Der aus einer Tagung an der Technischen Universität Darmstadt hervorgegangene Band widmet sich der Geschichte von »Transparenz« als einem Konzept, das vor allem seit den 1990er Jahren zu einem wichtigen Fluchtpunkt demokratietheoretischer Betrachtungen geworden ist und in der Politikwissenschaft als ein Schlüssel zu gutem Regieren diskutiert wird. Die Offenheit und Publizität politischer Entscheidungsprozesse und Verantwortlichkeiten trägt zur Verhinderung von Korruption bei und stellt eine wichtige Voraussetzung politischer Meinungsbildung in demokratischen Gesellschaften dar. Freilich wurde auch immer wieder auf die Ambivalenzen von Transparenz hingewiesen: Ansprüche auf Transparenz richten sich nicht nur auf den Staat und seine Institutionen, auch umgekehrt können staatliche Einrichtungen und gerade auch kommerzielle Unternehmen Interesse am »gläsernen« Bürger entwickeln und durchsetzen. Zudem haben empirische Studien gezeigt, dass etwa das systematische Aufdecken von Korruption und fehlerhaftem Regierungshandeln nicht notwendigerweise das Vertrauen in das politische System stärkt, sondern auch unterminieren kann.

Gerade hinsichtlich dieser Ambivalenzen von Transparenz liefert der Band interessante Einsichten in historischer Perspektive. Einleitend stellen die Herausgeber einen Forschungsstand dar, der diffus und uneinheitlich ist. Eine historische Perspektive ist bisher noch kaum erschlossen. Sie erörtern auch die zentralen methodischen Probleme, sich dem Phänomen »Transparenz« aus geschichtswissenschaftlicher Sicht zu nähern: grundlegend unterschieden werden muss zwischen Herangehensweisen, die Transparenz als einen Anspruch begreifen, der in unterschiedlichsten historischen Kontexten an Politik gerichtet und als solcher gesellschaftlich verhandelt wurde, sowie zwischen Transparenz als einem analytischen Konzept, das evaluativ an aktuelle oder historische Gesellschaften herangetragen wird, um diese auf ihren Transparenzgrad hin zu überprüfen.

Die Beiträge des Bandes wählen mehrheitlich den ersten Weg, der allerdings auch mit einer Schwierigkeit verbunden ist: Transparenz hat als reines Wort natürlich eine längere Geschichte, zu einem Schlüsselbegriff politischer Debatten wurde es aber erst in der jüngsten Vergangenheit. Historische Annäherungen können sich daher nicht an die Begriffsverwendung knüpfen. Das Bandkonzept beruht demnach auf der Annahme, dass Transparenzansprüche immer auf die Offenheit politischer Prozeduren und Entscheidungen gerichtet waren, auf Information und Wissen über Politik. Die Beiträge nehmen diesbezügliche Diskurse und Debatten seit etwa 1890 in den Blick. Historische Transparenzforschung scheint damit sinnvoll auf die Epoche parlamentarischer Demokratie und des modernen Mediensystems beschränkt zu sein.

Die in dem Band versammelten zehn Beiträge fügen sich nicht zu einem Überblick über die Geschichte von Transparenzdebatten zusammen, sondern verstehen sich erklärtermaßen als einzelne Explorationen in einem noch kaum konturierten Forschungsfeld. Schon die geografische Verteilung der Fallbeispiele ist recht selektiv: von den empirischen Beiträgen beziehen sich zwei auf Rumänien, zwei auf die Niederlande, einer auf die Vereinigten Staaten und drei auf Deutschland.

Silvia Marton zeigt anhand der rumänischen Wahlpraktiken des 19. Jahrhunderts, dass Transparenzvorstellungen in einem zensusbasierten Wahlsystem, in dem Eingriffe staatlicher Stellen in den Wahlprozess an der Tagesordnung waren, etwas ganz anderes bedeuteten als in heutiger Zeit. Sandra Zimmermann verdeutlicht am Beispiel der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse im Rahmen des Barmat-Skandals während der Weimarer Republik die Ambivalenz von Transparenzforderungen, bewirkte die Offenlegung korrupter Praktiken doch kein gesteigertes Vertrauen in das politische System, sondern wurde von den Gegnern der Demokratie instrumentalisiert.

Ronald Kroeze und Sjoerd Keulen belegen hingegen in ihrer Untersuchung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der in den 1980er Jahren den Zusammenbruch des niederländischen Schiffskonzerns RSV aufarbeitete, eine klare Stärkung politischer Transparenzkultur. Harm Kaal zeichnet in einem ergänzenden Beitrag zur politischen Kultur der Niederlande nach 1945 eine generelle Entwicklung hin zu mehr Transparenz nach, die immer wieder auch Diskussionen darüber einschloss, ob ein Zuviel an Transparenz dem Funktionieren des politischen Systems abträglich sein könnte.

Vojin Vukadinovič deutet den geradezu manischen und schon zeitgenössisch parodierten Gebrauch des Begriffes »Klarheit« in Reden des US-Präsidenten Richard Nixon als einen Reflex auf die fundamentale Unsicherheitslage des Kalten Krieges. Martin Mainka beleuchtet, wie im Zusammenhang der bundesrepublikanischen Flick-Affäre die Berichterstattung des »Spiegel«, die sich immer wieder auf interne Ermittlungsunterlagen stützen konnte, zu einem Streitpunkt um die Rolle der Medien als Transparenzagenturen wurde.

Da sich die Beiträge des Bandes, wie erwähnt, mit politischen Prozessen und Debatten beschäftigen, in denen häufig nie explizit von »Transparenz« die Rede ist, müssen sie notwendigerweise mit je eigenen Hilfsdefinitionen arbeiten, um festzustellen, in welchen Zusammenhängen es unausgesprochen um Transparenz ging. Dabei wenden sie sich bestimmten Sachkomplexen zu, in denen das Thema »Transparenz« besonders virulent war: Korruptionsskandale, parlamentarische Untersuchungsausschüsse, Wahlrechtsdebatten, Parteiengesetze, die Rolle der Medien. Im Großen und Ganzen überzeugt dieser Ansatz, wenn auch einzelne Beiträge bisweilen thematisch etwas abdriften. Die historisch-semantische Dimension von Transparenzdebatten wird weniger systematisch entfaltet; hier scheint noch einige Arbeit nötig, um zu erfassen, in welchen Begriffen (auch in unterschiedlichen Sprachen) diese sich kristallisierten. Im Ergebnis vermag der Band in jedem Fall, den aktuellen Debatten um Transparenz in der Politik eine wichtige historische Tiefendimension zu verleihen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Benno Nietzel, Rezension von/compte rendu de: Jens Ivo Engels, Frédéric Monier (ed.), History of Transparency in Politics and Society, Göttingen (V&R unipress) 2020, 187 p., 2 fig., ISBN 978-3-8471-1155-9, EUR 35,00., in: Francia-Recensio 2022/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.1.87523