Anzuzeigen ist ein umfangreicher, reichhaltig ausgestatteter Archivführer zu den Beständen des Service français de la Société des Nations. Ende 1919 unter dem Dach des Außenministeriums begründet, koordinierte diese Abteilung die französische Regierungspolitik auf sämtlichen mit dem Völkerbund verknüpften Handlungsfeldern von 1920 bis in den Zweiten Weltkrieg, wenngleich Tätigkeit und damit Überlieferung nach 1939 stark ausdünnen. Dass in den Aktivitäten dieser Abteilung wesentliche Aspekte nicht nur der Völkerbund-, sondern der gesamten Außenpolitik der Dritten Republik greifbar werden, ist in der Forschung mehrfach gezeigt worden. Christine Manigand hat beispielsweise in ihrem Buch »Les Français au service de la Société des Nations« (2003) auf Grundlage dieser Akten untersucht, welche Bedeutung die Pariser Regierung dem französischen Auftritt in Genf beimaß.

Der vorliegende Band, zusammengestellt von Monique Constant und François Cousin und herausgegeben von Isabelle Richefort, bietet mithin ein vorzügliches Hilfsmittel für weitere Forschungen in diesem Bereich. Wohl vermittelt er auch eine erste inhaltliche Hinführung zur Pariser Völkerbundpolitik, die Maurice Vaïsse, der Doyen der französischen Diplomatiegeschichte, mit kundiger Hand in seiner Einleitung skizziert; interessant sind daneben die Reproduktionen einiger exemplarischer Aktenstücke oder die Biogramme zu wichtigen Akteuren. Doch das illustrative Beiwerk verblasst angesichts der fast 450 Seiten umfassenden Übersicht zu den Beständen des Service français de la Société des Nations, die in den Schatztruhen der Archives diplomatiques in La Courneuve aufbewahrt werden. Rund 2680 Akteneinheiten werden in diesem Findbuch aufgelistet und mit einer kurzen Inhaltsbeschreibung versehen. Die Aufzählung der Bestände beginnt bei der Entstehung der Völkerbundsatzung, führt über zentrale Themen der Pariser Friedensordnung von 1919/1920 (Grenzziehungen, Minderheitenfrage, Mandate, Reparationen etc.) sowie weitere internationale Fragen der Zwischenkriegszeit (Abrüstungsbemühungen, Briand-Kellogg-Pakt) und endet schließlich bei den Unterlagen und persönlichen Dossiers einzelner französischer Verbindungsoffiziere. Der beigefügte Index erlaubt ein rasches Auffinden der erwähnten Personen, Orte und Staaten, welche teils um Sacheinträge zu einzelnen Politikfeldern erweitert werden. Ein Anhang bietet ergänzende Informationen und rundet die Publikation sinnvoll ab.

Wie lässt sich diese voluminöse Übersicht, die in einer Reihe vergleichbarer Publikation zu anderen Beständen der Archives diplomatiques steht, bewerten? Zunächst provoziert sie die Frage, ob solche Druckwerke angesichts digitaler Findmittel, welche mühelos mitzuführen, allzeit verfügbar und zudem im Volltext durchsuchbar sind, noch zeitgemäß sind. Da mag man skeptisch sein und muss doch zugestehen, wie gewinnbringend es ist, den Band in die Hand zu nehmen und durch die verheißungsvollen Bestandsbeschreibungen zu blättern. Ähnlich wie erst der freischweifende Blick am Bibliotheksregal manche Funde ermöglicht, bietet das vorliegende Werk die Chance auf unverhoffte Begegnungen durch zielloses Stöbern. Was mag wohl in den Memoranden stehen, welche französische Diplomaten über den Eintritt der Sowjetunion in den Völkerbund anfertigten? Wer würde nicht gerne ihre Depeschen über den Abessinien-Konflikt nachlesen? Wie nehmen sich die Pariser Pläne für eine internationale Sanitäts- oder Drogenpolitik nach dem Studium der hier verzeichneten Akten aus? Als Fazit lässt sich daher resümieren: Die nach La Courneuve pilgernde Forschungsgemeinde braucht den gewichtigen Band sicherlich nur in Ausnahmefällen in den Koffer zu legen; umso gründlicher sollte sie ihn vorab im heimischen Lehnstuhl studieren.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Marcus M. Payk, Rezension von/compte rendu de: Isabelle Richefort (dir.), Aux sources de la paix. Les Archives du Service français de la SDN. Introduction de Maurice Vaïsse. Inventaire de Monique Constant et François Richefort, Paris (Éditions du CTHS) 2021, 524 p. (Diplomatie et Histoire, 23), ISBN 978-2-7355-0911-9, EUR 19,00., in: Francia-Recensio 2022/1, 19.–21. Jahrhundert – Histoire contemporaine, DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.1.87530