In der Nachfolge von Daniel Mornet haben sich viele auf die Suche nach den intellektuellen Ursprüngen der französischen Revolution begeben. Für den Pionier der Buchgeschichte war schon in den 1930er Jahren klar, dass die Verbreitung revolutionären Gedankenguts wesentlich durch die Printmedien erfolgte. Mit den Arbeiten von Henri-Jean Martin erfolgte Mitte des 20. Jahrhunderts eine Neuorientierung. Hatten Monografien über Buchdrucker und Buchhändler meist bibliophilen oder bibliografischen Charakter, rückte fortan das ökonomische, soziale und politische Umfeld in den Mittelpunkt des Interesses. Im Zuge einer derart umfangreichen Erweiterung des Forschungsfeldes wurden bestimmte Regionen oder einflussreiche Buchdruckerfamilien, ja ganze Dynastien (Cellot, Didot, Jombert etc.) analysiert. Anne Boyer fügt nun mit der vorliegenden Arbeit einen Mosaikstein hinzu: die Familie d’Houry. Ausgangspunkt war ein mémoire bei Roger Chartier (1988), die anschließende thèse de doctorat wurde von Henri-Jean Martin angeregt und Frédéric Barbier betreut (2014). Bei der vorliegenden Untersuchung mit leicht verändertem Titel stand zudem Daniel Roche, der das aufschlussreiche Vorwort verfasst hat, mit Rat zur Seite. Boyers Analyse ist buchgeschichtlich, soziokulturell und prosopografisch ausgerichtet. Die Verfasserin konzentriert sich dabei nicht auf die herausragende Persönlichkeit des Clans, sondern möchte bewusst über Laurent d’Houry hinaus zwischen Aufklärung und zentralistischem Absolutismus das Werden einer bekannten, vom System protektionierten Familie über 150 Jahre und vier Generationen beobachten: vom Aufstieg in das Zentrum des Pariser Buchwesens bis zum Fall des prosperierenden Geschäfts, das den nach-revolutionären dramatischen Veränderungen noch abrupter zum Opfer fiel als vergleichbare Dynastien. Ausgewertet wurden die üblichen Quellen: Nachlassverzeichnisse, (Pacht)Verträge, Heirats- und Ausbildungsurkunden sowie genealogische Dokumente. Manuskripte der Nationalbibliothek zu Zensur- und Verbreitungswesen im damaligen Buchhandel und das privilège-Register finden ebenfalls Berücksichtigung.

Die buchhändlerischen Tätigkeiten waren keineswegs vorgezeichnet: Jean d’Houry, dem der Zugang zur Welt des Pariser Buchhandels ermöglicht wurde, war lange, man mag es kaum glauben, Analphabet. Nach der Rekonstruktion der ländlichen Ursprünge kam es dank verwandtschaftlicher Anstöße zu bescheidenen buchhändlerischen Anfängen mit der (Neu)Herausgabe von alchemistischen und okkulten Werken, die in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts noch gefragt waren. Sohn Laurent verlegte den Schwerpunkt zum richtigen Zeitpunkt auf die Edition medizinischer, chirurgischer und pharmazeutischer Titel. Mehrere angesehene Wissenschaftler standen ihm nahe und schätzen ihn als Herausgeber. Der Durchbruch gelang schließlich mit einer Geschäftsidee: Zunächst als »Almanac ou Calendrier« von 1684–1699 herausgegeben, plazierte Laurent d’Houry den sogenannten »Almanach Royal« von 1700 bis 1792 auf dem Markt. Es handelte sich um ein Jahrbuch der französischen Verwaltung, eine Art »Who is Who« des vorrevolutionären Ancien Régime, das in der offiziellen Rangfolge die Listen von Angehörigen der königlichen Familie, von Offizieren der Krone und des Militärs, von Mitgliedern des Hohen Klerus, von Marschällen, Botschaftern und Konsuln des Landes sowie von Gerichtspräsidenten, Staatsräten, Bankiers etc. präsentierte. Trotz der geringen Attraktivität eines derartigen Nachschlagewerks erfreute es sich beachtlicher Verbreitung bei einer Leserschaft, die Interesse daran hatte, die Verwaltungsorganisation Frankreichs genauer zu kennen. Obwohl die Herausgabe auf Initiative eines privaten Verlags erfolgte, war die Aufnahme in die Listen offiziell. Der »Almanach Royal« sorgte in der Folge für gesicherten Umsatz aber auch für familiäre Dissensen und in der Buchhändlergemeinschaft für Eifersucht und Plagiatsgelüste, zumal die d’Houry 1712 zusätzlich die Erlaubnis zum Drucken erhielten. Boyers Analyse konzentriert sich in den Kapiteln I und III auf die Untersuchung der pekuniären Situation der Familie, ablesbar an Heiratsverträgen und Nachlassverzeichnissen. In den Kapiteln II und IV rücken wirtschaftliche Erfolge und Rückschläge in den Mittelpunkt des Interesses. Klar abgegrenzt wird dabei die erste Phase des Aufstiegs unter Jean und Laurent von der zweiten Phase der Konsolidierung der Geschäfte unter Charles-Maurice und Laurent-Charles. Der dritten und vierten Generation gelingt dies u. a. durch geschickte Einheirat in einflussreiche bourgeoise Handelsgeschlechter. Beim Absatz gab es Höhen und Tiefen, also keine Linearität. Erreichte Laurent um die Jahrhundertwende (1680–1710) noch 12 Titel im Jahr durchschnittlich, sank die Produktion auf zunächst 6 dann nur noch 3 Titel. Verantwortlich dafür waren persönliche Versäumnisse und falsche Entscheidungen bei der Herausgeberschaft einerseits, und komplizierte und widersprüchliche Verwaltungsgesetze andererseits. Die Beziehungen zur Chambre Syndicale wurden im Zuge der Verbesserungsbemühungen um den »Almanach Royal« offenbar vernachlässigt. Die Neuorientierung von Laurent-Charles in Richtung Belletristik und Reiseliteratur fruchtete nicht mehr. Profitierte man über 150 Jahre lang von der allgemeinen Entwicklung der République des Lettres zur République des Sciences scheiterte die Dynastie der d’Houry trotz bemerkenswerter Anpassungsfähigkeiten und Neuorientierungen wahrscheinlich an der permanenten Nähe zum royalen akademischen Umfeld, dessen elitäre Geschmacks- und Informationswünsche geschickt bedient wurden. Was einst nützlich erschien, erwies sich nach 1789 als Problem und führte zum Untergang des einst blühenden Geschäfts (Kapitel V).

Angehängt ist ein chronologischer Katalog aller von den d’Houry herausgegebenen Titel von 1630 bis 1791 sowie zweier Nachzügler: eine Übersetzung von Hippokrates »Epidemien« aus dem Griechischen von 1798 und zuletzt eine Edition von Voltaires »Henriade« aus dem Jahr 1822. Angeboten wird hierfür die Signatur der Titel, die in der Bibliothèque nationale de France konsultierbar sind, gezielt suchbar sind sie allerdings nicht. Im Anhang finden sich zahlreiche Listen von Autoren und Druckern, die für die Familie tätig waren, Anträge und Zuordnungen von privilèges, genealogische Tabellen und ein Namensverzeichnis. Vergleiche mit anderen Dynastien sind aufschlussreich: Der Kontakt mit den Autoren war beispielsweise nicht so intensiv wie etwa bei den Jombert, die freundschaftlich verbunden waren. Mehr als 20 Illustrationen werden zur Veranschaulichung angeboten. Die Geschichte der d’Houry zeigt auch die zu Beginn des Zeitalters der Moderne überaus wichtige Rolle der Frauen, die den (n. b.) wirtschaftlichen Fortbestand des Unternehmens sicherten. Jahrelange Recherchen ergeben eine Fülle von biografischen Informationen und gewähren vielfältige (spezielle) Einblicke in das Funktionieren von vorrevolutionären Institutionen, den Ablauf von Buchproduktion, Buchdistribution, Buchrezeption allgemein. Es ist zu befürchten, dass kaum jemand die »Familienchronik« lesen wird. Der Katalogteil könnte für Wissenschaftshistoriker und Wissenschaftshistorikerinnen, viele (Einzel)Beobachtungen dürften für Buchgeschichtsforscher und Buchgeschichtsforscherinnen von Interesse sein.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Friedhelm Beckmann, Rezension von/compte rendu de: Anne Boyer, Les d’Houry. Une dynastie de libraires-imprimeurs parisiens, éditeurs de l’Almanach royal et d’ouvrages médicaux (1649–1790), Genève (Librairie Droz) 2021, XVI–534 p. (Histoire et civilisation du livre, 40), ISBN 978-2-600-05747-9, EUR 79,13., in: Francia-Recensio 2022/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.2.89095