätte wohl etwas stärker reflektiert werden müssen), dass die besonders gut dokumentierten Exkommunikationen durchweg spektakuläre Fälle und daher nicht zwingend repräsentativ für den ungleich häufigeren »Normalfall« sind. Von solchen Einschränkungen abgesehen, hat Mersch aber die bisher ausführlichste und beste Arbeit zum Thema vorgelegt und mit dem Blick auf die Laien und ihre Reaktionen eine neue Perspektive eröffnet.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Hans-Werner Goetz, Rezension von/compte rendu de: Katharina Ulrike Mersch, Missachtung, Anerkennung und Kreativität. Exkommunizierte Laien im 13. Jahrhundert, Ostfildern (Jan Thorbecke Verlag) 2020, 581 S., 3 Abb. (Mittelalter-Forschungen, 65), ISBN 978-3-7995-4386-6, EUR 75,00., in: Francia-Recensio 2022/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.1.87466