Hier sind 25 ideenhistorische Beiträge von Experten und Expertinnen, vor allem der französischen und italienischen Renaissance, zu Aspekten des Werks klassischer Autoren des langen 16. Jahrhunderts vereint (u. a. Erasmus, Vivès, Morus, Farel, Calvin, Servet, Karl V., Guicciardini, Giovio, Rabelais, Castellio, de la Boétie, Bodin, L’Hospital, de Thou, Machiavelli, Montaigne, François Hotman, Charles de Lorraine, François de La Noue, Cardano, Bacon). Der Band ist nicht als Handbuch angelegt, sondern es sind jeweils Beiträge zu Spezialfragen und in fast jedem derselben findet sich ein neuer Fund oder eine neue Akzentsetzung. So dreht M. Barral-Baron die sonst übliche Perspektive auf Erasmus um: während dieser gerade in der italienischen und spanischen Forschung als Hauptobjekt von Zensur und Indexbemühungen bekannt ist, zeigt sie, dass er selbst zwar keine institutionelle Zensur vornahm, aber doch, in der Furcht und Empörung über als schädlich empfundene Bücher und Invektiven, sich immer wieder quasi um Zensur bittend an die Obrigkeiten in der Schweiz und in Straßburg richtete. Der »Ireniker« wünschte also sehr wohl eine (andere) Säuberung der Textwelt. M. Mestre Zaragoza betont ähnlich, dass Vivès keineswegs nur ein Pazifist war, sondern dass sein Ziel der concordia zunächst die gemeinschaftliche Vereinigung im gemeinsamen christlichen Werthorizont meint – »la paix est pensée par Vivès comme concorde […] [e]lle n’est pas le contraire de la guerre« (S. 65). V. Ferrer hebt für Farels Neuchâtel heraus, dass dieses als zweites Kanaan geformt wurde, auch stilistisch durch die Gruppe der hebraisierenden Theologen-Philologen. O. Millet stellt einen Servet, der im eschatologischen Bewusstsein auch vom Textgenre her mit patchwork-förmigen Manuskript-Paratexten, Interlineargebeten und Epigrafen operiert, dem klassisch-didaktischen Gelehrten Calvin gegenüber. Dessen Wirken aus dem Predigtwort heraus in Genf bei der Abschaffung der alten katholischen Feiertage, nur Ostern und Pfingsten belassend, hebt M. Engammare hervor. D. Crouzet akzeptiert die 1862 edierten und auf 1550 zu datierenden »Commentaires« Karls V. als authentisch und sieht in ihnen eine Ego-Historie, in der er sich als miles christianus stilisierte. C. Cavallini zeigt, wie wichtig die Übersetzungen ins Französische von Werken der italienischen Humanistenhistoriker Guicciardini und Giovio waren und wie sich hier die Übersetzungsmethodologie und der frühe akademisch gepflegte Sprachpurismus (Reflexionen über Satzzeichen, lexikalische Kommentierarbeit unter Benutzung etwa von Machiavelli als früh kanonisiertem Autor des Toskanischen), ähnlich wie bei Domenichi und Ruscelli im Italienischen, verfeinerte. M. Huchon interpretiert die Funktion des Devisen-Wappens von Rabelais 1535, welches dem seines Freundes Hubert de Suzanne ähnlich ist. R. Gorris Camos hebt für Jacques Grévin, jenen Exil-Mediziner am Turiner Hof von Emanuele Filiberto und Marguerite de Valois, seinen »humanisme des herbes« hervor und analysiert seine Übersetzung von »De praestigiis daemonum« des berühmten Hexenprozessgegners Johannes Wier. Vielleicht hätte die Bemerkung, dass Grévin den »théories religieuses« des Herzogtums Kleve nahestand (Wier war des Herzogs Leibarzt; S. 225 – gemeint ist wohl die eher irenische Vermittlungstheologie etwa Cassanders), Anlass geben können für eine noch stärkere Kontextualisierung des Verhältnisses von »Hexen«-Verfolgungspraxis in den betreffenden Territorien und Konfessions- und Medizintheorien. Wiers Text hatte bekanntlich die stärkste Wirkung und Akzeptanz in der calvinistischen Kurpfalz (J. M. Schmidt) – wie verhält es sich hier in Piemont-Savoyen mit seinen halb offensiv gegenreformatorischen, halb waldenser – und calvinismusnahen Tendenzen (Tradition des Hexereivorwurfs gegen Waldenser seit dem 15. Jh.)? M.-C. Gomez-Géraud zeigt für Castellio einmal mehr seine konsequente kognitive Skepsis auch im sprachlich fein-tarierten Umgang mit scheinbar eindeutig besetzten biblischen Worten wie vom Unkraut (Mt 13, 24–30, sc. der Häretiker, die man landläufig eigentlich ausrotten müsste): Angesichts der menschlichen Erkenntnisunfähigkeit (sc. was denn der Weizen sei) im Dunkel des Endes der Zeiten solle man lieber sowohl Weizen wie Unkraut gleichermaßen wachsen lassen. Eugenio Refini zeigt anhand von Alessandro Piccolominis Theaterpraxis im Rahmen der Sieneser Accademia degli Intronati wie hier auch die republikanische Tradition in das »augusteische« Prinzipat Cosimo de’ Medicis überführt wurde. In einer das Thema des Bandes in die Quellen zurückprojizierenden étude zu Bodins Konzept von Handlung und Kontemplation arbeitet S. Miglietti heraus, dass Bodin die aristotelische Tradition einer Glückseligkeitserzielung durch geistige Aktivität durch doppelte Rezeption scholastischer wie mystischer Traditionen (Baconthorpe, Cusanus) zu überwinden suchte, um die Unzulänglichkeit der Vorstellung einer aktiven menschlichen Geistestätigkeit durch die der höchstens im passiv-rezeptiven Modus, und somit in eher mystischer Gottesschau erreichbaren Glückseligkeit zu ersetzen. Dies, so möchte man angesichts der Reduktion des mystischen Anteils und im Kontext der 1580er formulieren, wäre an sich schon eine fast protestantische Haltung, wenn man – so könnte man über Miglietti und Bodin hinaus räsonieren – diese kognitionstheoretischen Philosopheme in das Theologische des rein passiven Verhältnisses von Glaube und Gnade übersetzt. Diesem Bodin’schen Antiaristotelismus setzt L. Petris Michel de l’Hospitals aristotelische Konzeption der mesotés (Weg des goldenen Mittelmaßes) als Grundhaltung entgegen, die sich von den carmina durch die Reden bis zu den Briefen und der juristischen und politischen aequitas-Konzeption des französischen Kanzlers hindurchzieht. I. A. R. de Smet zeigt sowohl anhand einer Nachzeichnung des Lebenswegs Jacques-Auguste de Thous – auf all seinen Stationen als Begleiter politischer Gesandtschaften und als Jurist von 1576 bis in die Zeit Ludwigs XIII. – wie dieser große Historiker immer wieder als Lebenshaltung eine Distanz zur vita activa im Sinne echter Entscheidungstätigkeit wählte, was sich schließlich in einem brillanten Oxymoron (»Und große Geschäfte habe ich in Muße vollbracht, als Geschäftiger war ich müßig«) auf seinem Grabepitaph findet (S. 362). George Hoffmann untersucht erneut den Glaubenseid, den der junge Michel de Montaigne vor dem Parlament von Paris ablegen musste, um seine Tätigkeit als Jurist aufnehmen zu können: der dezidiert antiprotestantische Eid, der zur Politik der Parlamente von Paris und Bordeaux gerade auch nach dem »Toleranz«-Januaredikt 1562 gehörte, um die eigenen Mitglieder konfessionell katholisch zu disziplinieren, zeige bis in seine essais Resonanz; Hoffmann plädiert entgegen einer häufigen Tendenz in der Forschung, diesen Eid nur als Jugendsünde und notwendiges Zugeständnis pragmatischer Art für die Ermöglichung der Arbeit abzutun, für eine Kohärenz mit der späteren Haltung des Philosophen-Juristen. H. Daussy attribuiert den handschriftlich in Genf überlieferten »Discours sur l’affaire themistyque« von 1559 an François Hotman insbesondere aufgrund inhaltlicher Kongruenz sowie der Rekurrenz sonst seltener antiker Exempel, die der republikanisch-antityrannischen Botschaft des citoyen Hotman dienen. Hotmans verhasster Gegner (»le Tigre«), der Kardinal Charles de Lorraine, wird von J. Balsamo als mäzenatischer Organisator des katholischen Netzwerks der Kollegien in Rom und Reims und von polemisch-antiprotestantischen Auftragswerken wie der Neuübersetzung von Augustins »Gottesstaat« durch Gentien Hervet vorgestellt, womit der vor allem protestantischerseits reklamierte Kirchenvater wieder rekatholisiert werden sollte. A. Graves Monroe stellt aus dem Leben und Werk François de La Noues sowohl die Momente heraus, in denen der protestantische Militärführer »Handlung« (insbesondere Krieg) legitimierte, wie jene, da er sie in den »Discours« funktional-historisch analysierte. Für die Naturphilosophen Cardano, Della Porta und Bacon werden die Positionen zum Verhältnis von Theorie und Praxis vorgestellt (A. Maggi, T. Gontier) während S. Huber den Band mit einer Analyse zum polnischen Erasmianer und Philippisten Fricius abschließt, indem er betont, dass dessen »politico-juristische« Philosophie doch primär von der philosophischen Grundhaltung der Priorität des Theoretischen getragen sei.

Deutlich wird also, dass einige der Autoren den titelgebenden Rahmen eher beschreibungssprachlich als Öffnung für eine kontextbezogene Ideengeschichte zu verschiedenen Aspekten des Œuvres »ihrer« Renaissance-Schriftsteller benutzten. Einige Beiträger und Beiträgerinnen hingegen fragen eher danach, wie im Rahmen der Renaissance-Episteme selbst die Autoren und Akteure ihr eigenes Verhältnis von bios theoretikos und bios praktikos (im aristotelischen Sinne) bestimmten und lebten: Letzteres scheint besonders fruchtbar, weil es zeigt, dass zumindest gelehrte »Akteure« wie de l’Hospital, Bodin, de Thou, La Noue, Bacon, Fricius in den »Denkrahmen« ihrer Zeit ethisch-moralische, normative wie auch funktionallogische Regelgerüste suchten und Handlungsanalysen vornahmen. Sie reflektierten also »in Denkrahmen über Denkrahmen« und versuchten diese selbst für das eigene Leben wie für menschliches Verhalten überhaupt genauer zu justieren und ihre Möglichkeitshorizonte zu bestimmen.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Cornel Zwierlein, Rezension von/compte rendu de: Philippe Desan, Véronique Ferrer (dir.), Penser et agir à la Renaissance. Thought and Action in the Renaissance, Genève (Librairie Droz) 2020, 568 p. (Cahiers d’Humanisme et Renaissance, 161), ISBN 978-2-600-06007-3, EUR 62,25., in: Francia-Recensio 2022/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.2.89101