Die handschriftliche Überlieferung antiker und mittelalterlicher Texte setzt in der Regel erst geraume Zeit nach ihrer Entstehung ein. Über die mehr oder minder zahlreichen Etappen, die vor den ältesten Textzeugen liegen, lassen sich aus der Gestalt der Text selbst, aus charakteristischen Fehlern, Lücken oder Marginalien zumindest Vermutungen anstellen, während die Akteure meist im Dunkeln bleiben. Diese Lücke hilft das anzuzeigende Repertorium der Subskriptionen ansatzweise schließen. Hier werden umfassend solche Einträge in Handschriften dokumentiert, ediert und kommentiert, die Auskunft geben über verschiedene Formen der Qualitätskontrolle und die zumindest näherungsweise in den Zeitraum vom 4. bis zum ausgehenden 8. Jahrhundert datiert werden können: In ihnen nennen sich die Bearbeiter nicht selten namentlich. Wie Kirsten Wallenwein mehrfach betont, möchte sie mit ihrer Arbeit, die auf eine unter der Ägide von Walter Berschin 2014 in Heidelberg eingereichte Dissertation zurückgeht, ein Vorhaben realisieren, das bereits zum Arbeitsprogramm des ersten Münchener Mittellateiners Ludwig Traube (1861–1907) gehörte. Die Arbeit entstand parallel zu einer ebenfalls auf Traube rekurrierenden paläografischen, erst 2018 gedruckten Studie über die Halbunziale von Tino Licht, auf die regelmäßig verwiesen wird1.
Kirsten Wallenwein konnte auf einen breiten Fundus von Vorarbeiten zurückgreifen, angefangen bei der klassischen Abhandlung Otto Jahns »Über die Subscriptionen«2, bis hin zu überlieferungsgeschichtlichen und kodikologischen Arbeiten jüngeren Datums, namentlich von Alan Cameron und Renate Schipke3. Anscheinend alle hier gebuchten Einträge sind anderenorts besprochen oder gedruckt worden, viele davon in der einschlägigen, aber oft ungenauen Kompilation der Benediktiner von Le Bouveret4. Das Hauptverdienst des vorliegenden Bandes ist mithin, das disparate Material versammelt und akribisch erschlossen zu haben.
Nach einer knappen Einleitung (S. 1–4) grenzt Wallenwein definitorisch ihren Gegenstand ab und referiert konzis den Stand der Forschung (S. 5–22). Als Subskriptionen bezeichnet sie Einträge in Textzeugen, die »neben der Angabe der Korrektur die Nennung mindestens einer Zusatzinformation« notwendig umfassen. »Diese Zusatzinformation kann aus einem Namen, dem Ort oder dem Datum bestehen« (S. 8). Sie beschränkt sich auf lateinische Texte, die im Zeitraum vom ausgehenden 4. bis zum späten 8. Jahrhundert in so dokumentierter Weise korrigiert wurden, wobei die Mehrzahl der Subskriptionen kopial tradiert wurde und mithin die Bearbeitungsvorgänge nicht mehr unmittelbar nachvollzogen werden können.
Dem Herzstück der Arbeit, dem eigentlichen »Corpus subscriptionum« (S. 137–321), vorgeschaltet ist ein umfängliches Auswertungskapitel über die »Orte der Textkontrolle in der Spätantike und im Frühmittelalter« (S. 23–131). Erstaunlich wenige lassen sich identifizieren (ca. 20), und es sind natürlich die bekannten Zentren Rom, Konstantinopel, Mailand, Verona, Ravenna, Neapel und Vivarium darunter, zu denen sich in späterer Zeit Bobbio, Tours und vielleicht Metz gesellen, aber auch Hieronymus’ Arbeit in Bethlehem hat sich in Subskriptionen niedergeschlagen (S. 110f.). Registriert wurden Prüfvermerke zu 88 Werken, die in 363 Handschriften bis zum 12. Jahrhundert erhalten seien, darunter lediglich 23 autografe Einträge. Die Mehrzahl der Subskriptionen ist ausgesprochen lapidar, ein überschaubares terminologisches Repertoire zeichnet sie aus5, das unterschiedliche Prozeduren des Vergleichens, Korrigierens, Emendierens, Interpungierens oder Gliederns erkennen lässt, die mal mit, mal ohne ein Vergleichsexemplar, bald alleine, bald als Teamwork, bisweilen auch mehrfach durchgeführt wurden. Nur selten weiten sich die Subskriptionen zu ausführlichen Berichten (S. 179f. zu Eugippius und S. 191–194 zu Gregor dem Großen bzw. Paulus Diaconus) oder werben in Versen für Autor, Text und Korrektor (S. 196f. zu Hegesippus, S. 261f. zu Serenus Sammonicus und S. 277 zu Vergil).
Wallenweins Analysen gewähren instruktive Einblicke vor allem in das Buch- und Editionswesen des 4. bis 6. Jahrhunderts, des Zeitraums, in den die Mehrzahl der datierbaren Einträge weist. Autoren revidieren ihre Werke mitunter selbst (Ennodius), bei anderen muss mit dem Nachlass gearbeitet werden (Sedulius), Privatexemplare werden von ihren Besitzern durchgesehen, aber auch in professionellen Kontexten, Schreibateliers oder Schulen wird subskribiert. Man erfährt von einer Buchhandlung im spätantiken Ravenna und von mehr oder minder prominenten Lateinern in Konstantinopel, aber auch von der viele Jahrzehnte in Tours gepflegten Praxis, kopierten Handschriften am Ende jeder Lage mit dem Vermerk requisitum est in Tironischen Noten ein Gütesiegel einzuschreiben6. In diesem Kontext schlägt Wallenwein (S. 127 und 205f.) die Neudatierung von Épinal, Bibliothèque multimédia intercommunale, ms. 149 (68) (hier fol. 70v)7 in den Abbatiat des Agyricus vor (um 675): die Handschrift mit Briefen des Hieronymus wurde bislang in die Mitte des 8. Jahrhunderts gesetzt. Ein Exkurs (S. 112–120) ist den häufig auf Irenaeus von Lyon Bezug nehmenden admonitiones, Mahnungen zur Anfertigung korrekter Abschriften, gewidmet, in den ein Hinweis auf den Traktat »De laude scriptorum« des Johannes Gerson aus dem frühen 15. Jahrhundert noch gepasst hätte.
Deutlich wird einmal mehr, dass Maßnahmen zur Qualitätssicherung nicht nur vermeintlich bedrohten römisch-heidnischen Texten vorbehalten waren, sondern in gleicher Weise der Bibel, patristischen und hagiografischen Texten galten. Dass solche Praktiken oder Formeln auch im vor- und frühkarolingischen Frankenreich weiter beachtet und rezipiert wurden (etwa bei Lupus von Ferrières und Frechulf von Lisieux), wird nicht unbedingt überraschen, die Latinität der Subskribenten weckt jedoch ab und an leise Zweifel am Erfolg ihrer Tätigkeit. Eine knappe Zusammenfassung (S. 132–135) krönt den analytischen Teil der Arbeit, in dem man freilich exemplarisch Ausführungen zur konkreten Umsetzung in den Handschriften mit autografen Einträgen erwartet hätte.
Das »Corpus subscriptionum« (S. 137–321) ist das Kernstück des Buches. In vier Abteilungen werden zunächst die Subskriptionen zu bekannten Autoren und Werken (S. 138–278), zu anonymen und pseudonymen Werken (S. 279–304, hier auch Bibelhandschriften), schließlich adiurationes (S. 305–318) und wenige Irrläufer (»Spuria«, S. 319–321) katalogisiert. Mit großem Aufwand wird die Erschließung betrieben, die einem einheitlichen Schema folgt: Erfasst werden, geordnet nach Autor und Werk, die Rubriken Subskribent, Datierung und Lokalisierung. Flankiert von Schwarz-Weiß-Abbildungen, werden die Texte mit Lesartenapparat (in Auswahl) und Übersetzung sowie Listen der Textzeugen, Editionen und Literatur präsentiert. Neben viele singuläre Notate treten beeindruckende Zusammenstellungen kopialer Bezeugungen8. Zu den revidierten christlichen Autoren zählen Ambrosius, Augustinus, Boethius, Cassian, Cyprian, Ennodius (Ennodius emendavi meam deo meo iuvante, S. 177), Eugippius, Gennadius, Gregor der Große, der Hegesipp, Hieronymus, Hilarianus, Hilarius, Lactanz, Orosius, Rufinus, Sedulius und Sulpicius Severus, zu den römisch-heidnischen Apuleius (»Apologia«), Caesar (»Bellum Gallicum«), Cato, Fronto, lateinische Übersetzungen Galens, Horaz, Iulius Paris, Iuvenal, Livius, Lucan, Macrobius, Martial, Persius, Plinius der Ältere, Pomponius Mela, Serenus Sammonicus, Terenz, Vegetius und Vergil. Es scheinen also die arrivierten, zum Teil auch kanonischen Autoren zu überwiegen.
Kirsten Wallenwein hat das Material sorgfältig zusammengetragen und aufbereitet. Die regelmäßig beigegebenen, nicht immer gut lesbaren Abbildungen erlauben in vielen Fällen eine Kontrolle der Transkriptionen. Abweichend von ihrer eigenen Definition sind auch Korrekturvermerke ohne weitere Nachrichten dann aufgenommen worden, wenn sie ausführlichere Einträge ergänzen. An wenigen Stellen wird man die Übersetzungen nachjustieren müssen:
S. 104 (Vegetius) ist mit (ut nequaquam) intellectus inde utiliter colligi possit gemeint, dass aus dem depravierten Text keine brauchbaren Aussagen gewonnen werden können, nicht jedoch, dass »der Verstand daraus [keineswegs] etwas Brauchbares aufnehmen konnte«.
S. 154 (Augustinus) lässt die Übersetzung »hat … geprüft und es ihm ausgehändigt« (nämlich Karolo regi) für einfaches contulit eine Unsicherheit über den Vorgang erkennen.
S. 164 (Boethius) wäre in Contra codicem Renati viri spectabilis correxi, qui confectus ab eo est Theodoro antiquario, qui nunc palatinus est, zu überlegen, ob ein Komma hinter est zu setzen ist: ein unbekannter Korrektor hätte dann nach dem eigenhändig von Renatus geschriebenen Codex gegengelesen, im Auftrag des antiquarius Theodorus. Alternativ könnte ab eo nicht mit Theodoro antiquario verbunden werden.
S. 176 (Cyprian) ist »Ich, Iustin, habe in Rom verbessert« für Emendavit Iustinus Romae ein flüchtiger Lapsus.
S. 197 (Hegesippus) meint donandum wohl doch »nachgesehen werden« statt »angelastet werden«.
S. 203 (Hieronymus) trifft »nach Kräften« utcumque wohl besser als »bis hierhin«.
S. 214 (Hilarius) entfernt sich in Nr. 13 aput Karalis constitutus »nach Cagliari verbannt« etwas weit vom Wortlaut (»in Cagliari«).
S. 222 (Iuvenal) wurde in der Übersetzung Romę übersehen.
S. 233 (Macrobius) Im Apparat zu dem metrischen Eintrag Nr. 2 ist Zeile 5 zur Lesart ucula gemäß Abb. 80 auch die Sigle D zu ergänzen. In der Übersetzung wird man quid male nicht mit »etwas Unrechtes«, sondern wegen des Adverbs mit »etwas schlecht« übersetzen.
S. 252 (Rufinus) Statt »Melanie« sollte man einheitlich »Melania« schreiben (vgl. auch S. 37f.).
S. 257 (Sedulius) Die dritte Zeile des metrischen Eintrags quo caret alma fides, quo sancti gratia Christi sollte mit »dessen der göttliche Glaube, dessen die Gnade des heiligen Christus entbehrt« (quo bezieht sich auf das voranstehende figmenti vitio) übersetzt werden, nicht mit »wann immer er des lieben Glaubens bedarf, wann immer der Gnade Christi«. Zeile 6 könnte populis auch mit »Menschen« oder »Leute« wiedergegeben werden.
S. 284 (»Breviarium Alarici«) trifft feliciter das übliche »mit glücklichem Ausgang« wohl besser als »mit seligem Ausgang«.
S. 285 (Chalkedon) würde man Nr. 2 der Wortstellung nach latine zu continet ziehen (d. h. lateinische Einträge im Codex des Akoimetenklosters in Konstantinopel, vgl. auch S. 287 Nr. 12).
S. 289 (Chalkedon) dürfte Nr. 23 quia non affuit alius graecus schlicht »weil keine weitere griechische Handschrift zur Verfügung stand« statt »da sie in keiner anderen griechischen Handschrift stand« bedeuten.
Eine umfangreiche Bibliografie (S. 323–352), ein Handschriften- und Namenregister (S. 373–393), ein Abbildungsverzeichnis (S. 395–397), eine Übersicht über datierte und nicht genauer datierbare Subskriptionen (S. 399–402) sowie 20 farbige ganzseitige Tafeln nebst zwei identischen Karten mit den lokalisierten Subskriptionen auf Spiegel- und Vorsatzblättern runden den reich ausgestatteten und selbstredend sorgfältig redigierten Band ab, der die bislang umfangreichste Materialsammlung dieser Art bereithält.
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Peter Orth, Rezension von/compte rendu de: Kirsten Wallenwein, Corpus subscriptionum. Verzeichnis der Beglaubigungen von spätantiken und frühmittelalterlichen Textabschriften (saec. IV‑VIII), Stuttgart (Hiersemann) 2017, XV‑402 S., 1 Karte, 132 Abb., 20 farb. (Quellen und Untersuchungen zur lateinischen Philologie des Mittelalters, 19), ISBN 978-3-7772-1714-7, EUR 196,00., in: Francia-Recensio 2022/1, Mittelalter – Moyen Âge (500–1500), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.1.87479