Laut eines Berichts der Regierung von Boris Johnson ist die Wiedereinführung der imperialen Maß- und Gewichtseinheiten in Großbritannien einer der bedeutendsten Gewinne des Brexits1. Dieses aktuelle Beispiel zeigt, dass Messsysteme nicht nur Mittel sind, um physische Größen zu bestimmen, sondern auf ein komplexes Zusammenspiel von sozialen Konventionen, rechtlichen Normen, und politischen Institutionen verweisen. Weder die Akzeptanz noch die Einheitlichkeit von Maßen und Gewichten sind selbstverständlich. Sie sind das Resultat einer komplexen historischen Entwicklung. Dieser Standardisierungsprozess fand in Westeuropa, verstanden als Frankreich, Großbritannien, und die deutschen Territorien, im Zeitraum zwischen 1660 und 1914 statt und bildet den Gegenstand des vorliegenden Buchs von Peter Kramper. Das Ziel ist ambitioniert: Standardisierungsprozesse sollen nicht als unumgänglicher Siegeszug von rationalen Maßen und Gewichten teleologisch beschrieben, sondern als Ergebnis einer aktiven Auseinandersetzung verschiedener Akteure und Institutionen gefasst werden. Um Hindernisse zur Durchsetzung und auch Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Dimensionen der untersuchten Standardisierungsprozesse aufzuzeigen, verbindet Kramper die methodischen Ansätze der politischen Geschichte, der Technikgeschichte und der Wirtschaftswissenschaften. Trotz der chronologischen, methodischen, und geografischen Breite gelingt es dem Autor, seine Leserschaft souverän durch das Thema zu führen. Die großen Linien sind deutlich sichtbar und durch gut ausgewählte Beispiele illustriert. Komplexität wird erklärt, die Aussagekraft und die Grenzen des besprochenen Materials klar reflektiert.
Das umfassende Werk ist in drei zeitlich gegliederte Abschnitte unterteilt, die jeweils eine bedeutende Phase des Standardisierungsprozesses von Maßen und Gewichten untersuchen. Abschnitt A konzentriert sich auf den Zeitraum zwischen 1660 und 1795, der durch eine große Vielfalt an lokal stark variierenden Einheiten gekennzeichnet ist. Zwar unternahmen Herrscher und kirchliche Institutionen mehrere Versuche, Gewichte und Maße zu vereinheitlichen und ihre Macht auszubauen, doch blieben diese in ihrer Wirkung stark beschränkt. Die Voraussetzungen für die Standardisierung von Einheiten sieht Kramper in der Wissenschaftlichen Revolution, die technische Instrumente zur exakten Bestimmung physischer Einheiten und eine neue Art des Beobachtens hervorbrachte, und in der fortschreitenden Ausbildung von Staatlichkeit, allem voran der Rationalisierung der Steuererhebung. Für die Realisierung der Idee von uniformen, systematisch aufgebauten Maßen und Gewichten brauchte es jedoch die Erschütterung der Französischen Revolution, die das metrische System wissenschaftlich bestimmte und politisch einführte.
Abschnitt B zeigt, wie Frankreich, die deutschen Territorien und Großbritannien zwischen 1795 und 1870 versuchten, national uniforme Messsysteme zu etablieren. Hier zeigt sich der Vorteil des von Kramper gewählten komparativen Ansatzes am deutlichsten. Auch in Frankreich fand die langfristige Durchsetzung des metrischen Systems nicht ohne Hindernisse statt, da es auf Unverständnis stieß und entsprechende Verwaltungsstrukturen fehlten. Traditionelle Maßeinheiten wurden erst um 1870 verdrängt. Das französische Vorbild beeinflusste die Entwicklung in den deutschen Territorien, die jeweils unterschiedliche Wege gingen. Der zügige Standardisierungsprozess von traditionellen Einheiten in den einzelnen deutschen Staaten, der mit dem Ausbau von Verwaltungen und politischer Integration einherging, erschwerte es jedoch, eine nationale Einigung zu erzielen. Großbritannien ging einen eigenen Weg. Zwar führte das Land 1834/1835 die Imperial Measures ein, aber die zentrale Regierung zwang den lokalen Autoritäten nicht deren Anwendung auf. Traditionelle Einheiten blieben daher vor allem in ländlichen Bereichen länger bestehen als auf dem Kontinent.
Abschnitt C untersucht die zeitgleich einsetzende Internationalisierung des französischen Maßsystems im Zeitraum von 1850 und 1914. Die internationale Akzeptanz des Meters als einheitlichen Messstandard erklärt Kramper mit fortschreitender Staatsbildung und der wissenschaftlichen Debatte über die Defizite der französischen Maße und Gewichte. Jedoch blieb die Anwendung auch im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert beschränkt, da gewerbliche Branchen weiterhin eigene, auf ihre jeweiligen Bedürfnisse abgestimmte Messeinheiten verwendeten.
Peter Kramper ist es gelungen, ein gut lesbares Buch zu schreiben, das die historische Herausbildung von einheitlichen Maßen und Gewichten in Westeuropa in aller Komplexität begreifbar macht. Die folgenden Kritikpunkte sind daher nebensächlich. Der englischsprachige Titel ist etwas sperrig und passt nicht ganz. Entgegen der naheliegenden Vermutung ist »The Battle of the Standards« keine Analogiebildung zu Jonathan Swifts berühmter Satire »The Battle of the Books« von 1704, sondern nimmt den Titel eines Werks des britischen Publizisten und Antiquars John Taylors auf, der mit dem Ausdruck 1864 die historischen Vereinheitlichungsprozesse von Maßen und Gewichten beschrieb (S. 5). Zwar steht die aktive Auseinandersetzung um Standardisierung im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit, aber Kramper zeigt überzeugend auf, dass es sich in vielen Fällen mehr um ein Nebeneinander und eine beinahe friedvolle Koexistenz verschiedener Einheiten handelte als um einen aggressiven Kampf um Vorherrschaft. Ferner wäre eine Auseinandersetzung mit einschlägiger Forschungsliteratur, die zwischen der Abgabe der zugrundeliegenden Qualifikationsschrift und der Publikation des Buches erschienen ist, wünschenswert gewesen. Genannt seien beispielhaft zum 18. Jahrhundert die Arbeiten von Lars Behrisch zur Statistik in Deutschland und Frankreich und von William Deringer zur Bedeutung der Quantifizierbarkeit in Großbritannien2. Durch den gewählten methodischen und geografischen Ansatz wirft Kramper interessante Fragen auf, deren Beantwortung weiterer Forschung bedarf. Wie, zum Beispiel, entwickelten sich Messeinheiten in den Niederlanden, der führenden Handelsnation der Frühen Neuzeit? Auch die moralischen und kulturellen Bedeutungen von Maßen und Gewichten, die Kramper andeutet, könnten weiter untersucht werden, so zum Beispiel die Bedeutung der Einheitlichkeit von Maßen für die Sicherstellung von Gerechtigkeit im vormodernen Handel (S. 64–72).
Zitationsempfehlung/Pour citer cet article:
Lina Weber, Rezension von/compte rendu de: Peter Kramper, The Battle of the Standards. Messen, Zählen und Wiegen in Westeuropa 1660–1914, Berlin, Boston (De Gruyter Oldenbourg) 2019, X–599 S. (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London, 82), ISBN 978-3-11-058195-9, EUR 69,95., in: Francia-Recensio 2022/2, Frühe Neuzeit – Revolution – Empire (1500–1815), DOI: https://doi.org/10.11588/frrec.2022.2.89109