An Biografien über König Ludwig XIV. von Frankreich (1638–1715) herrscht kein Mangel. In den letzten Jahren sind allein in deutscher Sprache drei neue Darstellungen über das Leben des »Sonnenkönigs« von ausgewiesenen Frankreichhistorikern und Frankreichhistorikerinnen erschienen, ganz zu schweigen von den unzähligen, zum 300. Todestag teilweise neu aufgelegten französischsprachigen Biografien und zuletzt dem preisgekrönten, als »ultimate biography« beworbenen Buch des Hofhistorikers Philip Mansel1. Man mag sich fragen, weshalb die Geschichte der »großen Männer« immer noch so viel Anziehungskraft ausübt – oder auch, weshalb etwa über Ludwigs Gegenspieler Kaiser Leopold I. immer noch keine befriedigende Biografie vorliegt. Offensichtlich eignet sich das lange Leben des französischen Königs – der das zum globalen Top-Touristenmagnet aufgestiegene Schloss von Versailles zwar nicht erbaut, aber wesentlich gestaltet hat – besonders dazu, in eine wechselvolle Epoche der europäischen Geschichte einzuführen, die von seinen Entscheidungen maßgeblich mitgeprägt wurde.

Der Heidelberger Frühneuzeithistoriker Sven Externbrink, der mit zahlreichen Arbeiten zur Funktionsweise der französischen Diplomatie und zu den deutsch-französischen Beziehungen hervorgetreten ist, verfolgt mit seinem 470-seitigen Werk genau diesen Zweck. Gleich zu Beginn seiner Biografie, die »dem historisch Interessierten eine für den Menschen des 21. Jahrhunderts sehr ferne und fremde Epoche nahebringen« (S. 1) will, räumt er ein, dass »über das Leben Ludwigs XIV. […] eigentlich nicht mehr viel Neues gesagt werden [kann]« (S. 2). Spektakuläre Archivfunde sind bei der Lektüre also kaum zu erwarten, dafür ein durchaus originelles Arrangement des reichhaltigen biografischen und kontextbezogenen Materials: Ausgehend von der »Leitmetapher« des Theaters untersucht Externbrink die Wandlungen des Hauptakteurs und zugleich Regisseurs Louis Dieudonné de France vom »Vorspiel« – der frühen Erhebung zum König von Frankreich am 14. Mai 1643 – über drei strukturgeschichtliche »Akte« und zwei ereignisgeschichtliche »Entreakte« bis zum großen »Finale«: dem vom Protagnisten immer noch meisterhaft inszenierten Tod am 1. September 1715.

Die Metapher des Theaters ist zum einen deshalb gut gewählt, weil der junge Ludwig gerne als Balletttänzer auf die Bühne trat und auch andere Zeitgenossen immer wieder dramaturgische Begriffe verwendeten, um das Agieren des Königs und das Leben am Hof zu beschreiben. Zum anderen wird damit ohne große methodologische Ausführungen ein narrativer Rahmen geschaffen, der es erlaubt, Erkenntnisse der neueren Kulturgeschichte des Politischen an einem paradigmatischen Fall vorzuführen: etwa die Bedeutung des Körpers und seiner Performanz in Face-to-Face-Interaktionen für die Herstellung und Stabilisierung politisch-sozialer Ordnungen. Denn wie Peter Burke bereits vor dreißig Jahren in seinem wegweisenden Buch über die mediale Inszenierung des Sonnenkönigs aufgezeigt hat, war das (vermeintlich) absolutistische Frankreich Ludwigs XIV. vor allem auch ein »Theaterstaat«2.

Dieser problemorientierte Ansatz bringt es mit sich, dass das Leben Ludwigs XIV. in Externbrinks Biografie nicht einfach chronologisch nacherzählt, sondern unter verschiedenen Gesichtspunkten immer wieder neu beleuchtet und kontextualisiert wird. So kommt es, dass der Hauptprotagonist bereits im ersten Abschnitt des ersten Akts, welcher der Geschichte des königlichen Körpers gewidmet ist, ein erstes Mal stirbt (S. 49f.), um dann gleich wieder aufzuerstehen und vermittelt über verschiedene Außenstimmen als Virtuose der Dissimulation und Geheimhaltung ins Bild gerückt zu werden. Diese Form der Gliederung, mittels derer gewisse Zeitabschnitte mehrfach durchlaufen werden, dürfte das Buch für manche »historisch Interessierten« zu einer recht anspruchsvollen Lektüre machen. Dafür wird es umso nützlicher für Studierende oder junge Forschende sein, die sich über bestimmte Themen, die mit Ludwigs Biografie verknüpft sind, einen raschen Überblick verschaffen möchten.

So führt der Autor etwa kompakt und auf der neusten Forschung basierend in die Sozialgeschichte Frankreichs ein und erläutert die Funktionsweisen einer »absoluten Monarchie«, des Königshofes und der französischen Außenbeziehungen. Ausführlich lässt er dabei verschiedenste Stimmen – von Ludwig XIV. selbst über auswärtige Diplomaten wie dem brandenburgischen Vertreter Ezechiel Spanheim bis zu einfachen Bürgern – zu Wort kommen und erzeugt damit einen ausgesprochen polyfonen Eindruck des Lebens und Sterbens im Frankreich des Grand Siècle. Zu den eindrücklichsten Passagen gehören die unmittelbar auf eine Analyse der Glorifizierung des Sonnenkönigs in der königlichen Text- und Bildpropaganda folgenden Abschnitte zu Hunger und Armut in der breiteren Bevölkerung (S. 236–251). Wie der Abbé Fénelon und andere kritische Zeitgenossen bereits erkannten, war die überaus hohe Mortalität in den Jahrzehnten um 1700 eben nicht nur der Unbill des Klimas geschuldet, sondern auch eine Folge der dauernden (Angriffs-)Kriege des Königs und der damit zusammenhängenden übermäßig großen Steuerlast.

Im Bemühen, keine modernen »Erbfeind«-Stereotype zu bedienen, zeichnet der Autor ein möglichst ausgewogenes Bild von Ludwigs Außenpolitik und deren Folgen für das Alte Reich und Europa. Tatsächlich waren die ludovizianischen Kriege von einer nationalistischen Motivation weit entfernt, und im Rahmen eines von dynastischen Erb- und ständischen Suprematieansprüchen geprägten frühmodernen Staatensystems wurde aus dem Feuer bringenden Kriegsgott Mars, als der sich Ludwig XIV. auf dem Cover zeigt, auch immer wieder selbst ein Getriebener. Dennoch – oder gerade deshalb – weckt etwa die Darstellung des äußerst rücksichtslosen Vorgehens der französischen Armeen gegen die Zivilbevölkerung im Pfälzischen Erbfolgekrieg unschöne Assoziationen zu neoimperialen Kriegen der Gegenwart. Die sehr späte, aber doch immerhin belegbare Einsicht des Königs, er habe zu viele Kriege geführt und den Untertanen damit viel Leid verursacht (S. 345), wäre auch heutigen Autokraten zu wünschen.

Insgesamt ist Sven Externbrink eine vielschichtige und lesenswerte Darstellung der Biografie König Ludwigs XIV. im Kontext seiner Epoche gelungen. Gelegentliche Redundanzen und angesichts der präsentierten Faktenfülle unvermeidliche kleinere Fehler – beispielsweise bezüglich des Todesjahrs Herzog Karls »des Kühnen« von Burgund (S. 272) – vermögen diesen Eindruck nicht zu trüben. Etwas schade für ein an ein weiteres Lesepublikum gerichtetes Buch ist nur, dass der Verlag die oftmals direkt in die Argumentation einbezogenen Abbildungen lediglich im Anhang und ohne Farbe wiedergeben konnte. Diesbezüglich positiv hervorzuheben sind hingegen die mehrseitige Chronologie, die oftmals erstmalige Wiedergabe von Quellenzitaten in deutscher Übersetzung und das ausführliche Quellen- und Literaturverzeichnis, das all jenen, die nach der Lektüre des Buches einzelne Themenfelder weiter vertiefen wollen, den Einstieg erleichtern wird. Das Werk kann daher auch zur Unterstützung der universitären Lehre wärmstens empfohlen werden.

1 Mark Hengerer, Ludwig XIV. Das Leben des Sonnenkönigs, München 2015; Martin Wrede, Ludwig XIV. Der Kriegsherr von Versailles, Darmstadt 2015; Anuschka Tischer, Ludwig XIV., Stuttgart 2017; Philip Mansel, The King of the World. The Life of Louis XIV, London 2019 (mehrere Ausgaben und französische Übersetzung 2020).
2 Peter Burke, Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs, 3. Aufl. Berlin 2009, S. 16.

Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:

Nadir Weber, Rezension von/compte rendu de: Sven Externbrink, Ludwig XIV. König im großen Welttheater, Paderborn (Ferdinand Schöningh) 2021, XII–470 S., 24 s/w Abb., 3 s/w Karten, ISBN 978-3-506-70331-6, EUR 49,90., in: Francia-Recensio 2022/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.2.89102